Gut & Böse

Gottes große Prüfung an die Menschen

Wir leben in einem Zeitalter, in dem der Glaube mehr denn je als archaisches Überbleibsel einer längst vergangenen und vermeintlich überwundenen Welt angesehen wird. Doch biblische Figuren wie Abraham faszinieren .
Isaak und Abraham
Foto: wiki | Gott hatte von Abraham dessen einzigen Sohn Isaak als Opfer gefordert. Abraham war dazu bereit. Doch der Engel des Herrn schritt ein - hier dramatisch dargestellt von Caravaggio - und offenbarte den wahren Willen ...

Die Figur Abrahams verfolgt mich seit sehr langem. Er gilt als der Vater des Glaubens und auch als Stammvater dreier Religionen. Seine Geschichte ist intensiv und strotzt nur so vor "unglaublichen" Begebenheiten. Mich interessiert hier vor allem die auf den ersten Blick skandalöse Forderung Gottes, er möge seinen einzigen Sohn, den Gott ihm bereits gegen alle menschliche Wahrscheinlichkeit in hohem Alter geschenkt hat, als Brandopfer darbringen.

Zunächst fasziniert daran natürlich dieser bedingungslose Glaube, der auch als blinder Gehorsam gewertet werden kann, was allerdings nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts kaum mehr als Tugend durchgeht. Mir wurde auch sehr früh bewusst, dass dieser Akt des Glaubens in alle Ewigkeit einzigartig bleiben musste, denn Abraham konnte nicht wissen, dass ein Engel seinen Sohn retten würde, während allen Nachgeborenen, die diese Geschichte kennen, ein derart absolutes Vertrauen in Gott nicht mehr möglich ist, da sie ja mehr oder weniger insgeheim auf den rettenden Engel hoffen würden, weil sie die Geschichte kennen. Wer sich heute dazu berufen fühlt, Gott das Wichtigste in seinem Leben anzuvertrauen, zum Beispiel das eigene Leben, der rechnet gewissermaßen schon mit der dann eben nicht mehr ganz so "unerwarteten" Rettung.

„Es mag in manchem Leben vorkommen,
dass sich Ereignisse einzig auf Gottes Wirken zurückführen lassen können,
dann ist man sehr schnell versucht, Gott auf Grund dieser Erfahrung
irgendwie zu definieren oder sich Gottes Willen zurechtzubiegen“

Wie alle biblischen Geschichten muss auch diese in ihrem historischen Kontext gesehen werden. Abraham war eben der erste und einzige, dem dieses Schicksal widerfuhr, seither gehört diese einzigartige menschliche Erfahrung zum kollektiven Bewusstsein jüdisch und christlich geprägter Menschen. Trotzdem leben wir in einem Zeitalter, in dem der Glaube mehr denn je als archaisches Überbleibsel einer längst vergangenen und vermeintlich überwundenen Welt angesehen wird. Möglicherweise war dies allerdings auch immer schon so.

Mich interessiert jedoch, welche Botschaft Gottes an Seine Kinder Jahrtausende später in dieser extremen Prüfung verborgen sein könnte – oder welche Botschaften, denn ich tendiere dazu zu glauben, dass es mehrere sind. Die Bedeutung der biblischen Geschichten muss ja nicht nur immer wieder neu am Lauf eines menschlichen Lebens gemessen werden, sondern auch im Ablauf der Heilsgeschichte des menschlichen Geschlechts immer wieder neu verstanden werden.

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Immer wieder erneut die Frage, was menschliche Freiheit sei

Im postrevolutionären Zeitalter des Goldenen Kalbes "Demokratie" stellt sich die Frage nach der menschlichen Freiheit doch immer wieder neu. Wird der Mensch durch eine größere Anzahl von Erkenntnissen im Laufe der Geschichte freier oder wird sein Entscheidungsspielraum durch diese im Gegenteil immer enger, weil er es ja "hätte wissen müssen"? Wird womöglich sein Schuldenrucksack schwerer, weil es immer weniger gültige Ausreden und Vorwände für ein Fehlverhalten gibt, das sich immer erst post festum als solches herausstellt?

Fordert Gott zuweilen scheinbar Unmögliches, um unsere Eigenverantwortung zu prüfen oder zu schulen? Lädt Er uns zum Verzicht ein, um dadurch einfach wieder das Bewusstsein zu wecken, dass letzten Endes doch alles von Ihm und von niemandem anderen kommt? Möchte Gott uns vom "Kadavergehorsam" befreien, indem Er uns vor eine unerfüllbare Forderung stellt, damit wir unsere eigene Vernunft und Eigenverantwortung ins Spiel bringen und Ihm nicht blind gehorchen? Will Er uns sagen: "Bist Du verrückt, auch wenn Ich es bin, der diese Forderung stellt, solltest Du Deinen Grips zusammennehmen und selbstverständlich gegen mich protestieren, denn Ich habe Dich mit Vernunft und Eigenverantwortung ausgestattet"?

Jeder Mensch muss sich in seinem Leben eigene Bezugspunkte setzen

Ich halte diese Interpretation für zunehmend maßgeblich. So sehr Kinder sich zunächst noch dadurch rechtfertigen können, dass sie ihren Eltern gefolgt oder gegebenenfalls nicht gefolgt sind, jedoch in jedem Fall von der Vorgabe dieser Eltern abhängig sind oder deren Werteskala die ihre bestimmt, so kommt doch irgendwann im Leben der Moment, da der neue Mensch sich seine eigenen Bezugspunkte und Referenzen in Eigenverantwortung wählen muss. Diese können, müssen jedoch nicht mit den von den Eltern erlernten übereinstimmen. 

Die Geschichte der Menschheit ist aus der Sicht eines Glaubenden eine Heilsgeschichte, aber es ist eben eine Geschichte, also eine Entwicklung im Laufe der Zeit, der einzelne Mensch ist mit einer permanenten Veränderung seiner Umwelt konfrontiert, eine Herausforderung, der er mit mehr oder weniger, meistens weniger Geschick begegnet. Die Zeit, dieses hohe Gut, ist unveräußerliches Eigentum Gottes. Er stellt sie uns zur Verfügung, doch können wir ihre Gesetzmäßigkeiten nicht verändern und wir tun gut daran, diese zu respektieren. Die Freiheit des Menschen ist niemals eine absolute. Sie besteht allerhöchstens in der Wahl zwischen Annahme oder Ablehnung der Gesetzmäßigkeiten des Lebens, welche vorgegeben sind. Der Mensch findet sie vor und kann sie nicht verändern. Er kann sie allerdings immer tiefgehender erforschen. Er verfügt über einen gewissen Handlungsspielraum, wenn er diesen überdehnt, kostet es ihn oder andere Menschen zuweilen – auch nicht immer – das Leben.

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Je älter wir werden, umso mehr wissen wir um unser Nichtwissen

Es sollte ihm nicht gleichgültig sein, wenn es andere sind, denn in seinen Geschwistern stirbt er selbst ein Stückchen mit. Die Erfahrung, dass die Erkenntnis des Nichtwissens mit steigendem Lebensalter zunimmt, ist wohl so alt wie das menschliche Denken an sich. Die Frage ist, wie gehe ich in dem Moment dieser höchstmöglichen Erkenntnis (nämlich, "dass wir nichts wissen können", wie Goethes Faust bedauert) mit selbiger um? Revoltiere ich gegen diese Tatsache oder nehme ich sie an? Wie treffe ich von diesem Moment an meine Entscheidungen, was gebe ich der nächsten Generation mit, die ich zum Teil womöglich selbst gezeugt habe? Worauf ist denn überhaupt noch Verlass?

Gott allein kennt unsere persönlichen Grenzen und unsere Urteilsfähigkeit. Die ersten Lebensjahre und zunehmend Lebensjahrzehnte sind ein Spießrutenlauf durch ein Gestrüpp von Irrtümern und Illusionen einer Scheinwelt, die von Generationen errichtet wurde, die die Realität des menschlichen Seins auf der Erde nicht ertragen haben, verbrämt mit Momenten realen Lebens, wobei es dem einzelnen eben nicht immer möglich ist, das eine vom andern zu unterscheiden. Gottes Antwort darauf ist jedoch immer wieder der Neue Mensch, den Er zu einer immer größeren Freiheit, oder mit anderen Worten "Ko-Kreativität" führen möchte.

Gott ist frei - selbst von den von Ihm geschaffene Gesetzmäßigkeiten

Im Unterschied zum hilflosen menschlichen Staat sanktioniert Gott nicht, zumindest nicht unmittelbar nach einer Fehlhandlung, was dann oft dazu führt, dass die Zusammenhänge immer schwerer nachzuverfolgen sind – vor allem für jene Menschen, die in erster Linie ihrem Intellekt und einer rationalen Welterklärung vertrauen. Gott aber ist absolut frei, kann also jederzeit auch die von Ihm geschaffenen Gesetzmäßigkeiten brechen. Was also vor allem zählt ist der gute Wille, der Wille, das Gute zu tun.

Wie weit dieser nun dem Einzelnen vorgegeben ist oder er tatsächlich frei ist, ihn zu wählen, ist für den Menschen mit freiem Auge nicht sichtbar. Die Erfahrung zeigt auch, dass der Mensch guten Willens ständigen Versuchungen und Herausforderungen ausgesetzt ist, und zwar umso mehr, als sein höchstpersönliches "Schuld"-Bewusstsein ausgeprägt ist. Es gibt auf dieser Welt einen Willen und einen Geist, das Gute als böse und das Böse als gut dastehen zu lassen. Das eine vom anderen zu unterscheiden, vor allem in sich selbst, und sich für das Gute, also das dem menschlichen Leben Zuträgliche zu entscheiden und das Leben selbst als "gut" anzusehen, ist vielleicht die größte Herausforderung, der sich vor allem der Geistesmensch gegenüber sieht.

Hinauswachsen des Geistes über sich selbst

Es mag in manchem Leben vorkommen, dass sich Ereignisse einzig auf Gottes Wirken zurückführen lassen können, dann ist man sehr schnell versucht, Gott auf Grund dieser Erfahrung irgendwie zu definieren oder sich Gottes Willen zurechtzubiegen. Doch ich denke, auch wenn es zuweilen so aussieht, als ob Gott uns in Situationen führte, aus denen wir ohne Missachtung Seiner Gebote nicht herausfinden können, handelt es sich dabei wohl vielmehr um eine Einladung zu einem Hinauswachsen des Geistes über sich selbst und die bisherigen Möglichkeiten, um einen neuen Weg in einem Leben zu eröffnen, in dem der Mensch zunehmend im selbstgestrickten Gestrüpp zu ersticken drohte.

Ich habe Abraham immer ein bisschen darum beneidet, und es als eine Art Ungerechtigkeit empfunden, dass Gott so direkt und Klartext mit ihm spricht. Vielleicht sollte ich das nicht und eher dankbar dafür sein, dass Er es mit mir nicht tut.


Der Autor ist Schauspieler und Sprecher.

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