Der „Tatort“ ist die langlebigste und beliebteste Krimireihe im deutschsprachigen Raum und somit eine der erfolgreichsten Sendungen im deutschen Fernsehen überhaupt. Seit dem 29. November 1970 ist der Sendeplatz Sonntag 20.15 Uhr mit den unterschiedlichen Ermittlern der Reihe verbunden. Vor wenigen Wochen, am 2. April, wurde bereits die 1 230. Folge ausgestrahlt. Der „Tatort“ eignet sich aber auch besonders dazu, den gesellschaftlichen Wandel in Deutschland im letzten halben Jahrhundert aufzuzeigen. Beispiel Gleichberechtigung: Waren zunächst alle Ermittler männlich, so verkörperte Nicole Heesters bereits 1978 – auch wenn lediglich für drei Folgen – die erste „Tatort“-Kommissarin. Ab 1981 ist die Ermittlerin eine selbstverständliche Erscheinung. Inzwischen sind 46 Prozent aller „Tatort“-Kommissare weiblich.
Kampf gegen das binäre Geschlecht
Zu den gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte gehören insbesondere auch die Bemühungen der LGTBQ-Lobby um mehr „Sichtbarkeit“ von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Queers in den Medien. Die US-Organisation GLAAD („Gay & Lesbian Alliance Against Defamation“) setzt sich als Ziel: „Das Gespräch zu bestimmen. Das Narrativ der Medien zu gestalten. Die Kultur zu verändern“. Sie fordert, bis 2025 sollen „zwanzig Prozent der regulären Serienfiguren in Primetime-Fernsehserien LGBTQ“ und die Hälfte der LGBTQ-Figuren „People of Color“ sein. Dieser Strategie folgen inzwischen die bekanntesten Streaming-Plattformen Netflix, Amazon Prime Video, Apple TV+ und insbesondere auch Disney. Wegen des großen Einflusses auf Kinder und Jugendliche scheint Disney ein erstrebenswertes Ziel für die LGTBQ-Lobby zu sein, die seit Jahren „queere“ Figuren in Disney-Kinderfilmen und -serien beansprucht.
Der Kampf gegen Rassismus und Geschlechterstereotypen sowie gegen die Binarität des Geschlechts, der inzwischen „Wokismus“ genannt wird, hat sich längst nach Europa ausgeweitet. So verlangt die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein bei jedem, der einen Antrag auf Förderung stellt, das Ausfüllen eines Fragenkatalogs zur Diversität des geplanten Projektes. Neben den Fragen, ob die Geschlechter in der zu erzählenden Geschichte ausgeglichen repräsentiert sind, ob Figuren „mit einem unterprivilegierten sozioökonomischen Hintergrund“ oder aber „mit Behinderung“ dargestellt werden, fragt der Katalog weiter: „Kommen bei den Figuren ,People of Color?vor?“ und „Tauchen Figuren mit anderer als heterosexueller Orientierung auf?“
Inhalte sollen in den Dienst der Ideologie gestellt werden
Den Anhängern des Wokismus genügt es aber nicht, Ge- und Verbote für heutige Filme und Fernsehsendungen ausdrücklich auszusprechen, oder die stillschweigende, das wohlige Gefühl vermittelnde Übereinkunft anzunehmen, sich unter den „Guten“ zu befinden, um den Kino- und Fernsehzuschauer im Sinne der woken Ideologie zu erziehen. Der Zuschauer – natürlich mit Gender-Sternchen – soll auch noch auf die „Gefahren“ hingewiesen werden, die von Produkten einer „Vor-Wokismus-Kultur“ ausgehen.
Das geht so weit, dass die ARD bei der Einstellung des restaurierten Schimanski-Tatorts „Freunde“ (1986) in ihre Mediathek einen Warnhinweis voranstellt: „Das folgende fiktionale Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen mit diskriminierender Sprache und Haltung“.
Das scheint allerdings erst der Anfang zu sein. Denn zurzeit lässt die ARD alte „Tatort“-Folgen auf mögliche Diskriminierungen – sowohl im Handlungskontext als auch im Dialog sowie auf der visuellen Ebene – im Zuge einer „Diversity-Sichtung“ prüfen. Dabei soll – in ähnlicher Weise wie in einer „Zensur-Akte“ aus der Weimarer Zeit – auf mögliche „rassistisch aufgeladene Stereotypen“, „sexistische Prämissen“ oder auch auf „diskriminierende Stereotypen“ hingewiesen werden. Besonders zu achten ist darüber hinaus auch auf „homophobe Äußerungen“, die in früheren „Tatort“-Folgen vorkommen können. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Drehbuchautoren und Regisseure alles tun, um sich nur nicht etwaiges „Fehlverhalten“ in Sachen Diversität vorwerfen lassen zu müssen. „Rassistisch aufgeladene“, „sexistische“ oder „diskriminierende Stereotypen“ sind unbedingt zu vermeiden.
Ausdrücklich mit wokem Gedankengut beschäftigten sich zunehmend die „Tatort“-Folgen, wobei die Handlung selbst im Dienste der Diversitäts-Agenda zu stehen scheint. Früher tauchten hin und wieder ein schwules oder ein lesbisches Paar auf – das ist inzwischen nicht woke genug.
Bereits am 7. März 2021 – wohl zum „Weltfrauentag“ am 8. März strahlte die ARD die Kieler „Tatort“-Folge „Borowski und die Angst der weißen Männer“ aus, die auf die Gefährdung durch „toxische“ Männlichkeit in Netz und Alltag hinwies. Es geht dabei um frustrierte Täter, die das Gefühl haben, ihnen würden Frauen zustehen. Weiße Männer in weißen Schutzanzügen organisieren Terrorattacken zum Weltfrauentag. Außerdem kursiert eine Todesliste für linke Politikerinnen und andere widerständige Frauen. Die rechtsextreme und die frauenfeindliche Szene überschneiden sich.
Ein Fall für das Gendersternchen
Besonderes mediales Echo weckte vergangenen Sommer die in Hamburg angesiedelte Folge „Schattenleben“, die von Marion Löhndorf in der „NZZ“ als „Ein Fall für das Gendersternchen“ bezeichnet wurde. Der Zuschauer lernt dabei den Begriff „Flinta“ (Akronym für Frauen, Lesben, intersexuelle, nichtbinäre, Trans- und Agender-Personen). Männer, ob hetero- oder homosexuell, spielen kaum eine Rolle. Die Hamburger Ermittler Falke und Grosz haben dabei mit einem LKA-Kollegen zu tun, der andauernd gendert, und belehrt: „Ermittler:innen sagt man heute“. Regisseurin Mia Sprengler ließ sich per Vertragsklausel versichern, dass in der Produktion ein sogenannter „Inclusion Rider“ zum Einsatz kommen sollte. Beim „Rider“ (Zusatz, Nebenbestimmung) handelt es sich um eine Klausel, die zu mehr Diversität in Stab und Besetzung verpflichtet. So waren 17 Prozent der am „Tatort“ beteiligten Personen BIPoC (Black, Indigenous, People of Color), 65 Prozent der Headpositionen weiblich besetzt. In der „Tatort“-Folge vom 29. Januar mit dem Titel „Die Kälte der Erde“ aus Saarbrücken erliegt ein Fußballfan den Verletzungen, die ihm bei einem Hooligan-Kampf zugefügt wurden.
Der „Schläger“ ist allerdings eine „Sie“, die sich nicht nur wie ein Mann benimmt, sondern auch genauso stark wie ein Mann ist. Deren Kind lebt bei Pflegeeltern – einem schwulen Paar. Damit ist es jedoch noch nicht mit der gewünschten Diversität getan: Einer von den beiden ist schwarz und gut aussehend; der andere, weiß und dick, aber Arzt. Sie klären die Kommissarin auf: „Schauen Sie, es gibt die biologischen Eltern, die rechtlichen und ich würde gerne noch die emotionalen hinzufügen.“ So wird in einem Unterhaltungsmedium eine bestimmte Agenda gesetzt – zu den „biologischen“ sollen auch die „rechtlichen“ oder sogar die „emotionalen Eltern“ hinzukommen.
Gehen Sie mir nicht mit Ihrem Gegendere auf den Geist
Auch in weiteren „Tatort“-Folgen wird die woke-Ideologie mit deren Klischees bemüht. Das dies an der Realität der meisten Menschen vorbeigeht, zeigt ein Kommentar auf Twitter nach der Wiener „Tatort“-Folge vom 26. Februar „Was ist das für eine Welt“ reagierte jemand: „ohne woke Zusätze gefällt uns der Wiener Tatort besser.“
Am 5. März strahlte die ARD die Münsteraner „Tatort“-Folge „MagicMom“ aus, in der laut „Spiegel“ Boerne und Thiel „in aktuelle Sprachdebatten schlittern“. Der Ton ist entsprechend dem Münsteraner Team eher komödiantisch: Da eine Frau aufgehängt gefunden wurde, sollte von „Hängerin“ die Rede sein; weil Thiels Kollege Schrader immer wieder gendert, witzelt der Kommissar: „Schrader:in“, zu dem er sagt: „Gehen Sie mir nicht mit Ihrem Gegendere auf den Geist“. Plötzlich wird es aber ernst, als Staatsanwältin Klemm eine „sexistische“ Anmerkung zurückweist – da stammelt Schrader: „Oh, das tut mir leid. Ich entschuldige mich bei Ihnen. Und bei allen Frauen. Für alles.“ Ebenso ernst soll auch die Einführung einer Stelle des/der „Sensibilitätsbeauftragten“ sein.
Selbstverständlich geht es nicht in jeder Folge um Diversity oder das Gendern. Dennoch: Diese Beispiele verdeutlichen, dass eine so beliebte Sendung wie der „Tatort“ nicht nur gesellschaftliche Entwicklungen abbildet, sondern sie ebenso beeinflusst. Eine ideologische Agenda bedient sich einer beliebten Fernsehsendung, um ihre Ziele durchzusetzen.
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