Feuilleton

Fritz Gerlich: Mutig und standfest bis zuletzt

Der katholische Journalist, Widerstandskämpfer und Märtyrer Fritz Gerlich soll seliggesprochen werden. Mit der offiziellen Eröffnung des Seligsprechungsprozesses durch Kardinal Reinhard Marx wird noch in diesem Jahr gerechnet. Von Stefan Meetschen
Fritz Gerlich: Starb als einer der „ersten Märtyrer des Dritten Reiches“
Foto: KNA | Starb als einer der „ersten Märtyrer des Dritten Reiches“: Fritz Gerlich.

Man kann sie sich nicht dramatisch genug vorstellen – die Festnahme des katholischen Journalisten Fritz Gerlich am 9. März 1933 in den Redaktionsräumen der Zeitung „Der gerade Weg“ in München, wie sie Gerlichs früherer Kollege Erwein Freiherr von Aretin (1887–1952) in seinem unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg verfassten Buch „Fritz Michael Gerlich. Lebensbild des Publizisten und christlichen Widerstandskämpfers“ schildert: Die Hausmeisterin stürmte schreiend die Treppe herauf: „Die Hitler kommen!“ Und tatsächlich: Bald darauf traten 50 bewaffnete SA-Männer herein. Hektisch suchten sie nach Gerlich, dem Chefredakteur der Zeitung, der sich gut verborgen im Dachgeschoss aufhielt und überlegte, ob er sich mit Pistolenschüssen verteidigen solle, für den Fall, dass man ihn fände. Währenddessen räumten die ungebetenen Besucher wichtiges Redaktionsmaterial zusammen. Als die Männer Gerlich schließlich dann doch im Dachgeschoss entdeckten, wehrte er sich nicht. Sie schlugen den Publizisten, der sich früh und prophetisch als Adolf Hitlers schärfster Kritiker etabliert hatte, blutig zusammen („Jetzt hat sie's, die alte Sau“), dann verhafteten sie ihn: 15 Monate „Schutzhaft“ im Polizeigefängnis in München und in Stadelheim warteten auf Fritz Gerlich, eine Kette von Folter und Misshandlungen. Am Abend des 30. Juni 1934 wurde er dann – im Zusammenhang mit dem angeblichen „Röhm-Putsch“ – in das Konzentrationslager Dachau gebracht und unter bis heute nicht vollkommen geklärten Umständen ermordet.

Fritz Gerlich starb als einer der „ersten Märtyrer des Dritten Reiches“, wie der Historiker Professor Karl-Joseph Hummel im Buch „Kirche, Krieg und Katholiken“ richtig schreibt. Deshalb kann man dankbar sein, dass das Erzbistum München nun das Seligsprechungsverfahren zu Fritz Gerlich vorbereitet, wie es ein Sprecher des Erzbistums Mitte Juli gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) geäußert hat.

Dankbar auch deshalb, weil der Name Fritz Gerlich vielen Deutschen bislang unbekannt ist. Trotz mancher Würdigung – erwähnt sei hier besonders die Ausstellung „Fritz Michael Gerlich – was für ein Mensch?!“ (2014), die in der Regensburger Stadtpfarrkirche Herz Marien zu sehen war und von dem Gerlich-Kenner Bischof Rudolf Voderholzer eröffnet wurde. Trotz mancher Erinnerungsveranstaltung und TV-Dokumentation. Trotz einer wachsenden Zahl von Publikationen über Gerlich – ein Beispiel: Ende Juni diesen Jahres veröffentlichte der renommierte Historiker, Professor Rudolf Morsey, der sich seit vielen Jahren mit dem 1883 in Stettin geborenen Journalisten und Archivar beschäftigt, eine ausführliche wissenschaftliche Biographie zu dem katholischen Journalisten.

Doch es gibt gerade auch für Katholiken, die oft mit den angeblichen Versäumnissen ihrer Kirche im Umgang mit dem braunen Terror konfrontiert werden, gute Gründe, sich an Fritz Gerlich zu erinnern. Nicht aus Nostalgie oder religiösem Selbstzweck, sondern aus dem angemessenen Respekt vor seinem Mut und seinem konsequenten Wirken für die Wahrheit, aber auch deshalb, weil – wie Karl-Joseph Hummel schreibt – die „Erinnerung (…) zu der Zuversicht beitragen [kann], dass wir den kommenden Herausforderungen gewachsen sind, (…).“ Und zwar als eine „Ausstattung für das 21. Jahrhundert“.

Denn: Fritz Gerlich war ein kompromissloser Freund und Sucher der Wahrheit. Der calvinistisch erzogene Gerlich, der im Fach Geschichte in München promovierte, blieb sich sein Leben lang treu in der Suche nach der Wahrheit – das war sein gerader Weg. Liberal, patriotisch, bürgerlich. Er besaß stets den Mut, sich selbst und seine politischen Einstellungen kritisch in Frage zu stellen und zu ändern, wenn er erkannt hatte, dass dies nach bestem Wissen und Gewissen nötig sei. Auch seinen menschlichen Schwächen – von denen er als passionierter Whisky-Trinker, Zigarrenraucher („Virginier“) und Choleriker nicht wenige besaß – trat er zuweilen schonungslos, wenn auch nicht immer erfolgreich entgegen.

Als er durch die Mystikerin Therese Neumann und den sich um sie formierenden „Konnersreuther Kreis“ die Wahrheit auf der metaphysischen Ebene in Jesus Christus als seinem persönlichen „Heiland“ gefunden hatte, folgte Gerlich den Ansprüchen dieser Wahrheit leidenschaftlich und kompromisslos. Was ihm zuweilen die Kritik von vorsichtigen oder – sagen wir es ruhig – opportunistischen Katholiken einbrachte. Wenn es das Phänomen des Konvertiten-Eifers gibt – bei Fritz Gerlich lag diese besondere religiöse Haltung sicherlich vor. Doch dieser Eifer war es auch, der ihm die Kraft schenkte, vor den Konsequenzen seines mutigen Schreibens nicht davonzulaufen, sondern standfest zu bleiben. Bis zuletzt. Bereit – jedes geschriebene Wort mit seinem Leben einzuzahlen. Ohne faule Kompromisse. Das verdient anhaltenden Respekt. Das ist vorbildlich. Gerade für Journalisten und andere Beobachter und Teilnehmer des öffentlichen Lebens.

Ferner gilt es festzuhalten: Fritz Gerlich kämpfte in den 1930er Jahren nicht nur einen politischen Kampf gegen Hitler, sondern einen geistlichen Kampf. Getreu der bekannten Bibelstelle: „Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs.“ (Eph. 6,12) Diese Dimension und Sichtweise – so unpopulär und angreifbar sie in den gegenwärtigen Geschichtswissenschaften und der modernen Theologie auch ist – muss man im Blick haben, wenn man Gerlich und sein Handeln verstehen und von ihm lernen will.

Auch deshalb, weil die Kräfte, die Deutschland zwölf Jahre kontrollierten und bis heute traumatisieren, wohl letztendlich auch gar nicht anders verstanden und erklärt werden können. Der Nationalsozialismus war eine von Menschen ausgeübte dämonische Ideologie – und nur diejenigen, die auf geistlich solidem Boden standen, konnten diese Ideologie in aller Klarheit erkennen, ihr angemessen widerstehen. Fritz Gerlich, der das Böse in Hitler verkörpert sah, tat dies.

Die Beschäftigung und Verehrung des Märtyrers Fritz Gerlich als Seligem könnte also dazu beitragen, dass das Gewissen und geistliche Unterscheidungsvermögen der Katholiken im 21. Jahrhundert geschärft wird – ohne dass man dabei in allzu simple Gut-und-Böse-Schemata verfällt. Gerlich, der im Laufe seines Lebens die verschiedenen Ideologien seiner Zeit kennenlernte und mithilfe seiner „nie rastenden Dialektik“ entlarvte, wusste, dass das Böse stets verschiedene Formen und Rechtfertigungsmechanismen annehmen und bedienen kann, um Menschen, Gesellschaften und Gesetze zu manipulieren und für böse Zwecke einzuspannen. Wer von Fritz Gerlich lernen will, wird deshalb immer genau hinsehen, was der Zeitgeist oder neu aufkommende politische Strömungen als wertvolle Errungenschaft und Einsicht preisen. Er wird es – gerade in Krisenzeiten – mit Unbehagen beobachten, wenn Gesetze – mit welchen konkreten Argumenten oder Ausflüchten auch immer – aufgehoben oder gedehnt werden. Egal wo. Egal von wem. Weil dadurch zumeist nämlich ausgerechnet diejenigen begünstigt werden, welche diese Gesetze aufzuheben gedenken. Wie ehrenwert und verantwortungsbewusst ihre Rhetorik zuweilen auch klingen mag.

Und was ist das politische und ethische Maß aller Dinge? Für Fritz Gerlich war es zweifellos die Staats- und Gesellschaftslehre des Thomas von Aquin, das Naturrecht, die Heilige Schrift und der Katechismus der Katholischen Kirche. An diesen Orientierungsgrößen richtete er sein Handeln, Reden und Schreiben aus – auch auf die Gefahr hin, damit häufig auf verlorenem Posten zu stehen. Die Wahrheit, das wusste und verkörperte dieser streitbare bis jähzornige Archivar und Journalist, ist es wert, dass man für sie leidet. Und sie verleiht auch Kraft, was aus den Erinnerungen des Münchner Domkapitulars und späteren Weihbischofs Joachim Neuhäusler (1888–1973) deutlich wird, der 1933 (also einige Jahre vor seiner eigenen Haftzeit in den Konzentrationslagern Dachau und Sachsenhausen) Fritz Gerlich im Gefängnis in der Ettstraße begegnete. Neuhäuslers Eindruck: „Einen so geraden und ungebrochenen Mann, wie es dieser Widerstandskämpfer von der ersten bis zur letzten Stunde war, habe ich während der ganzen folgenden zwölf Jahre nicht mehr getroffen.“

In dem Interviewbuch „Salz der Erde“ erinnert sich Joseph Kardinal Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., im Gespräch mit Peter Seewald an seinen Vater, der als überzeugter Katholik das Aufkommen des Nationalsozialismus mit Distanz, Wut und Traurigkeit – aber auch begleitet von einem journalistischen Lichtblick – beobachtete: „Ich war noch ganz klein, aber ich kann mich erinnern, wie er gelitten hat. Er hatte die Zeitung ,Der gerade Weg‘ bezogen, ein antinazistisches Blatt, ich kann mich noch an die Karikaturen gegen Hitler erinnern. Er war sehr schroff in seiner Terminologie.“

Schroff, scharf und prophetisch. Fritz Gerlich war der Chefredakteur dieser Zeitung, die verdeckt katholisch auftrat. Sie diente ihm als publizistische Plattform für seine Kritik an Hitler und dem Nationalsozialismus in den frühen 1930er Jahren. Nachdem Gerlich bereits in den 1920er Jahren auf anderen publizistischen Plattformen die Irrlehre des Kommunismus in aller Deutlichkeit analysiert und verurteilt hatte.

Therese Neumann, deren Gesundheit und übernatürliche Begabungen Gerlich als Wahrheitsforscher ohne Fakultätsgrenzen detailliert untersuchte, unterstützte die publizistischen Aktivitäten ihres Konversionskindes. Doch die „Resl“, wie ihre Freunde sie nannten, wusste von Anfang an, dass diesem Zeitungsprojekt Gerlichs, der zuvor bereits Chefredakteur der bedeutenden „Münchner Neuesten Nachrichten“ gewesen war, kein glanzvoller irdischer Erfolg beschieden sein würde. Die Mystikerin, die er oft um spirituellen Rat fragte, wusste, dass es darauf auch nicht primär ankommt, wenn man das Licht der Wahrheit gegen eine ideologische Finsternis zu verteidigen versucht.

Dass Gerlich im Laufe seines relativ kurzen Lebens, er starb 51-jährig, besonders vor seiner Konversion zum Katholizismus - ausgelöst durch äußere Ereignisse, wie vor allem den Ersten Weltkrieg – zuweilen die politischen Seiten wechselte, was ihm manche Feinde und Gegner spöttisch vorwarfen und als Opportunismus verurteilten, kann trösten. Ist es nicht auch heute schwierig, manche nationalen und internationalen Entwicklungen richtig einzuordnen? Ähnelt unsere Zeit nicht in vielem den aggressiven ideologischen Grabenkämpfen der 1920er Jahre? Oder sind wir sogar schon weiter? Wird – ähnlich zu den 1930er Jahren – die Freiheit durch das Auftreten neuer totalitärer Kräfte bedroht?

Im Sommer 1931 schrieb Fritz Gerlich in einem Beitrag für seine Zeitung: „Ich bin ein Mensch, der nicht nur viel geirrt, sondern bei der Leidenschaft seines Temperaments sicher mehr gefehlt hat als die meisten meiner Zeitgenossen. Ich habe allerlei wieder gutzumachen. Aber unser Herr und Heiland Jesus Christus wird dem Manne, der wegen der offenen Aussprache seiner Überzeugung mit dem Strick um den Hals eines Tages zum letzten Urteil vor ihn hintritt, sicher vieles verzeihen.“

Wer zu solch einer fundierten religiösen Selbstkritik fähig ist, kann auch im 21. Jahrhundert ein Vorbild sein. Für Katholiken und alle Menschen guten Willens, für Jung und Alt, für Journalisten, Politiker und andere Berufsgruppen, die in der Öffentlichkeit wirken und die nicht nur rhetorische Überzeugungskraft brauchen, sondern vor allem tragfähige Überzeugungen, die von der Wahrheit abgeleitet sind. Mögen neue Stricke auch schon parat liegen. Es ist gut, dass die Katholische Kirche in Deutschland Fritz Gerlich nicht vergessen hat.

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