Auf der Jagd nach verdeckten Nazis

Beruht auf wahren Tatsachen: Die mit Bezügen zur Diversität gespickte Amazon-Serie „Hunters“ setzt auf Action Von José García
Filmszene aus „Hunters“, Amazon Prime Serie
Foto: Amazon | Nachdem seine geliebte Großmutter ermordet wurde, wird Jonah (Logar Lerman, rechts) vom reichen Meyer Offerman (Al Pacino) aufgenommen, und in die von Meyer geleitete Truppe der „Nazi-Jäger“ eingeführt.

Die Amazon-Serie „Hunters“ beginnt im Juni 1977 in Maryland, an der Ostküste der Vereinigten Staaten nahe Washington D.C. Und sie fängt mit einem Paukenschlag an: Biff Simpson (Dyland Baker), ein Berater von Präsident Jimmy Carter, hat zu einer Grillparty auch einen neuen Mitarbeiter eingeladen. Dessen Frau wird bleich, als sie den Gastgeber erblickt, denn er habe ihre gesamte Familie ermordet. Biff ist als Nazi entlarvt worden, der in den Vereinigten Staaten seit dreißig Jahren unter neuer Identität lebt. Schnell greift er zu einer Pistole, und tötet kurzerhand alle Partygäste, aber auch seine Frau und seine Kinder.

Der Serientitel „Hunters“ bezieht sich auf die „Nazi-Jäger“, eine zusammengewürfelte Truppe, die vom KZ-überlebenden und inzwischen schwerreich gewordenen Meyer Offerman (Al Pacino) angeführt wird. Die zweite Hauptfigur heißt Jonah Heidelbaum (Logar Lerman), der von Offerman aufgenommen wird, nachdem seine Großmutter Ruth Heidelbaum (Jeannie Berlin) ermordet wurde. Nach einigem Zögern tritt der Junge der Gruppe bei. Zu ihr gehören nicht nur das Ehepaar Mindy (Carol Kane) und Murray (Saul Rubinek) Markowitz, das ebenfalls Auschwitz überlebte, sondern auch einige Jüngere. Dass sich der jüdische Schauspieler Lonny Flash (Josh Radnor) ebenfalls als Nazi-Jäger betätigt, wirkt plausibel. Beim Vietnam-Veteranen mit asiatischem Migrationshintergrund Joe Mizushima (Louis Ozawa) und bei der afroamerikanischen, alleinerziehenden Mutter Roxy Jones (Tiffany Boone) erschließt es sich jedoch nicht. Denn deren Beweggründe werden im Unterschied zu den Holocaustüberlebenden nicht beleuchtet. Noch rätselhafter ist die Figur der katholischen Ordensschwester Harriet (Kate Mulvany), deren Vergangenheit teilweise im Laufe der Serie erzählt wird. Auch wenn sie meistens in Ordenstracht erscheint, bleibt bis zuletzt offen, ob sie eine wirkliche Ordensangehörige ist, oder sie die Tracht nur als Tarnung benutzt.

Als er Jonah, den Enkel seiner großen, aber unerfüllten Liebe Ruth, unter seine Fittiche nimmt, erklärt ihm Meyer Offerman, wie es zur „Nazi-Jagd“ kam: Ruth habe vor einem Jahr einen NS-Mann aus Auschwitz wieder erkannt, der jahrzehntelang als Kinderarzt in Long Island praktiziert habe. Weder die Behörden noch Senatoren oder Abgeordnete hätten etwas wissen wollen. „Wir wollten es nicht – wir mussten es aber tun. Auge um Auge, um die Botschaft zu verbreiten: Nie wieder!“

Die „Hunters“ haben sich zur Aufgabe gemacht, Selbstjustiz zu üben. Sie wollen die Hunderten von hochrangigen Nazis aufspüren und töten, die in den Vereinigten Staaten verdeckt leben. Denn diese arbeiten daran, ein „Viertes Reich“ zu errichten. Aus einigen wahren Tatsachen, etwa dass die Vereinigten Staaten im Rahmen der „Operation Paperclip“ deutsche Wissenschaftler wie Wernher von Braun ins Land holten, um sich im Kalten Krieg einen technologischen Vorteil gegen Russland zu verschaffen, etwa um ihr eigenes Raumfahrtprogramm zu starten, entwickelt Serienschöpfer David Weil eine actionreiche, spannende Handlung, die von Quentin Tarantinos Filmen und insbesondere von „Inglourious Basterds“ (DT vom 25.8.2009) inspiriert wurde. Außerdem steht Tarantinos erster großer Erfolg „Pulp Fiction“ (1994) einigen bunten Einlagen Pate – in einer psychedelischen Sequenz wird sogar dieselbe Musik wie in der Eingangsszene von „Pulp Fiction“ eingesetzt. Dass Jonah mit seinen Freunden im Kino „Star Wars“ sehen, der tatsächlich im Sommer 1977 in den US-amerikanischen Kinos anlief, hilft die Handlungszeit verorten.

Im Gegensatz etwa zu Simon Wiesenthal, der sich ebenfalls die „Suche nach Gerechtigkeit für Millionen unschuldig Ermordeter“ zu seiner Lebensaufgabe gemacht hatte, schrecken die „Hunters“ nicht vor teils heftiger Gewalt zurück. In dem Zusammenhang wirkt ein Gespräch zwischen Meyer Offerman und Simon Wiesenthal (Judd Hirsch) erhellend. Wenigstens fragen sie sich auch mal, ob man nicht selbst zum Monster wird, wenn man dieselben Methoden der (Nazi-)Monster anwendet.

„Hunters“ wurde kürzlich von der Auschwitz-Gedenkstätte heftig kritisiert. Konkret geht es um eine Szene, in der Häftlinge als lebendige Schachfiguren tatsächlich erstochen werden, wenn die jeweilige Figur geschlagen wird. Mitarbeiter der Gedenkstätte schreiben: „Auschwitz war voll schrecklichem Schmerz und Leid, Überlebende haben davon Zeugnis abgelegt. Ein erfundenes Schachspiel mit Menschen ist nicht nur gefährliche Dummheit und eine Karikatur. Es ruft auch zukünftige Leugner auf den Plan.“ Aber nicht nur in dieser Szene wirken die Auschwitz-Rückblenden eher harmlos – wenn von der sadistischen Willkür der KZ-Wächter und -Ärzte abgesehen wird. Mit „Hunters“ setzt die Online-Plattform Amazon prime darüber hinaus ihren Einsatz für die LGTB-Gemeinde fort: Eine der Hauptfiguren in der Serie ist die FBI-Agentin Millie Morris (Jerrica Hinton), die nicht nur schwarz, sondern auch lesbisch ist. Nicht nur ihre sterbenskranke Mutter bestärkt sie darin. Auch der Pfarrer soll davon wissen: „Es macht ihm nichts aus.“ Denn Millie ist auch praktizierende Katholikin: Sie wird zweimal beim Rosenkranz-Beten gezeigt. Dass ihre Lebensgefährtin Maria (Julissa Bermudez) auch noch „Hispanic“ ist, setzt der sexuellen und ethnischen Diversität die Krone auf.

„Hunters“.
Serienschöpfer: David Weil. Mit Al Pacino, Logan Lerman, Lena Olin. USA 2020, zehnteilige Serie mit insgesamt 640 Minuten, Amazon Prime

Themen & Autoren
Jimmy Carter Nationalsozialisten Pfarrer und Pastoren Simon Wiesenthal Wernher von Braun

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