Das Leben eines Künstlers, der auch durch seinen Hang zur Selbstinszenierung die Kunstwelt sechs Jahrzehnte lang mitprägte, in einem einzigen Spielfilm erzählen zu wollen, wäre mehr als vermessen. In „Dalíland“ konzentrieren sich deshalb die Filmemacher John C. Walsch (Drehbuch) und Mary Harron (Regie) auf einen kurzen Abschnitt im Leben Salvador Dalís (1904-1989).
„Dalíland“ erzählt aus der Sicht eines jungen Galerie-Mitarbeiters, dem unverhofft die Aufgabe anvertraut wird, dem berühmten Maler zu assistieren. Im Jahre 1974 verbringt der inzwischen 70-jährige Salvador Dalí (Ben Kingsley) wie jedes Jahr zusammen mit seiner Frau Gala (Barbara Sukowa) und seiner Entourage ein paar Monate im luxuriösen St. Regis Hotel in New York.
Liebe auf den ersten Blick
Dalís Galerist Christoffe (Alexander Beyer) befürchtet, dass der Maler, dessen Stern sich im Absinken befindet, nicht rechtzeitig die Werke fertigstellen wird, die für die bereits angekündigte Ausstellung benötigt werden. Deshalb leiht Christoffe Dali seinen jungen Assistenten James Linton (Christopher Briney) aus, der darauf achten soll, dass der Künstler wirklich arbeitet und nicht seine Zeit in den endlosen Partys im „Dalíland“ verbringt.
Der frischgebackene Kunsthochschulabsolvent James Linton, und mit ihm der Zuschauer, wird Zeuge insbesondere des sich zusehends verschlechternden Verhältnisses Dalís zu seiner Frau und einstigen Muse Gala.
In drei Rückblenden werden die glücklichen Tage im Leben des Paares beleuchtet, angefangen damit, wie sich der 25-jährige Salvador Dalí (Ezra Miller, der übrigens dem jungen Dalí viel ähnlicher sieht, als Ben Kingsley dem alternden Künstler) in die zehn Jahre ältere Russin Jelena Dmitrijewna Djakonowa, genannt Gala (Avital Lvova) auf den ersten Blick verliebte. Gala verließ den Surrealisten-Dichter Paul Éluard, mit dem sie damals verheiratet war, um mit Dalí zusammenzuleben – heiraten konnten sie erst nach Éluards Tod 1958.
Zwei große Schauspieler in Höchstform
John C. Walsch und Mary Harron zeichnen Gala als herrische Frau, die vor allem am Geld und an jungen Männern interessiert ist. Barbara Sukowa gestaltet sie sichtlich vergnügt an der Grenze zur Hysterie. Dadurch, dass sie sich in einen aufstrebenden Musical-Sänger verguckt und Dalí selbst als seine neue Muse die damals jungen Amanda Lear (Andreja Pejic) entdeckt hatte, gerät die Ehe ins Wanken.
Über Dalís Kunst erfährt der Zuschauer in „Dalíland“ demgegenüber wenig: Einmal gibt der Künstler selbst zu, dass er „verglichen mit Vermeer und Velázquez“ eine „Katastrophe“ sei.
Die wohl bekannteste spanische Musikband „Mecano“ widmete Dalí 1988 ein Lied mit dem Wortspiel im Titel als Anspielung auf Dalís Genie „Eungenio Salvador Dalí“, in dem es heißt: „Rokoko-Schnurrbart / Wo das Genie endet / Dort, wo der Wahnsinn beginnt / Geblendeter Blick / Wo der Wahnsinn endet / Wo der Zauber beginnt“. Dazu gehört auch der eindringliche Ruf: „Genies sollten nicht sterben“. Denn: „Bei uns sind Genies knapp“.
In diesen wenigen Zeilen erfasste „Mecano“ tiefer als „Dalíland“ das Wesen eines der bekanntesten Malers des 20. Jahrhunderts. Selbstverständlich ist ein Gedicht oder ein Lied etwas anderes als ein Spielfilm. Ist es möglich, sich in einem Spielfilm ins Wesen beziehungsweise in den Entstehungsprozess der Darstellenden Kunst einzufühlen? Machbar ist es. Aber womöglich muss sich ein (darstellender) Künstler dieser Aufgabe annehmen. Dies gelang etwa Julian Schnabel in seinem Spielfilmdebüt „Basquiat“ (1996) und noch tiefgründiger in „Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit“ (2019), in dem er den Schaffensdrang eines Malers in impressionistische Bilder umsetzt. „Dalíland“ schafft es aber nicht, den Künstler Salvador Dalí begreiflich zu machen.
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