Seit einigen Jahren bringt der Disney-Konzern gerne seine alten Klassiker als Realverfilmungen zurück. Egal, ob „König der Löwen“, „Das Dschungelbuch", „Die Schöne und das Biest", „Pinocchio“, „Dumbo“, „Aladdin" oder auch „Mulan": Disney-Remakes gibt es mittlerweile wie Sand am Meer, nun hat es auch eine bekannte Meerjungfrau getroffen.
Disney produziert Neuadaptionen am Fließband
"Arielle, die Meerjungfrau" kann man jetzt zum 100jährigen Disney-Jubiläum erstmals als waschechte Realverfilmung im Kino bewundern. Apropos waschecht: Man sollte „Arielle“ natürlich nicht mit dem berühmten „Ariel“-Waschmittel verwechseln, sowie man die 23jährige Hauptdarstellerin der Neuadaption Halle Bailey auch nicht mit der 55jährigen berühmten Oscar-Preisträgerin Halle Berry verwechseln sollte. Ob die Neuauflage eine wirkliche Daseinsberechtigung hat, das erfolgreiche Zeichentrickfilm Original von 1989 zu sehr weicht spült, an der Oberfläche bleibt oder in neue Tiefen vorstößt, darf das Kinopublikum jetzt seit dem 25. Mai selbst entscheiden.
Von den vielen Geschichten, die der Walt-Disney-Konzern seit seinen Anfängen in die Welt hinausgetragen hat, ist „Arielle, die Meerjungfrau“ wohl eine der inhaltlich problematischsten für den heutigen Zeitgeist. In dem alten Animations-Klassiker, wo es vor allem um Liebe und Sehnsucht geht, gibt eine noch unerfahrene und sehr junge Frau wegen einer Liebe auf den ersten Blick, erst ihre Stimme und dann ihre gesamte Familie, Identität und Lebenswelt auf, um einen Mann zu heiraten, den sie kaum kennt, mit dem sie nie ein Wort gewechselt hat und den sie erst verführen muss. Regisseur Rob Marshall und Drehbuchautor David Magee versuchten von daher ihr Bestes, um der Neuverfilmung zumindest einen Hauch von Emanzipation zu verleihen.
Die Geschichte der Realverfilmung ist jedoch in großen Teilen nahezu identisch mit jener von 1989 und klappert nostalgisch alle bekannten ikonografischen Elemente ab, auch wenn sie an einigen Stellen neue Wege geht und Schwerpunkte anders setzt: Die lebensfrohe und neugierige Meerjungfrau Arielle interessiert sich für die Welt der Menschen. Ihr Vater, der Meereskönig Triton (Javier Bardem), findet das nicht gut, da er einst seine Frau durch Menschenhand verloren hat und deshalb alle Menschen für ihn böse und gefährlich sind. Arielle widersetzt sich seinen Regeln, rettet den schiffbrüchigen Prinzen Eric (Jonah Hauer-King) vor dem Ertrinken, verliebt sich dabei in ihn und möchte auch ein Mensch werden. Die Meerhexe Ursula (Melissa McCarthy) zaubert ihr daraufhin im Tausch gegen ihre Stimme menschliche Beine und Arielle geht als junge Frau aufs Festland. Dabei hat sie drei Tage lang Zeit, einen Kuss wahrer Liebe von ihrem angebeteten Prinzen zu ergattern, sonst gehört ihre Seele für immer der Hexe.
„Arielle“ polarisierte bereits vor Veröffentlichung
In der neuen Adaption dieser bekannten Geschichte betont Arielle stärker als im Original, dass sie eine junge Frau auf der Suche nach sich selbst und nach Unabhängigkeit sei und sich deshalb von dem strengen Regiment ihres Vaters freischwimmen muss. Der Deal mit Ursula kann folglich als ein Akt weiblicher Rebellion gegen das Unterdrücker-Patriarchat angesehen werden. Doch die Versuche, das Disney-Märchen zu einer feministischen Coming-of-Age-Geschichte umzumodeln, sind letztlich zum Scheitern verurteilt: Prinz Eric lässt sich eben nicht in einen Meermann verwandeln, um seiner großen Liebe Arielle zu folgen, sondern es bleibt beim umgekehrten Weg. Das Drehbuch hält sich brav an die Vorlage, die solch eine Revision einfach nicht hergibt.
#NotmyAriel: Unter diesem Hashtag überboten sich in den Sozialen Netzwerken vorab zahlreiche Kritiker mit viel Schelte über die ersten Bilder aus Disneys Realverfilmung. Der Kritikpunkt: Die Hauptdarstellerin Halle Bailey habe als afro-amerikanische Frau nicht die gleiche Haut- und Haarfarbe wie die rothaarige Trickfilm-Arielle von 1989. Was soll man dazu sagen? Wer schon mal eine echte Meerjungfrau gesehen hat oder wissenschaftlich das Gegenteil belegen kann, hebe die Hand! In dem Fall kann man Disney nun wirklich kein wokes „Blackwashing“ oder „kulturelle Aneignung“ vorwerfen, da Arielle eben keine real existierende oder historische Figur ist, sondern ein Fabelwesen und damit auch in ihrer Hautfarbe verschieden dargestellt werden kann, auch wenn der aus dem 19. Jahrhundert stammende Däne und Schöpfer, Hans Christian Andersen, auf dessen Märchen „Die kleine Meerjungfrau“ Arielle beruht, die Meerjungfrau in seiner Vorlage als hellhäutig, rothaarig und blauäugig beschrieben hat.
Wie dem auch sei: Halle Bailey ist jedenfalls als Arielle in dieser „Fish out of Water“ Geschichte einfach brillant besetzt. Sie ist mit einer fulminanten Stimme gesegnet und begeistert auch an den Stellen, wo sie keine Stimme hat, mit ihrer ausdrucksstarken Gestik und Mimik. Sie trägt den Film von Anfang bis Ende mit ihrer positiven Ausstrahlung. Ihre großen Augen strahlen genau die richtige Mischung aus Abenteuerlust, Wärme und kindlicher Unschuld aus. Sie ist durch ihre Performance und Person die perfekte Wahl, um dieses Fantasiewesen zum Leben zu erwecken.
Das Original schlägt die Neuverfilmung um Längen
Aber die Unterschiede zwischen Remake und Original lassen sich nicht nur an der Hauptfigur festmachen. Der neue Film ist nämlich mit 135 Minuten Laufzeit, ganze 43 Minuten länger als der von 1989. Er hat zudem einige neue Songs, gibt Arielle und Eric mehr an Backgroundstory und Handlungsmotivation, hat ein karibisches Setting und ist etwas düsterer und dramatischer als das Original. Die Wellen der Emanzipation schlagen höher, die Menschenwelt ist kulturell bunter, die Botschaften sind politischer und das Frauenbild ist unserer Zeit entsprechend angepasst.
Disney hat die Akzente verschoben: Arielles ständiges Streben an die Oberfläche gilt nicht mehr so sehr dem Prinzen Eric, es ist jetzt eine grundsätzliche Neugier und Lust auf die Welt der Menschen, die sie an Land treibt. Außerdem, noch bevor Arielle sich in den Prinzen verliebt, beobachtet und belauscht sie ihn und bekommt so mit: Auch Eric fühlt sich missverstanden, auch er hat eigene Pläne für seine Zukunft, will fremde Welten erforschen und fühlt sich zu Hause wie ein Gefangener. Kurzum: Der Prinz ist das irdische Pendant zur Meerjungfrau, quasi ein Seelenverwandter! Aus oberflächlicher Liebe wird innere Verbundenheit und die Story damit auch zu einer Geschichte der Emanzipation zweier junger Menschen von ihren Eltern und gesellschaftlichen Konventionen.
Eine weitere Änderung betrifft Arielles Schwestern: Wenn König Triton seine sieben Töchter zu Beginn des Films zusammenruft, dann nimmt sich das optisch aus wie eine Tagung der Vereinten Nationen, denn jeder einzelnen Tochter kann man ihren kulturellen Ursprung aus Afrika, Asien, Südamerika und Europa ansehen und das wirkt leider zu sehr aufgesetzt und politisch aufgeladen. Zudem wirken die sieben ethnisch diversen Meerjungfrauen-Schwestern, nicht wirklich wie Prinzessinnen, sondern eher wie Models aus verschiedenen Kontinenten, die äußerst spärlich bekleidet, gerade Werbung für die perfekte Hautcreme machen. Ein bisschen mehr Interaktion und Charaktertiefe hätte man den ultraschlanken Schwestern ruhig gönnen können anstatt sie nur dekorativ dabei zu haben.
So schön, farbenfroh und bezaubernd die computergenerierten Unterwasserwelten auch aussehen mögen, muss man sich dennoch an ihre optische Künstlichkeit erstmal gewöhnen: „Arielle“ ist eben nicht „Avatar“. Die drei neuen Songs wirken beliebig und haben weder Ohrwurmpotential noch Wiedererkennungswert. Zudem ist der Grundton der Realverfilmung oft düster und nahezu gruselig: Der einstige kindlich-naiv-unschuldig-lustige Charme des Originals ist insgesamt eindeutig auf der Strecke geblieben, da zu oft der erhobene moralische Zeigefinger einen gesellschaftspolitisch korrekten Weg anzeigt, auf dem Emanzipation, Diversität und Identitätspolitik als Pfeiler der neuen Disney-Agenda stehen.
Dennoch enthält „Arielle“ eine christliche Botschaft
Dieses berechnend wirkende Vorgehen nimmt dem Arielle-Märchen etwas von seiner Magie und seinem zeitlosen Zauber. Denn „Arielle“ ist eben die zeitlose Geschichte eines jungen Mädchens, das das Gefühl hat, nicht dazuzugehören und nirgendwo reinzupassen, die sich fehl am Platz fühlt und nicht verstanden, die Versuchungen erliegt und die falschen Entscheidungen trifft. Letztlich schafft sie es aber, eine Brücke zwischen verfeindeten Welten zu bauen und lehrt uns alle, dass man vor etwas Fremdem keine Angst haben muss, dass es sich lohnt über unsere Welt zu staunen und über den eigenen Tellerrand stets hinauszuschauen. Das ist wahrhaft christlich und eine zeitlos schöne Botschaft, vor allem auch in der zerrissenen Welt, in der wir heute leben.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.