Erlebt die katholische Kirche in diesem Jahr einen „goldenen Oktober“ oder steht ihr vielmehr bald ein „heißer Herbst“ bevor? Diese Frage entzündet sich ausgerechnet an einem Landschaftsgebiet, das einerseits seit geraumer Zeit immer wieder Berühmtheiten wie Alexander von Humboldt oder Sting fasziniert hat, zum anderen auch noch (Papst Franziskus wird’s freuen) geografisch und theologisch „an den Rändern liegt“ – aber ansonsten gerade einmal vier Millionen Gläubige umfasst: das Amazonas-Gebiet.
Dieses Gebiet bedeckt fast die gesamte nördliche Hälfte des Kontinents Südamerika und gilt als eines der wichtigsten Ökosysteme der Welt – gleichzeitig umfasst es neun kirchliche Regionen: Bolivien, Brasilien, Ecuador, Peru, Kolumbien, Venezuela, Französisch-Guayana, Guayana und Suriname. Vom 06. bis zum 27. Oktober wird unter dem Titel „Amazonien: Neue Wege für die Kirche und die integrale Ökologie“ im Vatikan eine Synode zu eben dieser Landschaft und ihren Gläubigen stattfinden.
Riesiges Gebiet, kleine Gemeinde
Gesprächsthema soll dann drei Wochen lang die seelsorgerische und ökologische Lage der verstreut lebenden Gläubigen und der mehrheitlich indigenen Bevölkerung im äußerst weitläufigen Amazonasgebiet sein – so heißt es jedenfalls. Denn bereits im Vorfeld vermuten Beobachter, dass es bei dieser Synode – einer Herzensangelegenheit von Papst Franziskus – unter den Aspekten der Seelsorge und der Ökologie noch um ganz andere, weitreichendere Themen gehen könnte, die die gesamte Weltkirche betreffen dürften.
So wird angesichts des dünn besiedelten Gebietes mit dessen weit verstreuten Gemeinden darüber spekuliert, ob es bei der Amazonas-Synode zu einer – zumindest teilweisen – Lockerung des Zölibats für Priester im Amazonas-Gebiet kommen wird, ja sogar kommen muss. Der angeführte Grund: Meist gibt es zu wenige Priester, um die Seelsorge für alle Gläubigen sicherzustellen – eine Lösung hierfür könnten, so meinen manche, sogenannte „viri probati“ sein, also lebenserfahrene, aber verheiratete Männer, die zu Priestern geweiht werden, um den Problemen zu begegnen.
Und mit Blick auf die mehrheitlich indigene Bevölkerung im Amazonas-Gebiet betonte Papst Franziskus immer wieder, wie wichtig die Erfahrung der indigenen Völker Amazoniens sowohl für die Kirche wie für die ganze Menschheit sei. Die Synode sei demnach auch eine Möglichkeit, die als naturverbunden – und damit als äußerst zeitgemäß – geltende Spiritualität dieser indigenen Urvölker besser kennenzulernen. Oder wie es im „Instrumentarium laboris“ zur Amazonas-Synode heißt: „Es ist Zeit, auf die Stimme Amazoniens zu hören…“ (Nr. 43).
Hierarchie, Sexualmoral, Priesterbild: Um was geht es am Amazonas?
Der Anspruch dieser Synode, also seelsorgerische und ökologische Hilfestellungen für die Menschen im Amazonas-Gebiet zu erörtern, wird scheinbar mit jedem näherrückenden Tag des Synodenbeginns immer weiter ausgedehnt. Auf einmal scheint nicht mehr nur die Zukunft der Gläubigen Amazoniens, sondern die des ganzen Weltepiskopats vom Ausgang dieser Regionalsynode abzuhängen. Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck ist sich bereits jetzt sicher, dass die Amazonas-Synode zu einer „Zäsur“ in der gesamten Weltkirche führen werde. „Nichts wird mehr sein wie zuvor“, sagte der für das katholische Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat zuständige Ruhrbischof im Mai vor Journalisten in Essen. Denn bei der Amazonas-Synode stehe auch die hierarchische Struktur der Kirche genauso auf dem Prüfstand wie ihre Sexualmoral und das Priesterbild. Auch die Rolle der Frau in der Kirche müsse überdacht werden, so Overbeck. Man sieht: Ziemlich viele Fässer, die da auf einer einzigen Regionalsynode scheinbar aufgemacht werden sollen.
Nehmen wir in diesem Zusammenhang nur ein einziges „Fass“ heraus, um das es auf der Amazonas-Synode gehen soll: die Würdigung und Bekräftigung der indigenen Kultur und Religiosität im Amazonasgebiet. Eine Passage im „Instrumentum laboris“, nämlich die Forderung, dass, so heißt es dort wortwörtlich, „das arme und einfache Volk seinen (ursprünglichen?, Anm. SA) Glauben durch Bilder, Symbole, Traditionen, Riten und andere Sakramente“ (!) (126e) zum Ausdruck bringen könne, rief unter anderem den Widerspruch von Walter Kardinal Brandmüller auf den Plan, als dieser Ende Juni genau dieses vorsynodale Schreiben, das gleichsam als Arbeitswerkzeug für den Synodenverlauf dienen soll, einer grundsätzlichen (und scharfen) Kritik unterzog und feststellte, dass manche Passagen in diesem Schreiben schlicht und ergreifend als gegen die katholische Glaubenstradition zu betrachten seien.
Geister, Hexen, Zauberer
Gehen auch wir diesen Textausschnitt einmal Wort für Wort durch. Über welchen „Glauben“ des „armen und einfachen Volkes“ wird hier im Arbeitspapier gesprochen, der (positiv) gewürdigt und zum Ausdruck gebracht werden dürfe? Dieses erscheint nämlich ein wenig unklar. Ist es der an die Heilige Dreifaltigkeit oder doch der animistisch aufgeladene Glaube an eine Weltseele und deren unzählige Manifestationen in gute und böse Geister, Seelen, Hexen und Zauberer oder die in indigenen Religionen häufig anzutreffende „Erdmutter“? Welche wiederum lobenswerten „Bilder, Symbole, Traditionen, Riten“ fallen außerdem in den Bereich, den das „Instrumentum laboris“ anspricht? Den der heilenden und heiligenden christlichen Bilder, Symbole, Traditionen und Riten oder die der Geisterbeschwörungen, Tanz- oder Befruchtungsrituale indigener Völker?
Und außerdem: Welche „anderen Sakramente“, die beispielsweise in dieser Textpassage erwähnt werden, könnten dies – neben den sieben Sakramenten wohlgemerkt – sein? Da fällt einem letztendlich nur der in indigenen Kulturen weitverbreitete Konsum von Ayahuasca ein, einem psychedelisch wirkenden Pflanzentrunk, der als halluzinogene Droge in indigenen Religionen einen quasi-sakramentalen Rang innehat. Diese Droge gilt mittlerweile auch in Europa als eine Art „ökologisch korrektes LSD“, welches die Sehnsucht nach einem achtsamen Leben mit der des Bedürfnisses nach Rausch verbindet.
Wofür stehen also Aussagen wie oben genannte im „Instrumentum laboris“ zur Amazonas-Synode? Und welche Schlussfolgerungen sind hieraus zu ziehen? Hasch statt Hostie? Gaia statt Gott? Ist am Ende alles gleich gut – oder doch eher am Ende alles Banane? Man muss nicht Kardinal Brandmüller oder der frühere Glaubenspräfekt Gerhard Kardinal Müller sein um festzustellen, dass sich an diesen und anderen Stellen im „Instrumentum laboris“ zur Synode Textpassagen befinden, die weit über die vom 2. Vatikanischen Konzil getroffene Feststellung des Vorfindens von Wahrheit auch in außerchristlichen Religionen hinausgehen und der Eindruck erweckt wird, dass der Glaube an Geister und Dämonen als gleichwertig zum Glauben an den dreifaltigen Gott zu betrachten sei.
"Ist am Ende alles gleich gut –
oder doch eher am Ende alles Banane?"
Stefan Ahrens
Manch einer möge jetzt denken: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Denn könne man diesen indigenen Naturreligionen trotz aller seltsam anmutenden Glaubensinhalte und Rituale nicht doch eine Sache zugutehalten: Nämlich die des vorbildlichen Umganges mit der Schöpfung, sprich mit der in diesen Religionen enthaltenen Intention, alle Lebewesen und ebenso die Natur gut zu behandeln, wie es an mehreren Stellen im „Instrumentum laboris“ heißt (u,a. 19, 75, 101)? Könne sich das Christentum da nicht mit seiner angeblich großen Umweltfeindlichkeit, wie es beispielsweise der deutsche Publizist und Umweltaktivist Carl Amery (1922–2005) in seinem 1972 veröffentlichten Buch „Das Ende der Vorsehung“ diesem vorwarf, in der Tat eine große Scheibe abschneiden? Und ist diese Form der Spiritualität nicht gar im Zeitalter von Fridays for Future und CO2-Steuern am Ende die wesentlich „zeitgemäßere“ Religion? So dass man mit Arthur Schopenhauer sagen möchte, dass es sich bei den indigenen Religionen um durchaus legitime „Wahrheit(en) im Gewand der Lüge“ handelt?
Wenn wir in diesem Zusammenhang mit Blick auf die Kirchengeschichte durchaus auch große Heilige wie Franz von Assisi oder Seraphim von Sarow nennen können, die sowohl im katholischen als auch im orthodoxen Christentum als besonders natur- und tierverbundene Heilige gelten (ganz zu Schweigen von Pionieren der Naturwissenschaft und Astrophysik wie Gregor Mendel und Georges Lemaitre), so muss in der Tat festgestellt werden, dass im 20. Jahrhundert selbst das Zweite Vatikanische Konzil noch durch einen fast naiv anmutenden Fortschrittsoptimismus auffiel. Dies betraf vor allem die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“, in der in großem Maße auf die Kraft des technischen Fortschritts vertraut wurde und somit auch der Überwindung ökologischer Krisen durch das richtige Maß an technologischem Know-How und Know-Why – was sich als Wunschdenken erwiesen hat.
Neues Verhältnis der Kirche zur Naturwissenschaft
In seinem Kommentar zu „Gaudium et spes“ konstatierte Joseph Ratzinger wohl vollkommen zu Recht, dass die Konzilsväter bei der Abfassung der Pastoralkonstitution stark vom Denken Pierre Teilhard de Chardins (1881–1955) und dessen optimistischer Deutung der Evolutionsgeschichte beeinflusst gewesen seien. Teilhard – katholischer Priester, Jesuitenpater und Paläontologe – galt zwar noch zum Zeitpunkt des Konzils (trotz kritisch-vorsichtiger prominenter Fürsprecher wie Henri de Lubac) als ein mit zahlreichen Lehrverboten belegter und – auch unter Naturwissenschaftlern vollkommen indiskutabler – Vermischer von katholischer Religion und einem eher lamarckistisch als darwinistisch geprägten Evolutionsverständnis – übte jedoch innerhalb und außerhalb der Kirche eine starke Faszination aus und lieferte den ersten Versuch innerhalb der Kirche im 20. Jahrhundert, sich dem Verhältnis von Religion und Natur(wissenschaften) neu anzunähern.
Seitdem haben über die Konfessionsgrenzen hinweg Theologinnen und Theologen wie Alfons Auer („Umweltethik“, 1984), Jürgen Moltmann („Ökologische Schöpfungslehre“, 1985), Medard Kehl („Und Gott sah, dass es gut war“, 2006) oder Elizabeth Theokritoff („Living in God’s Creation: Orthodox Perspectives on Ecology“, 2009) diesen Spielball aufgegriffen und in vorbildlicher Weise (ausschließlich) aus der jüdisch-christlichen Glaubenstradition schöpfend die untrennbare Verbindung von christlichem Glauben und einem verantwortungsvollen Umgang mit der Natur dargelegt. Ebenfalls zu nennen sind die Priester Rainer Hagencord und Kapuzinerpater Anton Rotzetter (+ 2016) mit ihrem 2008 gegründeten „Institut für Theologische Zoologie“, welches an die philosophisch-theologische Hochschule in Münster angegliedert ist – ganz zu schweigen von Päpsten und Patriarchen wie Benedikt XVI., Batholomaios oder Franziskus, die sich in Enzykliken und Reden dieses Themas mehrfach angenommen haben.
Verhehlen darf man jedoch ebenfalls nicht, dass im Bereich dieser „Ecotheology“ beziehungsweise „Ökotheologie“ auch nicht alles (theologisches) Gold ist, was glänzt. Seit den 1980er Jahren entstanden schöpfungstheologische Entwürfe, die durch befreiungstheologische oder feministische Impulse motiviert gewesen sind – und dadurch stark sowohl an Vorstellungen aus indigenen Religionen als auch an kosmisch-poetische Denkgebäude wie jene Teilhards angeknüpften.
Deshalb noch einmal zurück zum Amazonas: Wer nach „neuen“ Impulsen für den (eigenen) katholischen Glauben und dessen Verhältnis zur Natur Ausschau hält, der sollte diese zunächst einmal innerhalb der eigenen Tradition suchen – oben genannte Päpste, Patriarchen und Theologen taten dies ebenfalls. Eine Amazonas-Synode, die nicht den Gläubigen vor Ort dienen soll in punkto der Stärkung ihres (traditionellen) christlichen Glaubens, sondern eher den unsrigen Blick auf deren „indigene Weisheit“ schärfen soll, braucht es dafür nicht.