Feuilleton

Gegenwärtiges Leuchten

Am 11. Februar 2013, also vor genau fünf Jahren, überraschte der deutsche Papst seine Anhänger und seine Kritiker. Er trat von seinem Amt zurück. Eine persönliche Erinnerung. Von Matthias Matussek
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. im Jahr 2011 auf dem Flughafen in Lahr.
Foto: dpa | Historische Deutschland-Visite mit nachhaltigem Erhellungs-Effekt, nicht nur am Abendhimmel: Der emeritierte Papst Benedikt XVI. im Jahr 2011 auf dem Flughafen in Lahr.

Nur fünf Jahre soll es her sein, dass der deutsche Papst sein Amt niederlegte und sich zurückzog? Nur fünf Jahre seit Benedikt XVI. die Welt wissen ließ, was in ihm in langen Monaten zum Entschluss gereift war, zu Beginn eines Kardinalskonsistoriums am 11. Februar 2013, formvollendet, auf Latein? Wie hat sich die Welt nur verwirbelt in diesen fünf Jahren, einige würden sagen: verfinstert, die Stürme haben zugenommen und die Weltkirche ächzt in ihren Befestigungen.

Mit leiser Stimme sagte Benedikt XVI., er sei „zur Gewissheit gelangt, dass meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben“. Da hatte er, dem besonders seine deutschen Kritiker den Hang zu Pomp und Macht vorgeworfen hatten, eine weitere Ungeheuerlichkeit begangen: Er ließ los.

Für die einen war es ein couragierter, verantwortungsbewusster Schritt. Andere kritisierten ihn. Ist nicht sein Vorgänger, der Löwe aus Polen, ein Kämpfer bis zum Ende, halb umnachtet, in den Stiefeln gestorben? Und hat er nicht genau dadurch die Weltkirche belebt und vereint im Gebet? Seine letzten Worte waren „Fürchtet euch nicht“.

Der Löwe wurde nicht müde, einen Gedanken immer neu zu formulieren: Macht euch nicht gemein mit der Welt der Zerstreuung und der Trivialitäten. Seid anders, seid Heilige. Und es war sein Vertrauter, Kardinal Ratzinger, Chef der Glaubenskongregation, der viele seiner Reden und Enzykliken mit ihm durchdacht hatte. Er wurde im Konklave in Rekordzeit zum Papst gewählt.

Sie beide verstanden die Kirche als Bollwerk gegen eine Welt der Relativierungen und der Käuflichkeiten, und der Wellenschlag gegen diesen stolzen katholischen Eigensinn wurde höher, heftiger, giftiger, je länger Papst Benedikt die Kirche führte.

Ich mochte Papst Benedikt von Anbeginn an, eben weil er anders war als sein Vorgänger. Er war leise und trotzdem eine Herausforderung. Ein Leuchten ging von ihm aus. Und ich bilde mir ein, dass dieses Leuchten noch immer gegenwärtig ist, diese weiße Soutane in den Gärten des Vatikans, Rosenkranz betend mit seinem treuen Sekretär, dem Erzbischof Georg Gänswein.

Dieses Leuchten bleibt. Ohnehin ist es in seinen Enzykliken enthalten und in der großen Jesus-Trilogie, die er als Papst vollendete, und es hat sich als helle Erinnerung abgelagert.

Papst Benedikt XVI. führte vor, was es heißt, katholisch zu sein. Dass er den Alten Ritus wiederbelebte, ist nur folgerichtig, auch, dass er die Messen im Brokat der Tradition feierte. Es war diese Geste: Schaut her, welche Schätze – äußere und die gehaltvollen inneren – diese 2 000 Jahre alte Kirche zu bieten hat. Papst Benedikt schien besonders von einem gläubigen Journalisten zu verlangen, dass man Stellung bezog. Mit ihm und für ihn zu streiten, war für meine Selbstfindung als Katholik enorm wichtig. Was er in den sieben Jahren seiner „Amtszeit“ geleistet hat, was er in dieser Zeit zum Leuchten gebracht hat, war das Katholische in seiner schönsten Form.

Seine erste Enzyklika als Papst galt der Liebe und sie war – erleuchtet. Es war ein hellenisches Leuchten der Vernunft und der Schönheit darin, ein Lehrbrief, der gleichzeitig Herz und Verstand bewegte. „Deus caritas est“. Gott ist die Liebe. In dieser knappsten aller Formeln des Johannes steckt alles.

Vielleicht kann ihm erst im Rückblick Gerechtigkeit widerfahren. Und da ist viel. Ja, das Pensum dieses Papstes war erstaunlich und die Wegmarken, die er gesetzt hat, waren es ebenfalls.

Ich habe seine Wahl zum Papst als London-Korrespondent verfolgt, die englischen Boulevard-Blätter waren voller Anspielungen auf den zweiten Weltkrieg, wie es sonst nur bei Länderspielen gegen die „Krauts“ üblich war. Da wurde Ratzingers Kindheit in der HJ hervorgekramt, selbstverständlich ohne seine Messdienerzeit zu erwähnen, er war der „Panzer-Kardinal“ oder „Gottes Rottweiler“, der finstere „Chef der Inquisition“. Es war Schlachtenlärm wie im Fußballstadion, und die Bild-Zeitung nahm den Ball auf und grölte: „Wir sind Papst“.

Mehr als ein kurzatmiger Tribünengesang wurde daraus nicht, obwohl Benedikt XVI. ja ganz unerwartet als lächelnder Pontifex hoch oben über dem Petersplatz stand und ihm bei seinem ersten Deutschland-Besuch, auf der Fahrt den Rhein hinunter oder beim Blitzbesuch in seinem Geburtsort die Herzen zuflogen.

Da unten, in Altötting, habe ich ihn zum ersten Mal live erlebt, wie konzentriert er die Monstranz durch die Reihen der Messbesucher im Freien trug, als müsse er das Allerheiligste gegen Angriffe schützen, möglicherweise gegen erbitterte Gegner wie Küng oder Drewermann oder Ute Ranke-Heinemann und Co., die jederzeit aus den Büschen hervorbrechen könnten.

Und dann war sie schon vorbei, diese kurze Liebesgeschichte mit den merkwürdigen Deutschen aus dem Lutherland, denn kurz darauf hielt Papst Benedikt XVI. in Regensburg einen akademischen Vortrag zu Glaube und Vernunft, ohne jeden Anflug von Opportunismus.

Glaube und Vernunft, die sich ergänzen müssen, das war das Signum seiner Amtszeit. Er hatte den byzantinischen Kaiser Manuel II. in einem Gespräch mit einem persischen Gelehrten zitiert: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.“ Und damit war er für die deutsche Intelligenz geliefert.

Nun traten all diejenigen aus der Deckung, die im ersten Schock über seine Wahl den Atem angehalten hatten. Wie konnte er es wagen, den Islam in der Art zu beleidigen? All diejenigen, die zuvor auf der Palme waren über die islamistischen Morddrohungen gegen die dänischen Mohammed-Karikaturisten, stiegen nun herab und traten zu. Alle, die den Islam in seiner Gewaltbereitschaft kritisiert hatten, schwenkten um und kritisierten nun den Papst. Wie sehr er mir damals imponiert hat in seinem unerschrockenen, ja vielleicht auch naiven Beharren auf der Vernunft als göttlichem Geschenk – nicht nur mir übrigens: über 140 islamische Gelehrte dankten ihm in seinem Brief für seine offenen Worte. Und dann kam es knüppeldick. Der Missbrauchskandal überschattete sein Pontifikat, ausgerechnet seines, denn er war der Erste, der aufräumte und auf die Knie ging vor den Opfern und um Verzeihung bat.

Hier kam es auch für mich innerlich zum Bruch mit dem „Spiegel“ – ich wollte Peter Seewalds Interviewbuch mit ihm besprechen, das „Licht der Welt“, als mir der damalige Vizechefredakteur entgegenhielt: „Wir haben 13 Leute im Feld, um ihm Missbrauch nachzuweisen, da kannst Du ihn doch nicht freisprechen.“ Nein, als Jagdgemeinschaft hatte ich meinen Beruf nie verstanden.

Als ich Benedikt XVI. schließlich treffen und auf dem Flug zum Weltjugendtag nach Madrid für ein paar Minuten neben ihm Platz nehmen durfte, war ich erstaunt, wie gut er im Bilde war. „Herr Matussek, wie geht's Ihnen beim Spiegel?“ Ich antwortete: „Ach, Heiliger Vater, mal so, mal so. Im Moment eher so.“ Er lachte. In Madrid feierte er dann mit drei Millionen Jugendlichen die Messe auf dem Feld der Vier Winde, und diese feierten ihn mit einer glühenden Anhänglichkeit, die alle erstaunen ließ, die ihn nur als akademischen menschenscheuen Kirchenlehrer missverstanden hatten, ohne sein Charisma, nämlich seine Güte und seine innige Volksfrömmigkeit, wahrzunehmen.

Schon auf diesem Flug ließ er anklingen, dass die bevorstehende Reise nach Deutschland für ihn eine Reise in Feindesland bedeuten werde. Ich hatte ihm mein Katholikenbuch mit der Augustinus-Widmung versehen: „Qui incipit amare, qui insipit exire.“ Nur wer loslässt, beginnt zu lieben. Man sah diesem feinnervigen Theologen die Angst an, als er kurz vor Abflug das „Wort zum Sonntag“ aus dem Vatikan in die deutsche Provinz der Weltkirche sprach, klein im Goldenen Thron, verloren wie „Kevin allein zu Haus“. Eine reiche deutsche Provinz, deren Gläubige zwar nur zwei Prozent der una sancta ausmachen, aber mit ihrem sehr eigenwilligen Episkopat über weit überproportionalen Einfluss verfügt. Ganz zu schweigen von den Medien und der tief verwurzelten antirömischen Affekte im Lutherland.

Seine Reise wurde zum Triumphzug. Er begann mit einer Rede im Reichstag, wo er klarmachte, gerade in diesem historischen Parlamentsgebäude, dass die Mehrheit nicht immer die Wahrheit bedeute. Nicht die aktuellsten Beliebtheitsumfragen sollen zum Ziel der Politik werden, sondern das Gute.

Mit sanfter Stimme haute er den versammelten Politikern – außer denen, die aus Protest kurz vorher den Reichstag verlassen hatten, um sich draußen in die Schwulendemos einzureihen – den Satz des Augustinus um die Ohren: „Nimm das Recht weg – was ist der Staat noch anderes als eine große Räuberbande.“

In Freiburg sprach er seinen deutschen Kirchenfürsten ins Gewissen und forderte sie zur „Entweltlichung“ auf und zu einer innengelenkten Ausübung ihrer Ämter und Geschäfte, ja, diese letzte Reise zu seinen Deutschen hatte es in sich.

Seine anschließende Reise nach England, ins Reich des abtrünnigen Heinrich VIII. und virtuoser Gottesleugner wie Richard Dawkins und Christopher Hitchens und wütender Protestandrohungen, auch sie wurde zu einer Reise in die Herzen. Wie sie ihn feierten, gemeinsam mit ihrer Queen und ihren Corgies.

Sein Entschluss zum Rücktritt muss allerdings schon festgestanden haben, der Verrat seines Kammerdieners tat ein übriges. Wir dürfen im Rückblick auf ihn ruhig zurücklächeln und uns wünschen, dass sich die una sancta die fromme Unbeirrbarkeit dieses deutschen Papstes nie wird nehmen lassen, ganz besonders nicht in den Stürmen dieser Zeit.

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