Kaiserdrama im Streamingdienst

Netflix-Serie „Die Kaiserin“: Selbstbewusste „Sisi“

Die Netflix-Serie „Die Kaiserin“ zeichnet ein modernes Bild von Elisabeth von Österreich und dem Wiener Hof. Die historische Authentizität haben die Serienmacher aber vernachlässigt.
Hochzeit des Kaiserpaares
Foto: Netflix | Die Hochzeit von Kaiser Franz Josef I. (Philip Froissant) von Österreich und seiner Cousine Elisabeth (Devrim Lingnau), genannt Sisi, stellt einen vor allem optischen Höhepunkt der Netflix-Serie „Die Kaiserin“ dar.

Über kaum eine Gestalt aus dem 19. Jahrhundert wurden so viele Filme und nun auch Serien gedreht, wie über Kaiserin Elisabeth von Österreich (1837–1898). Ihr filmisches Bild prägten zwar die drei „Sissi“-Filme von Ernst Marischka aus den Jahren 1955–1957 mit Romy Schneider in der Hauptrolle, die übrigens auch die Falschschreibung „Sissi“ populär machten. Ihr Leben behandeln jedoch viele andere Filme, vom Stummfilm „Kaiserin Elisabeth von Österreich“ (Rolf Raffé, 1920) mit Carla Nelsen in der Hauptrolle bis „Corsage“ (Marie Kreutzer, 2022), in dem Elisabeth nicht mehr als anmutige junge Frau, sondern von Vicky Krieps als 40-Jährige „alternde“ Frau dargestellt wird. Frauke Finsterwalder soll außerdem zurzeit einen Spielfilm „Sisi und ich“ planen, in dem Elisabeths Leben aus der Sicht einer Hofdame erzählt werden soll.

„Die Kaiserin“ konzentriert sich in der ersten Staffel – weitere sollen folgen – auf die ersten Monate, die Elisabeth (Devrim Lingnau) am Wiener Hof verbrachte, angefangen mit der Verlobung mit ihrem Cousin, dem damals 23-jährigen österreichischen Kaiser Franz Joseph I. (Philip Froissant). Basierend auf der historischen Tatsache, dass als Braut für den Kaiser offenbar zunächst Elisabeths ältere Schwester Helene (Elisa Schlott) vorgesehen war, sich der junge Franz Josef I. aber für die eigensinnige, damals erst 15-jährige Elisabeth – oder Sisi, wie sie zu ihrem Leidwesen von ihren Geschwistern genannt wurde – entschied, wird eine Liebesgeschichte entwickelt, die jedoch den Boden der Tatsachen verlässt. Denn historische Genauigkeit gehört nicht zu den Stärken der Serie. Wie bei jeder Fiktionalisierung einer wahren Geschichte geht es insbesondere um die Dramatisierung solcher Ereignisse, etwa durch unvorhergesehene Wendungen und Zuspitzungen, auch durch das Einfügen fiktiver Gestalten.

„Demgegenüber ist die Serie mit Sexszenen in einem
bisher bei Netflix unbekannten Ausmaß gespickt:
Von Voyeurismus der Erzherzogin über das explizit gezeigte voreheliche Sexleben Franz Josefs
bis hin zu den intimen Beziehungen des Kaiserpaares“

Dazu werden eine Reihe Konflikte um Franz Josef I., die kaiserliche Familie und auch um die große Politik aufgebaut. Außenpolitisch muss sich Österreich zwischen Frankreich und Russland entscheiden – tatsächlich ging Franz Josef I. immer mehr auf Distanz zu Russland. Innenpolitisch wird immer wieder auf die Unzufriedenheit des „Volkes“ hingewiesen. Als 18-jähriger Thronanwärter hatte Franz Josef die Märzrevolution von 1848 erlebt und einen Anschlag auf sein Leben überlebt. Dass Elisabeth zur Besänftigung der aufgebrachten Massen beitrug, wird in einer dramatisch zugespitzten Szene verdeutlicht.

In der eigenen Familie konzentriert sich die Serie einerseits um den – historisch nicht verbürgten – Gegensatz zwischen dem Kaiser und seinem jüngeren Bruder Maximilian (Johannes Nussbaum), wobei der Handlungsnebenstrang auch wegen der Darstellung von Johannes Nussbaum überzogen wirkt, andererseits um Franz Josefs Bemühungen, dem übermächtigen Einfluss seiner Mutter, der Erzherzogin Sophie (Melika Foroutan), zu entkommen. Denn sie hat die Zügel am Wiener Hof fest in der Hand und versucht, „das Mädchen“ in ihrem Sinne zu einer Kaiserin zu formen.

 

 

Eine anachronistische Darstellung des Geschehens

Die vielschichtig gezeichneten Nebenfiguren zählen zu den Stärken der Netflix-Serie. Zur Erzherzogin Sophie kommt noch die (fiktive) Hofdame Leontine von Apafi (Almila Bagriacik), die aus der Reihe der Hofdamen-Gruppe heraussticht und eine zwiespältige Beziehung zur jungen Kaiserin entwickelt. Laut Drehbuchautorin Katharina Eyssen soll sie das Verhältnis zwischen Elisabeth und ihren Untertanen darstellen. Was die Dramaturgie betrifft, so braucht die Serie einige Zeit – namentlich die beiden ersten Folgen –, um die Spannung aufzubauen. Manche Drehbuchwendungen nehmen sich außerdem ziemlich konstruiert aus.

Schwerer wiegt allerdings, dass die Serienmacher nicht nur Elisabeth von Österreich allzu modern zeichnen. Sicher: Sie war, wie man heute sagen würde, unangepasst; es ist bekannt, dass sie sich niemals mit den Gepflogenheiten des Wiener Hofes aussöhnte. Allerdings wirkt vieles an den äußeren Erscheinungen von den Kostümen, etwa den extravaganten Ball- oder Maskenballkleidern über die Frisuren bis hin zur Sprache einfach anachronistisch. Der Ballett-Tanz des Hofstaats zur Hochzeit von Franz Josef und Elisabeth scheint einer Fernseh-Ballettdarbietung zu allzu heutiger Musik entsprungen zu sein.

Netflix setzt auf Sex und Aufreger

Ähnliches lässt sich über die Darstellung des Sexlebens am Hof sagen. Es stimmt, dass Franz Josephs jüngerer Bruder Ludwig, auch Luziwuzi genannt, homosexuell gewesen ist. Die Serie – wenigstens in der ersten Staffel – deutet es in einer Szene an.

Demgegenüber ist die Serie mit Sexszenen in einem bisher bei Netflix unbekannten Ausmaß gespickt: Von Voyeurismus der Erzherzogin über das explizit gezeigte voreheliche Sexleben Franz Josefs bis hin zu den intimen Beziehungen des Kaiserpaares. Zusammen mit dem Film „Blond“ über Marilyn Monroe scheint der Online-Anbieter hier eine Wendung zu vollziehen.


„Die Kaiserin“. Deutschland 2022. Haupt-Autorin: Katharina Eyssen.
Regie: Katrin Gebbe, Florian Cossen. Sechs Folgen mit je 51-62 Minuten. Auf Netflix.

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