Im Herbst des Jahres 1995 erhielt der Katholik und Künstler Wim Wenders den theologischen Ehrendoktor der Universität Fribourg für seinen Film „Der Himmel über Berlin“ (1987). Aus diesem Anlass lud mich die junge Dogmatikprofessorin Barbara Hallensleben zu einem Engelsymposion ein – und in diesem Rahmen wurde der Film über eine himmlische Liebesgeschichte vorgeführt.
Als ich nach dem Symposion die Aufforderung erhielt, Einkehrtage für die Novizenmeister und -meisterinnen der Benediktiner und Zisterzienser in der Schweiz zu halten, wollte ich auch Wim Wenders‘ Engelfilm zeigen. Dann kamen mir Bedenken: Ist Kino hinter Klostermauern überhaupt erlaubt? Gewiss haben Mönche und Nonnen vor Eintritt in das Kloster Filme gesehen. Doch spielen Filme heute in ihrem Leben eine Rolle? Treffen sich die Ordensleute gelegentlich zur Rekreation vor dem Fernseher? Damals gab es noch keine iPhones und Mediatheken, keine Streaming-Dienste und auch keine DVDs. Schauen sie heute Filme über ihren Laptop in ihrer Zelle?
Auch die Päpste widmeten sich dem Kino
„Der Himmel über Berlin“ steht noch nicht auf der Filmliste des Vatikans von 1995 mit 45 Empfehlungen, die der erfahrene Schauspieler Johannes Paul II. in Auftrag gegeben hatte. Und schon Papst Pius XI. beobachtete kritisch das Filmgeschehen in Deutschland, als Leni Riefenstahl ihre Olympiafilme drehte. „Mit wachsamer Sorge“ („Vigilanti Cura“) heißt die 1936 veröffentlichte Enzyklika über die Lichtspiele beziehungsweise das Kino: Sie richtet den Blick besonders auf Hollywoods Filmindustrie und die „Legion des Anstandes“, mit der die Bischöfe damals Mut hatten, zum Filmschaffen Stellung zu beziehen. Die „Legion of Decency“ sprach Klartext auch gegenüber der Prominenz: So wurde Greta Garbos letzter Film „Die Frau mit den zwei Gesichtern“ (1941) wegen seiner unmoralischen und unchristlichen Haltung gegenüber der Ehe und vieler Anzüglichkeiten in Kleidung und Wortwahl verurteilt. Metro-Goldwyn-Mayer besserte nach und nahm Filmschnitte vor. Keine Duldung erhielt der Film, mit dem Veit Harlan seinen ruinierten Ruf als Antisemit rehabilitieren wollte, indem er mit dem Film „Das dritte Geschlecht“ (1957) Propaganda für schwule Paare zu machen versuchte.
Ob Pius XI. Filme aus eigener Anschauung kannte, ist nicht überliefert. Dank der Gespräche mit Peter Seewald wissen wir, dass Benedikt XVI. dem Kino nicht abgeneigt war. Zu seinen Lieblingsfilmen zählte die Verfilmung von „Don Camillo und Peppone“ (1952) mit Fernandel in der Rolle eines widerständigen Kämpfers gegen den Zeitgeist, den viele Menschen gerade heute vermissen. Dass es dieser Mann Gottes nicht auf die Filmliste des Vatikans brachte, verwundert nicht: Kommissionen und Komitees suchen gerne den Kompromiss. Don Camillo aber ist jener große Einzelne, aus dessen Sendung sich die Kirche zu allen Zeiten erneuert hat: Er verkörpert auf humorvolle und gelegentlich durchaus anfechtbare Weise das Ideal eines Filmhelden, von dem Pius XI. sprach. „Gute Filme“, schrieb er, „können über die Unterhaltung hinaus auf hohe Lebensideale hinweisen, wertvolle Kenntnisse vermitteln, erweitertes Wissen um die Geschichte und die Schönheit des eigenen Landes fördern, Wahrheit und Tugend darstellen, gegenseitiges Verständnis unter den Nationen fördern, sich für Gerechtigkeit, Schönheit und Tugend einsetzen und in vielfacher Weise für die gerechte soziale Ordnung in der Welt engagieren.“ Als ich nach diesen päpstlichen Kriterien den „Himmel über Berlin“ auf den Prüfstand setzte, war ich beruhigt. Ich konnte ihn mit auf die Einkehrtage im Kloster Engelberg nehmen!
Welche Filme schaut man im Kloster?
Papst Pius XII. wiederum nannte die Filmkunst eine „wunderbare Erfindung“ („Miranda Prorsus“): In seinem Rundschreiben von 1957 über Film, Funk und Fernsehen warnte er aber auch vor dem diabolischen Einfluss dieser Medien, der sich auf allen Feldern der Erziehung in dramatischer Weise bemerkbar machte. Filme können in das „Reich des Lichtes, des Edelmutes und der Schönheit führen“, sagte der Papst, aber sie sind auch imstande, „durch das Dunkel der Finsternis zu entstellen, durch Berührung mit dem Bösen zu entehren und dem Sinnenrausch auszuliefern.“ Er nahm auch die Bischöfe in die Pflicht und eröffnete ihnen die Möglichkeit, einen Sonntag im Kirchenjahr „festzulegen, an dem die Gläubigen über ihre Pflichten gerade hinsichtlich des Filmbesuches ernstlich belehrt und zum Gebet in diesem Anliegen angehalten werden.“ Auch der katholische Filmkritiker könne hier den sittlichen Wert der Filme ins rechte Licht setzen.
Klar ist: Wer über Filme urteilen will, muss sie gesehen haben. Novizenmeister und -meisterinnen gleichen als Wegbegleiter ins Klosterleben den Engeln aus Wim Wenders Film: Sie müssen in vielen Welten zuhause sein. Damals im Kloster Engelberg fragte die Nonnen nach dem letzten Film, den sie gesehen hatten und staunte nicht schlecht. Es war „Sister Act - Eine himmlische Karriere“ (1992) mit Whoopi Goldberg. Klasse!
Jahre später wollte ich das einzige Kartäuserkloster der Schweiz in Valsainte besuchen: Der Heiligenforscher Walter Nigg („Große Heilige“) hatte hier in den 1950er-Jahren zu Studienzwecken für ein neues Buch übernachten dürfen. Inzwischen war der Film „Die große Stille“ (2005) herausgekommen, den Philipp Gröning in der Grande Chartreuse gedreht hatte: Er kommt in seiner Dokumentation des Lebens der Mönche ohne Worte aus. Dem Film folgte kein Boom an Klostereintritten, aber er wurde ein anhaltender Erfolg, weil er auch für Menschen jenseits der Klostermauern eine Ahnung vom Leben in seiner reinsten Form vermittelte.
Ich hatte den Wunsch verspürt, einen Blick hinter die Klostermauern von Valsainte zu werfen. „Unmöglich!“, meinte Pater Guido Vergauwen OP. Er sollte teilweise Recht behalten. War es ein Zufall? Hatte mein Schutzengel die Begegnung eingefädelt? Ein Zeitfenster hatte sich aufgetan - wie in einem Film. Der winzige Klosterladen war geöffnet. Ein alter Kartäuserbruder verkaufte mir schweigend eine Flasche des weltberühmten Kräuterlikörs, den die Kartäuser herstellen. Er soll gegen fast alles helfen. Vielleicht auch gegen schlechte Filme - wer weiß! Dann wagte ich doch dem Bruder eine Frage zu stellen. Er war so alt, dass er vielleicht Walter Nigg in diesem Kloster einst begegnet war. Ob er sein Buch „Heimliche Weisheit“ kenne? Er schüttelte milde lächelnd das Haupt. Auch den Namen des Autors hatte er nie gehört. Aber gewiss doch den Film „Die große Stille“ gesehen! Nein, natürlich nicht. Ich hätte es mir denken können. Wer schaut schon einen Film über die große Stille, wenn er selbst in der Stille der Gegenwart Gottes lebt.
Zum Serienstart: „Andrei Rubljov“ von Tarkovskij
Wir aber wollen mit „Tagespost“-Serie „Glaubensfilme“ jene Filme sehen und bewerten, die aus der Sintflut der Bilder wie der Ararat hervorragen. Der erste Film, den ich in der „Tagespost“-Ausgabe am 27. April ausführlich besprechen werde, erzählt die Geschichte des weltberühmten russischen Ikonenmalers Andrej Rubljov. Sein Regisseur – der große russische Filmemacher Andrej Tarkovskij - steht sogar auf der Filmliste des Vatikans, und Wim Wenders hat ihm seinen Engelfilm gewidmet. Ein schöner Einklang zum Beginn.
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