Wenn man älter wird, schaut man schon mal zurück und fragt sich: Wer hat mich im Leben am meisten fasziniert? Mir am meisten geschenkt? Die erste Antwort: natürlich, die Frauen. Und sonst? Ich glaube: Helden spielten und spielen in meinem Leben immer schon eine große Rolle.
Meine frühesten Heldenlegenden waren, in einer katholischen Familie der 50er Jahre eine Selbstverständlichkeit, Märtyrergeschichten, denn nirgends ist das heroische Selbstopfer reiner vorhanden als in diesen. Weshalb es zu den romantischsten Vorstellungen meiner Kinder- und Jugendtage gehörte, dass ich mein Leben für Jesus Christus hingebe, nicht ohne selber darüber maßlos gerührt zu sein. Und ich wurde an jedem Namenstag daran erinnert, dass mein Vorbild, der Apostel Matthias, durch die Hand eines römischen Legionärs enthauptet wurde.
Wie das Martyrium eines Petrus oder Andreas „übertreffen“?
Nun, ich hatte mich gegen andere Apostel unter den Brüdern zu behaupten; Johannes machte mir keine Sorgen, er starb an Altersschwäche, auch der ungläubige Thomas verschwand irgendwo in Indien, aber gegen Peter (Petrus), der den Märtyrertod in Rom starb, und Andreas, der spektakulär an ein x-förmiges Kreuz mit dem Kopf nach unten genagelt wurde, war es schwer.
Mit großer Befriedigung erfuhr ich, dass Matthias nicht durch das konventionelle Schwert getötet wurde, sondern durch einen Axthieb – das Opfer konnte nicht grausam genug ausgemalt werden, die kindliche Lust an Grausamkeit ist maßlos. Ein paar Jahre später träumte ich vom Tod auf den Barrikaden der Revolution, der als Preis für den roten Sieg zu zahlen war – das Faszinosum der Selbstaufopferung hatte sich also erhalten.
Das Heldentum reitet in den unterschiedlichsten Maskeraden auf. Helden sterben für die große Sache, für das Heilige, sie sterben, um andere zu retten, für die Geliebte, die Familie, den Freund, das Vaterland, ein Ideal. Damals wusste ich noch nicht, dass ich eines Tages tatsächlich mit Verwandten und Freunden von leibhaftigen christlichen Märtyrern reden würde, nämlich über einen Bäcker und seine Söhne im syrischen Maalula, die sich trotz der vorgehaltenen Waffen der schwarzen Killer vom IS geweigert hatten, zum Islam zu konvertieren. Märtyrer also sind durchaus nicht auf das frühe Christentum begrenzt. Es gab sie in Auschwitz, es gibt sie heute, unter uns. In Maalula war die Realität des Bürgerkriegs und die heroische Gegenwehr gegen die schwarzen Mörderbanden greifbar. Am traditionellen Fest der Kreuzeserhebung feierte ich mit ihnen zusammen den Sieg, nach einer Messe, die der melkitisch-katholische Patriarch in Aramäisch, der Sprache Jesu, zelebrierte.
Männer setzen ihr Leben für die Freiheit aufs Spiel
Anschließend floss der Schnaps in Strömen. Ein junger querschnittsgelähmter Kämpfer wurde in seinem Rollstuhl in die Höhe gestemmt, wo er über den Köpfen Salven aus seinem Maschinengewehr in den Himmel feuerte. Nachts hallten die Bergflanken wider vom Freudengeratter der Uzis und Kalaschnikoffs. All diese Männer hatten ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um die Freiheit zurückzuerobern. Und nun feierten sie, archaisch, wild, zügellos, in einer Realität, die nur vier Flugstunden und für unsereins, die Kinder der wohlstandssatten Friedenszeit, drei Generationen entfernt liegt.
Martin Mosebach hat in seiner großartigen Reportage „Die 21“ über die koptischen Märtyrer geschrieben, die am libyschen Küstenstrand von schwarzvermummten IS-Kriegern rituell abgeschlachtet wurden.Und er hat Reflexionen eingebaut wie diesen inneren Dialog, den Streit der zwei Seelen in seiner Brust, denen er die Namen „Beschwörer“ und „Bezweifler“ gibt. Für den Bezweifler ist der Märtyrer-Kult gefährlicher Ausdruck religiöser Gewalt, der Beschwörer wiederum weist darauf hin, dass der christliche Märtyrer nie Gewalt ausübt, sondern nur erduldet.
Wunder geschehen - selbstverständlich
Dann kann sich Mosebach der heimlichen Faszination, ja Verführung nicht verschließen, die in der Vorstellung liegt, dass ein von Halbheiten und Irrtümern geprägtes Leben im Märtyrertod, der auch ein Heldentod ist, trotz allem mit einem Schlag in die Heiligkeit überführt worden wäre. So trifft er im Heimatdorf der 21 auf eine fast heitere Gelassenheit bei den Hinterbliebenen, den Müttern, Geschwistern oder Ehefrauen, auf die nun ebenfalls der fromme Glanz der Heiligkeit fällt. Die 21 sind in einer Ikone verewigt und zur Anbetung erhoben.
Die Angehörigen berichten von den Wundern, die sich seither ereignet haben im Tonfall allergrößter Selbstverständlichkeit, und Mosebach, der Künstler, hütet sich, ihnen zweifelnd in die Parade zu fahren, wie es ein 08/15-Reporter in unseren Tagen täte. Als Journalist und Reporter kann man sich vor dieser Leistung nur verneigen. Für einen Katholiken aber, der verzweifelt seine Kirche in die bequemen Anpassungen an die Moderne entschwinden sieht, ist die Lektüre ein Muss.
Da wir offenbar mit Heldensehnsucht und Anbetungsbedürfnis zur Welt kommen, mit einem Urtrieb, der zwar die großen Mythen befeuerte, aber in der Komfortzone unserer postheroischen Zeit nur dürftig befriedigt wird, schaffen wir Ersatzhelden, Ersatzheilige. Mythische Figuren wie Herakles oder Thor sind zu Comic-Helden geworden, und von Comics auf die Leinwand übergesprungen, wie Batman, Superman, Spiderman, und was die Omnipotenzphantasien der Kindheit sonst noch hergeben.
Wir verirren uns mit unseren Anhimmelungen in die Welt der Filmsterne und Pop-Idole. Als ich zum ersten Mal damit zu tun hatte, bei einem Interview mit der Rolling-Stones-Legende Mick Jagger, konnte ich an nichts anderes denken als erstens „Wahnsinn, du sprichst mit Mick Jagger“, zweitens „Er ist Mick Jagger und du bist es kein bisschen“, drittens „Erschieß dich“.
Helden der Leinwand sind auch nur Menschen
Im Laufe der Jahre hat sich das Verhältnis selbstverständlich professionalisiert, beide Teilnehmer wissen, dass es eine Geschäftsbeziehung ist, oder wie es im „Paten“ heißt, wenn es um Morde innerhalb der Mafia-Familie geht, „it's strictly business, nothing personal“, und genau auf dieser Grundlage entsteht doch so etwas wie eine Kurzbeziehung auf Augenhöhe. Und so kommt es, dass ich mir keine Mühe gab, beim Tee-Trinken mit Jeremy Irons meine Langeweile zu verbergen, so wenig wie er die seine, oder mit Harrison Ford engagiert über obdachlose Männer diskutierte. Und es zeigte sich: Helden, auch die der Leinwand, sind nur Menschen, die in manchen Fällen äußerst einfühlsam und hilfsbereit sind.
Ein Merkmal teilen alle Helden und Heldinnen: Sie sind Einzelne. Sie folgen ihrer Bestimmung. Sie sind innengelenkt. Tatsächlich ist es nicht die Selbstaufopferung, die den Helden, die Heldin ausmacht, sondern die Einsamkeit der Selbstbestimmung.
In Leipzig wuchs der Mut zum Widerstand gegen das Regime
Oft, so scheint es mir im Rückblick, hat erst der Widerstand meinen Lebensweg geformt. Erst im Gegenwind spürte ich mich. Das ist wohl die stärkste Verführung, die von von Helden ausgeht. Todesmutige wie Ernst Jünger sind Helden nach meinem Geschmack. Er, der im Sturmangriff durch den Kugelhagel rannte und nachts in der Verschanzung Thomas de Quinceys „Bekenntnisse eines Opiumessers“ las: Krieger und literarischer Dandy in einem. Unsere Zeit ist diesen Titanen nicht wohlgesonnen. Oder doch? Da wir im 30. Jahr der Wiedervereinigung leben, drängen sich noch einmal die Szenen aus der „Heldenstadt“ Leipzig mit ihren Montagsdemonstrationen auf. Zunehmend größer wuchs der Protestzug, der sich über die Ringstraße schob, mit jedem Montag mehr verlor sich die Angst vor dem totalitären Regime, wuchs der Mut zum Widerstand. Ich glaube, die Ironie der Geschichte will es, dass nun erneut Menschen in Massen auf die Straße gehen, um zu protestieren, auch solche, die schon damals dabei waren. Sie demonstrierten gegen die Politik der Kanzlerin und anderer Politiker mit DDR-Vergangenheit, die sie an damals erinnern. Das ist ihr gutes Recht.
Und die zweite Ironie: Es bedurfte eines Publikumslieblings aus der ehemaligen DDR, nämlich des Schauspielers Jan Josef Liefers, der die Parallelität der beiden Protestzüge entdeckte und sie miteinander verglich, ohne Diktatur und Demokratie gleichzusetzen. Aber er zeigte doch die totalitären Entstellungen auf, die unsere freiheitlich demokratische Grundordnung im Laufe der „Corona-Panik“ nicht nur seiner Ansicht nach erlitten hat.
Vasallentreue Künstler verunglimpfen Kollegen als Hirntote
Im gegenwärtigen kulturellen Mehrheitsklima geht Liefers damit ein beträchtliches Risiko ein, denn das Gros der Künstler, allen voran Udo Lindenberg oder Herbert Grönemeyer, hat der Regierung Vasallentreue geschworen und nennt „Dissidenten“ unter dem Beifall der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und der Presse „Hirntote“.
Liefers ist also ein stolzer Einzelner und entspricht gerade nicht dem Aphorismus von Norbert Bolz, demzufolge „Schauspieler immer die politische Meinung äußern, von der sie annehmen, dass sie dem Publikum gefällt“. Viel eher entspricht er aus meiner Sicht der Definition des innengelenkten Helden. Er agiert nicht kriegerisch. Er greift über sich ins Allgemeine hinaus und prägt sich dem Kollektivmenschen mit genau diesem Paradox schimmernd ein.
Mit einer Heldin verheiratet
Habe ich jemand vergessen? Verdammt, ich habe nur Männer genannt. Dabei gibt es natürlich auch weibliche Heldinnen. Jede Menge sogar. Monika Maron zum Beispiel, die in ihrem aktuellen Roman „Artur Lanz“ ihre Sehnsucht nach Helden großartig ausdrückt. Tja, und mit einer Heldin bin ich sogar verheiratet. Hätte sie nicht schon oft Gründe gehabt, mein Leben so enden zu lassen, wie das des Apostel Matthias? Ich will es lieber nicht beschwören.
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