„Sei doch kein Spielverderber!“ – Wer hat den Aufruf noch nicht gehört? Jeder ist gelegentlich miesepetrig und verdirbt nicht einmal boshaft, sondern ganz unbedarft das Spiel. Manchmal aber wird das Spiel mit gezinkten Karten gespielt. Dann tritt der Spielverderber zu Recht auf den Plan und gibt der Truppe Zunder!
Ein großes, ein wichtiges Spiel wird derzeit in den deutschen Medien gespielt mit der Kampagne #letschangethepicture für mehr Sichtbarkeit von älteren Frauen in der Schauspielbranche. Zahlreiche aus Film und Fernsehen bekannte Darstellerinnen unterstützen die Initiative gegen Altersdiskriminierung auf dem Bildschirm.
Kulturmarkt ist knallhart zu älteren Frauen
Die Klagen über #ageism sind freilich nicht neu. Bedauerlich ist allerdings, dass sich seit Jahren nichts geändert hat, zumindest in Deutschland, denn in Frankreich gibt es sehr wohl hervorragende Rollen für Frauen jeden Alters. Wäre es da nicht sinnvoll, den Dingen auf den Grund zu gehen und Nägel mit Köpfen zu machen? Zum Beispiel ein länderübergreifendes Benchmarking durchzuführen und Best Practices aufzuzeigen. Warum sind Frauen in anderen Ländern stärker repräsentiert im Film als hierzulande? Liegt es an den Regisseuren, an fehlender Risikofreude von Schauspielerinnen gar, am Mangel an Teamwork oder an Netzwerken, die alten Menschen, vor allem Frauen keine Bühne bieten wollen? A man‘s, man‘s world?
Einiges deutet darauf hin: Ähnlich desolat sieht es schließlich in anderen Kulturbranchen aus: Der Kulturmarkt ist knallhart zu älteren Frauen, in der Literaturbranche werden Neuerscheinungen und gehypte Bücher von der Altersspanne der Dreißig- bis Vierzigjährigen dominiert.
Hinzu kommt, dass hier Gruppenzugehörigkeit weit mehr zählt als hard facts, die Branche risikoavers ist und eher auf Trends aufspringt, anstatt sie zu setzen. Das mag daran liegen, dass die wenigsten Verlagsmitarbeiter je außerhalb des Verlagswesens gearbeitet haben. Gewiss spielt auch eine Rolle, dass Frauen in den Dreißigern oftmals bereits verunsichert sind bezüglich ihres Marktwertes und ihrer Selbsteinschätzung.
Am künstlichsten sind die Propagandistinnen der Natürlichkeit
Eine Autorin sagte einmal im Interview, mit 37 sei man ja auch nicht mehr so „die hotte Tussi“. Diese Frauen sind so sehr mit einem erzkapitalistischen Kampf um Marktanteile befasst, dass weibliche Solidarität nur ein Buzzword ist oder als Teil der Marke fungiert. Wenn Frauen, die seit Jahren mit Fillern, Botox und Chirurgie ihr Gesicht dem Altersprozess entziehen, kundtun, dass sie zu ihrem Alter stehen, dann ist das eine Heuchelei, die der guten Sache schadet.
Das ist auch einem Authentizitätskult geschuldet, der falscher nicht sein könnte. Vor Kurzem noch versuchte man Authentizität durch „natürliches“ Make-up zu erzielen. Nun sind es Filler, Botox und Schönheitschirurgie, die möglichst „natürlich“ aussehen sollen. Den Filter ersetzt der Filler. Aus dem Spiel mit Masken ist bitterer Ernst geworden. Am künstlichsten sind die Propagandistinnen der Natürlichkeit. Von den Folgeschäden für weniger privilegierte Frauen mal ganz abgesehen: Verzweifelter als die tragischen Ikonen der gefälschten Natürlichkeit sind die weniger betuchten Frauen an den Supermarktkassen, die Verkäuferinnen und Hausfrauen, die es sich nicht leisten können, schön natürlich auszusehen.
Der wohlgemeinten Kampagne droht dasselbe Risiko wie #metoo: Tonangebende Figuren fördern ihr Image mithilfe einer Armee von Infanteristinnen. Der Fokus wird wieder nur auf das Schauspiel gerichtet anstatt auf die Gesamtgesellschaft.
Ähnlich wie beim Gewaltbegriff findet eine Verzerrung der Realitäten bezüglich #ageism statt. Steigt man von der Bühne geht‘s gemeiner zu.
Die Spielverderberin rät deshalb: Spielt euer Spiel, aber tut die Regeln kund! Vor allem aber sollten wir uns des Spiels bewusst werden, das wir alle spielen im Spiel des Lebens.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.