Feuilleton

Gerhard Richters wohl letztes großes Werk

„Wie orientalische Muster“: Gerhard Richters Kirchenfenster sind die Hauptattraktion eines der ältesten Klöster auf deutschem Boden, der frisch herausgeputzten Abtei Tholey.
Richter Glasfenster in der Abtei Tholey
Foto: Thiede

Die Benediktinerabtei Tholey rühmt sich, das älteste Kloster auf deutschem Boden zu sein. Sie beruft sich dabei auf ein anno 634 abgefasstes Testament, in dem die Kirche von Tholey erstmals genannt wird. Plündernde und brandschatzende französische Revolutionstruppen beendeten 1794 das Klosterleben. Papst Pius sorgte 1949 für die Wiedererrichtung der unter dem Patronat des heiligen Mauritius stehenden Abtei von Tholey. Mit den neuen Kirchenfenstern nach Entwürfen des Künstlers Gerhard Richter steht der abgelegene Ort plötzlich im Blickpunkt der internationalen Öffentlichkeit.

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Das Geld für die Sanierung lag sprichwörtlich "auf der Straße"

Das einzige Kloster des Saarlandes stand 2008 kurz vor der Pleite. Für die wirtschaftliche Konsolidierung sorgten Landverkauf an die Gemeinde Tholey sowie Zuwendungen des Fördervereins, des saarländischen Wirtschaftsministeriums und der Europäischen Union. Daraufhin begannen Bau- und Sanierungsmaßnahmen, die das Erscheinungsbild der Abtei stark verschönert haben. Sie verfügt nun über einen für Besucher zugänglichen Park nach barockem Vorbild, einen den Mönchen vorbehaltenen Landschaftsgarten und kunstvolle schmiedeeiserne Eingangstore. Entscheidenden Anteil an der Neugestaltung hat die mit der Produktion von Autobahnleitplanken, Gitterrosten und Metalltreppen erfolgreiche Unternehmerfamilie Meiser.

In den letzten beiden Jahren floss der Hauptanteil der Gelder der Stifterfamilie in die Sanierung der Abteikirche. Das um 1302 geweihte Bauwerk gilt als eines der ältesten gotischen Gotteshäuser Deutschlands.Das neben der Abtei gelegene Museum Theulegium informiert über die Kirche und ihre Vorgängerbauten. In der altehrwürdigen Abteikirche ist nun vieles neu: die Lichtanlage, die Tonanlage und das Glockenwerk. Die Orgel wurde überholt, an die 3 500 Mauersteine wurden ausgetauscht, etliche Blattwerkkapitelle neu gemeißelt – und die Fenster neu gestaltet. Der Konvent um Abt Mauritius Choriol lobte einen anonymen Wettbewerb aus, den eine afghanische Künstlerin muslimischen Glaubens gewann: Mahbuba Maqsoodi. Die meisten ihrer 34 Bildfenster sind bereits eingebaut. Sie zeichnen sich durch die expressive Bildsprache und wuchtige Gestalten aus. In den Turmfenstern ist der Höllensturz dargestellt. Im linken Nebenchor hält Josef das neugeborene Jesuskind im Arm, zwei Fenster weiter ist die Kreuzigung zu sehen.

Das letzte Geheimnis ist nicht figürlich dargestellt

Für den Entwurf der drei Fenster des Hauptchores fragten die Mönche bei Gerhard Richter an, der bereits mit seinem 2007 im Kölner Dom enthüllten Fenster für Furore sorgte. Er hatte wegen seines hohen Alters zunächst Bedenken, fand die Aufgabe aber so reizvoll, dass er zusagte. Nach ihrer Vollendung ließ der 88 Jahre alte Richter verlauten, sie seien sehr wahrscheinlich sein letztes großes Werk. Seine Tholeyer Fenster bieten das genaue Gegenteil zur fast schon brachialen Gegenständlichkeit Maqsoodis. Denn Richters abstrakte Formen und Muster wirken filigran. Und doch harmonieren die Fenster des Künstlers und der Künstlerin. Das liegt an den gleichartig bunten Farbtönen und sicher auch daran, dass sie allesamt aus der Münchner Glaswerkstatt Gustav van Treeck hervorgegangen sind. Die beschreibt ihre Arbeit so: „Unterstützt von intensiver digitaler Vorarbeit entstehen die Richter-Fenster als Sandwich-Verglasungen unter Verwendung verschiedenster Techniken wie dem Ätzen von Überfanggläsern, Glasmalereien, Siebdrucken und Sandstrahlarbeiten.“

„Sie sehen aus wie orientalische Muster,
halb abstrakt, halb erzählerisch.“

Der am besten bezahlte Künstler der Welt lieferte seine Entwürfe kostenlos. Er entnahm sie seinem 2012 veröffentlichten Künstlerbuch „Patterns“, dessen farbige Muster aus der digitalen Bearbeitung eines seiner abstrakten Gemälde hervorgegangen sind. Die jeweils 1,95 Meter breiten und 9,3 Meter hohen Lanzettfenster weisen mehrere Muster auf, die sich vertikal und horizontal gespiegelt wiederholen. In den Seitenfenstern herrscht rotes und blaues Glas vor, in dem in der Mitte treten gelbes und grünes hervor.

Schnell bekommt man „Bildhalluzinationen“ in Form verzerrter Gesichter und Figuren oder Dingen wie überdimensionaler Sanduhren und Springbrunnen mit goldenem Wasser. Richter urteilt: „Sie sehen aus wie orientalische Muster, halb abstrakt, halb erzählerisch.“ Abt Mauritius aber hat zu den Motiven folgende Meinung: „Diese Fenster werden den Hintergrund für die ganze Liturgie darstellen. Ich finde es wunderbar, dass das letzte Geheimnis, also das Gottesgeheimnis, das letzte Mysterium nicht figürlich dargestellt wird. Denn es ist zutiefst christlich, dass wir in diesem Leben kein Bild von Gott haben.“ Als junger Mann trat der in Dresden geborene Richter aus der evangelischen Kirche aus. Bei der letztjährigen Präsentation der Fensterentwürfe bekannte der für die Koordination der Maßnahmen zuständige Frater Wendelinus: „Wir wissen ja, dass er Agnostiker ist, aber wir finden so viele Deckungsebenen mit ihm, die wirklich sehr schön sind.“

Neue Einnahmen sollen die Abtei finanzieren

Die Richter-Fenster sollen Kunstfreunde anlocken und somit auch die Sanierungsmaßnahmen und das neue Nutzungskonzept das langfristige Bestehen der Abtei sichern. In ihr widmen sich zwölf Benediktiner im Alter von 24 bis 75 Jahren der Seelsorge und betreiben ein Gästehaus. Die St. Mauritius Tholey GmbH ist für die touristische und kommerzielle Erschließung der Abtei zuständig. Mit ihren Einnahmen soll die Abtei finanziert werden.Im Oktober eröffnet sie den Klosterladen und das Besucherzentrum, in dessen Obergeschoss Seminare zur Selbstoptimierung abgehalten werden. Besucher der Klosteranlage bezahlen Eintritt und wer den Richter-Fenstern nahe kommen will, muss eine Führung mit Besichtigung des Altarraums buchen. Sie werden ab Oktober angeboten.

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