Glauben und (Ohn-)Macht

Film „Die Aussprache“: Oscarnominiert und bewegend

Der preisgekrönte US-Film „Die Aussprache“ widmet sich aus christlich-biblischer Perspektive den Themen Rache und Vergebung.
Kinostart - "Die Aussprache"
Foto: Michael Gibson (Orion Releasing LLC/Universal) | Der Großteil des Films spielt sich kammerspielartig in einer Scheune ab, wo die Frauen miteinander beraten, was sie tun sollen: Ihren Peinigern vergeben, wie es der Glaube verlangt?

Es gibt anspruchsvolle Filme, die einerseits gesellschaftlich relevante Themen behandeln – über die jedoch auch viele Kritiker sagen, dass diese nur deshalb hergestellt werden, um möglichst viele Filmpreise zu gewinnen. Und es gibt Blockbuster-Filme, die letztendlich nur gedreht werden, um Menschen gut zu unterhalten und dabei möglichst viel Gewinn zu machen.

„Die Aussprache“, im Original „Women Talking“, der seit dem 9. Februar in den deutschen Kinos läuft, gehört auf den ersten Blick zur ersten Kategorie: Der Film wurde in der Filmpreissaison 2022/23 weltweit bisher für mehr als 150 Auszeichnungen nominiert, von denen das Werk bereits über 30 Preise gewinnen konnte. Von daher wundert es auch nicht, dass der Film in zwei wichtigen Kategorien in das diesjährige Oscar-Rennen geht: Er wurde für den „Besten Film“ und das „Beste adaptierte Drehbuch“ nominiert. Doch die zahlreichen Nominierungen und Auszeichnungen, welche der „Aussprache“ bislang zuteil geworden sind, sind mehr als gerechtfertigt.

Die (Ohn-)Macht der Frauen zur Sprache bringen

Die Geschichte des Films basiert auf dem gleichnamigen Roman von der mehrfach preisgekrönten Autorin Miriam Toews aus dem Jahr 2018, der unter anderem von New York Times und Washington Post als bestes Buch des Jahres angepriesen wurde. Ihr Buch wurde dabei von realen Ereignissen inspiriert, die sich im Jahr 2009 in Bolivien zutrugen: Sieben Männer einer mennonitischen Kolonie mussten sich wegen Vergewaltigung von 60 Frauen aus ihrer Glaubensgemeinschaft vor Gericht verantworten. Sogar Schwangere und Minderjährige sollen unter den Missbrauchsopfern gewesen sein.

Die dreifache Oscarpreisträgerin Frances McDormand, die in dem Film eine kleine, aber beeindruckende Nebenrolle spielt, holte sich die Rechte an dem Bestseller und produzierte „Die Aussprache“ gemeinsam mit dem Oscarprämierten Produzentenduo Dede Gardner und Jeremy Kleiner sowie Brad Pitt als ausführendem Produzenten. Die oscarnominierte Regisseurin Sarah Polley hat die Regie übernommen und aus den tragischen Ereignissen schließlich ein Drehbuch verfasst, das emotional berührt, künstlerisch überzeugt und brandaktuelle Themen aufgreift, die für viele Diskussionen sorgen dürften. In den anspruchsvollen Hauptrollen beeindruckt zudem eine hochkarätige Besetzung, darunter die zweifach oscarnominierte Rooney Mara, die zweifache Emmy-Preisträgerin Claire Foy, die oscarnominierte Jessie Buckley sowie Golden-Globe-Gewinner Ben Whishaw.

Im Zentrum des Films stehen einige Frauen und Mädchen einer abgeschiedenen mennonitischen Gemeinschaft, die es nicht gewohnt sind, Intimes miteinander zu teilen und über ihre weiblichen Körper und Sexualität im Allgemeinen zu sprechen. Doch als sich sexuelle und gewaltsame Übergriffe einiger männlicher Mitglieder mehren, müssen eben diese Frauen und Mädchen neu lernen miteinander zu reden, das Erlebte ins Wort zu bringen und dabei eine folgenschwere Entscheidung treffen.

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Alles Leben und allen Glanz ausgetrieben

Über viele Jahre hinweg wurden, so der Film, die mennonitischen Frauen, die sich der patriarchalischen Struktur ihrer Glaubensgemeinschaft fügen müssen und nicht einmal lesen und schreiben lernen dürfen, von einigen Männern und Jungen aus ihrer Gemeinde vergewaltigt. Wenn die Frauen mit blauen Flecken und blutigen Nachthemden erwachten, erklärten ihnen die Männer, dies sei ein Werk von Dämonen gewesen, der Teufel wäre über sie gekommen oder sie bezichtigten die Opfer der Einbildung und „weiblicher Wichtigtuerei“. Erst als einer von ihnen auf frischer Tat erwischt wird, kommt die Wahrheit ans Licht.

Um die Täter vor dem Zorn der Frauen zu schützen, bringen die anderen Männer sie in eine Stadt, wo die Polizei sie zunächst in Haft nimmt. Diese tragischen Ereignisse bilden jedoch nur die Vorgeschichte und werden innerhalb weniger Minuten zu Beginn des Films, in verstörenden Bildern und durch eine weibliche Erzählerstimme, zusammengefasst. Zwar zeigt der Film immer wieder ruhige und malerische Landschaften im Terrence-Malick-Stil, doch die Bilder bleiben durchgehend blass und farbentsättigt, als hätten die Missbrauchstaten der paradiesischen Umgebung alles Leben, allen Glanz ausgetrieben und die Tristesse hätte Einzug gehalten.

Der Großteil des Films spielt sich allerdings kammerspielartig in einer Scheune ab, wo die Frauen miteinander beraten, was sie tun sollen: Ihren Peinigern vergeben, wie es der Glaube verlangt? Bleiben und für ihre Rechte kämpfen oder ihre Männer verlassen, fortgehen und dabei riskieren, aus der Glaubensgemeinschaft exkommuniziert zu werden und sich dadurch den Weg zum Himmel zu versperren? Viel steht auf dem Spiel und es bleibt ihnen nicht viel Zeit für eine Entscheidung, denn am nächsten Tag werden die Männer mit den Tätern gemeinsam in die Gemeinde zurückkehren.

Bleiben, kämpfen oder fortgehen?

Aus dieser brenzligen Ausgangssituation heraus entwickelt sich zwischen den sehr unterschiedlichen Frauen eine Diskussion um viele existenzielle Fragen, wie man sie in dieser Vielschichtigkeit im Kino nur selten erlebt. Es geht um Ethik und Spiritualität, Fragen über Vergebung, Glaube, Hoffnung und Liebe, über Identität, Machtsysteme und strukturellen Machtmissbrauch, Traumata, Heilung, Umgang mit Schuld, über das Leben in Gemeinschaft, verantwortliches Handeln und Selbstbestimmung. Das potenziell zerstörerische Wesen von Macht wird ebenso miteinander diskutiert wie die feinen Unterschiede zwischen „weggehen“ und „fliehen“, zwischen religiös erzwungener und aufrichtig empfundener Vergebung. Selbst der sehr herausfordernde Gedanke, dass alle Menschen sich doch eigentlich nur nach Liebe sehnen und die Vergewaltiger im Film von daher selbst nur Opfer einer fehlegeleiteten Prägung sind, oder die Vorstellung, dass selbst pubertierende Jungs für Frauen eine Gefahr sein und potenzielle Vergewaltiger darstellen können, wirken hier nicht provozierend, sondern reflektierend.

Denn den meisten Frauen, die aus ihrem tiefen Glauben heraus nicht nur miteinander diskutieren, sondern auch Bibelverse zitieren und immer wieder grade in schwierigen Momenten  gemeinsam beten und singen, geht es nicht um Rache oder Hass, sondern um eine Suche nach Antworten, wie es für sie weitergehen kann und um ein existenzielles Ringen mit dem Willen Gottes für sie. Die Scheune als limitierter Drehort hätte dabei den Film sehr theatralisch aussehen lassen können, was aber durch das hervorragende Schauspielensemble verhindert wird, denn sie verleihen dem kammerartigen Geschehen durch ihre Vitalität eine pulsierende Lebendigkeit.

Deshalb trifft der Originaltitel „Women Talking“ den Inhalt der Geschichte wesentlich besser, denn es geht nicht nur um eine „Aussprache“ unter Frauen, sondern um Frauen, die sich nicht mehr von einer ungerechten und sie unterdrückenden, von Männern buchstäblich missbrauchten religiösen Ordnung zum Schweigen bringen lassen wollen, die ihrem Leid, ihren Gefühlen und Gedanken endlich eine Stimme geben – die reden, sich aber auch gegenseitig aufrichtig zuhören und schließlich im Einvernehmen handeln.

Emotionale Diskussionen mit unterschiedlichen Auffassungen

Gewiss: In „Die Aussprache“ wird viel über Männer und ihr toxisches Verhalten gesprochen, aber es wird nur ein einziger Mann sichtbar gezeigt, ein Außenseiter mit Namen August, der Lehrer ist und dessen Familie einst wegen rebellischer Gedanken aus der Glaubensgemeinschaft verstoßen wurde, als er selbst noch ein Kind war. Nun hat man ihn gebeten in die Gemeinschaft zurückzukehren und als Protokollant bei der Aussprache der Frauen dabei zu sein. Er hört den Frauen zu, setzt ihre Wünsche in die Tat um, verurteilt sie nicht, egal welche Entscheidung sie auch fällen und steht damit stellvertretend für eine andere Form von Männlichkeit, die Hoffnung macht auf ein besseres Zusammenleben zwischen den Geschlechtern – eins, dass wirklich geprägt ist von Respekt, Würde und Liebe, sowie das Evangelium es die Gläubigen lehrt. Nicht umsonst zitiert eine der Frauen den Apostel Paulus mit den Worten: „Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist, darauf seid bedacht! Und der Gott des Friedens wird mit euch sein“. (Philipper 4,8-9)

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Am Ende des Films treffen die im Film agierenden Frauen schließlich eine finale Entscheidung. Es ist interessant, als Zuschauer den Weg bis zu dieser Entscheidung mit den Frauen gemeinsam zu gehen, denn in den vielen emotionalen Diskussionen treffen unterschiedliche Auffassungen aufeinander. Immer wieder kehren die Frauen zu der für sie zentralen Frage zurück, welche Handlungen sich aus ihrem Glauben ergeben, und denken darüber nach, was „gut“ und „richtig“ ist.

Trotz der vielen schweren Themen, die der Film anreißt, aber auch vertieft, lässt „Die Aussprache“ den Zuschauer am Ende erstaunlicherweise hoffnungsvoll zurück – und damit ist Sarah Polley als Regisseurin und Drehbuchautorin wirklich ein Kunstgriff gelungen, aus einer eher trockenen Grundkonstellation und einem schwer verdaulichen Thema einen spannenden und emotionalen Film zu machen über die Bedeutung des Glaubens und die (Ohn-)Macht von Frauen. Ein Drama, das unterhält, nachdenklich macht und sogar optimistisch in die Zukunft blicken lässt.

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Norbert Fink Paulus von Tarsus Religiöse Gemeinschaften

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