Im Jahre 2010 behandelte der Spielfilm „The Social Network“ von Aaron Sorkin (Drehbuch) und David Fincher (Regie) die Entstehung des Sozialen Netzwerks „Facebook“. Aaron Sorkin verfasste auch das Drehbuch zum Spielfilm „Steve Jobs“ (2015), diesmal mit Danny Boyle als Regisseur.
Nun beschäftigt sich die schwedische Netflix-Serie „The Playlist“ mit dem Streamingdienst „Spotify“. Basierend auf dem Buch „Spotify Untold“ der Journalisten Sven Carlsson und Jonas Leijonhufvud erzählt die von Per-Olav Sørensen entwickelte Serie vorwiegend die Vorgeschichte und Gründung des Unternehmens bis zum offiziellen Launch der inzwischen meistgenutzten Audiostreamingplattform der Welt im Jahr 2008.
Die Miniserie beginnt 2004, als sich der IT-Spezialist Daniel Ek (Edvin Endre) bei einer Werbefirma ziemlich unterfordert fühlt. Dass seine Mutter bislang nicht besonders stolz auf seine beruflichen Erfolge sein kann, schmerzt ihn besonders. Plötzlich hat er Erfolg: Er gründet ein Start-Up-Unternehmen und verkauft es anschließend für eine stolze Summe, mit der er seiner Mutter allerlei Küchengeräte und für sich einen Ferrari kaufen kann.
Mit jeder Folge ein anderes Produktionsdesign
Beim Verkauf seines Unternehmens lernt er den Manager Martin Lorentzon (Christian Hillborg) kennen, der nicht nur viel Geld besitzt, sondern offenbar auch auf die Suche nach neuen Herausforderungen ist. Zusammen entwickeln sie das, was „Spotify“ sein wird – einen revolutionären Streamingdienst, der im Gegensatz zu den grassierenden „Piraten-Sendern“ kostenlos und legal jede Musik anbieten soll, womit sie natürlich die Musikbranche herausfordern. Zusammen mit dem Programmier-Ass Andreas Ehn (Joel Lützow) stellt Daniel Ek eine Gruppe „Nerds“ zusammen, die den Streamingdienst entwickeln sollen.
Serienentwickler und Regisseur Per-Olav Sørensen sowie Haupt-Drehbuchautor Christian Spurrier erzählen die Spotify-Geschichte aus verschiedenen Perspektiven: Als CEO von Sony Music Schweden bietet Per Sundin (Ulf Stenberg) die Sicht der „Industrie“, die Anwältin Petra Hansson (Gizem Erdogan) gibt die Version aus der Perspektive des „Gesetzes“ wieder, Andreas Ehn die des „Programmierers“, ehe Martin Lorentzon in der fünften Folge bei einem Radiointerview seine Erfahrungen als „Der Partner“ zum Besten gibt.
Mit jeder Folge und jeder Perspektive ändert sich auch das Produktionsdesign der Serie, wobei dies am deutlichsten in der dritten Folge zutage tritt: Petra Hansson bewegt sich stets entlang einem langen Flur; hinter jeder Tür befindet sich ein anderer Handlungsort einschließlich New York. Die vierte Folge erweist sich als die mit den meisten technischen Elementen gespickte Episode.
Erzählstruktur bricht mit dem chronologischen Aufbau
Als in der fünften Folge Martin Lorentzon bei einer Radiosendung auf die Anfänge zurückblickt, entgegnet der Moderatorin: „Das war die Hollywood-Version“. Denn das Besondere an der Serie „The Playlist“ besteht nicht nur darin, dass jede dieser Folgen eine andere Sicht vermittelt, sondern dass diese Perspektiven teilweise einander widersprechen. Erhebt doch am Ende einer jeden Episode der nächste Protagonist Einspruch: „So war es nicht!“ beziehungsweise „Habt Ihr mich vergessen?“
Dies bringt allerdings mit sich, dass sich Szenen wiederholen, auch wenn sie in der Wiederholung aus einem anderen Blickwinkel gezeigt werden. Oder Gespräche, die dann anders wiedergeben werden als beim ersten Mal, so dass sie ganz anders zu interpretieren sind. Das Stilmittel ist im Kino uralt – bereits Akira Kurosawa setzte es in „Rashomon“ (1950) ein –, stellt aber immer wieder dieselbe Frage: Welche Version stimmt? Liegt die Wahrheit in der Mischung aus den verschiedenen Fassungen?
Die Erzählstruktur ändert sich jedoch mitten in der fünften Folge, denn offensichtlich einschneidende Ereignisse in der Spotify-Geschichte brechen mit dem chronologischen Aufbau der Miniserie, die dann in der letzten Folge sogar einen Ausblick auf die Zukunft wagt ... und damit eine kritische Stimme in die „Heldengeschichte“ einbaut.
Die unterschiedlichen Perspektiven eröffnen andererseits einen Blick in die Persönlichkeit der jeweiligen Figur mit ihren Träumen und ihren Schwächen, unabhängig von den Orten, wo sie sich bewegen, ob in der kellerartigen Halle, wo die Spotify-Mannschaft die Algorithmen für den Streamingdienst entwickelt, oder in den Glastürmen mit den Büros, in denen Verhandlungen geführt und Entscheidungen getroffen werden.
Die Netflix-Miniserie „The Playlist“ zeichnet die Erfolgsgeschichte eines jungen Mannes mit einer genialen Idee nach, der eine milliardenschwere, aber von der Internetpiraterie bedrohte Industrie revolutionierte. Ob ihm die angestrebte und erklärte Win-Win-Situation für Nutzer, Künstler und Musikindustrie gelang, oder aber einer der drei Beteiligten auf der Strecke bleibt, ist eventuell eine Frage der Perspektive ... oder auch nicht.
„The Playlist“, Serienentwickler und Mit-Regisseur: Per-Olav Sørensen, Schweden 2022, sechs Folgen von 45-56 Minuten. Auf Netflix.
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