Komödien werfen oft einen tiefen Blick auf gesellschaftliche Bruchstellen . Aziz Ansaris Regiedebüt „ Good Fortune – Ein ganz spezieller Schutzengel“ reiht sich bewusst in diese Tradition ein. Inspiriert von Frank Capras „Ist das Leben nicht schön?“ (1946), versucht Ansari, die Schattenseiten der „G ig Economy“ – eines Wirtschaftsmodells , das auf Gelegenheitsaufträgen für Selbstständige basiert – in eine zeitgemäße „Dramedy“ zu übersetzen. Herausgekommen ist ein Film, der charmant, aber auch unausgereift wirkt – getragen von einem Starensemble, jedoc h mit dramaturgischen Brüchen, die seine Botschaft abschwächen.
Im Mittelpunkt steht Arj (Aziz Ansari), ein junger Mann, der mit mehreren schlecht bezahlten Jobs jongliert: Lieferdienste, Gelegenheitsarbeiten über Apps und Schichten in einem Baumarkt. Trotz ständiger Arbeit lebt er in seinem Auto, duscht im Fitnessstudio und versucht, seine prekäre Lage vor seiner Familie zu verbergen. Arjs Alltag spiegelt d s Schicksal Millionen junger Menschen wider, die im 21. Jahrhundert den „amerikanischen Traum“ nur noch aus Erzählungen kennen. Sein Schicksal ruft den Engel Gabriel (Keanu Reeves) auf den Plan – eine himmlische Figur, die in der Hierarchie der Engel eher am unteren Ende angesiedelt ist , und deshalb kleine Flügel hat. Reeves, der seit Jahrzehnten als freundlicher Hollywoodstar gilt, ist ideal besetz t . Sanft, liebenswert und ein wenig unbeholfen beschließt Gabriel, Arj vor dem Suizid zu bewahren und zeigt hm Visionen einer möglichen Zukunft. Nebenbei hofft er auf „richtige“ Engelsflügel – ähnlich wie der gutmütige Engel Clarence in Capras zeitlosem Klassiker.
Irgendwo zwischen Rom-Com und Sozialkritik
Das Herzstück des Films ist ein Körpertausch: Arj übernimmt das Leben des reichen Risikokapitalgebers Jeff (Seth Rogen), während dieser die Härten des Arbeiterlebens kennenlernt. Was als Lektion über die Begrenztheit materiellen Glücks gedacht ist, kehrt sich ins Gegenteil: Arj möchte sein neugewonnenes Luxusleben nicht mehr aufgeben. Gabriel verliert darüber seine Flügel, muss selbst Mensch werden und erfährt Hunger, Entbehrung und Demütigung. Ansari zielt deutlich auf die Missstände der „Gig Economy“. Niedrige Löhne, Abhängigkeit von Plattformen und absurde algorithmische Vorgaben erscheinen in „Good Fortune“ nicht nur als Hintergrund, sondern als treibende Kraft der Handlung. Besonders Keke Palmer als Elena, Arjs Kollegin im Baumarkt, bringt das Thema Gewerkschaftsarbeit ins Spiel. In diesen Momenten entfaltet Ansaris Film sozialkritische Kraft. Doch das Drehbuch schwankt zwischen Kapitalismussatire und romantischer Komödie. Während Seth Rogen als Jeff einen glaubwürdigen Lernprozess durchläuft – vom privilegierten Erben zum Menschen, der erstmals mit echter Not konfrontiert wird – , bleibt Arjs Entwicklung blass.
Die moralische Pointe, dass Reichtum allein nicht glücklich macht, verliert an Schlagkraft, wenn die Figur die Lektion nicht annehmen will. Stilistisch überzeugt der Film vor allem durch Reeves. Mit sichtbarer Freude durchlebt er die Wandlung vom engelhaften Unschuldigen zum kettenrauchenden Tellerwäscher. Seine Präsenz rettet viele Szenen, die sonst ins Kitschige abgleiten würden. Sandra Oh als Gabriels Vorgesetzte Martha ergänzt mit stoischer Autorität, während Ansari selbst das komödiantische Timing einbringt. Visuell setzt Kameramann Adam Newport-Berra auf Kontraste aus grellen Farben und harten Schatten. Carter Burwells Musik balanciert die düsteren Töne mit Leichtigkeit. Dennoch wirkt das Ende überhastet und weichgespült. Die drastische n Themen – Armut, Depression, Arbeitsausbeutung – verlangen nach größerer erzählerischer Konsequenz, als Ansaris Nostalgiehandwerk sie bietet. Trotz dieser Brüche bleibt „ Good Fortune “ ein Film mit Herz. Er versucht, Empathie zu wecken, indem er Figuren buchstäblich in das Leben der anderen versetzt. Und er erinnert daran, dass Komödie mehr sein kann als bloße Unterhaltung: ein Spiegel gesellschaftlicher Missstände. Dass Ansari diesen Anspruch nicht immer einlöst, schmälert die Bedeutung seines Debüts nicht. Es ist ein Anfang – und ein Film, der zumindest zeigt, dass selbst im Streamingzeitalter die Tradition der Sozialkomödie noch nicht am Ende ist.
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