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Als die Hippies ihre Unschuld verloren

Es heißt, die 1960er Jahre endeten am 9. August 1969 - mit den Morden der "Manson Family". Quentin Tarantino hat die Eregnisse nun ins Bild gesetzt.
Filmtipp: "Once Upon a Time ... In Hollywood" - Filmszene mit Leonardo DiCaprio
Foto: Sony Pictures | Gewaltfilme waren ein Motiv für die Morde der "Manson Family" - so eine Botschaft in Quentin Tarantinos Film "Once Upon a Time ... In Hollywood". Im Bild springt Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) von einem Lastwagen.

Als die Hippies Mitte August 1969 ihren Traum von Woodstock erlebten, war das Schockereignis der damaligen Jugendkultur schon eingetreten: In der Nacht vom 8. auf den 9. August ermordeten Mitglieder der sogenannten „Manson Family“ Sharon Tate, die Schauspielerin und Ehefrau des Regisseurs Roman Polanskis, die zur Tatzeit im achten Monat schwanger war, sowie vier weitere Freunde. In der Nacht danach wurde das Ehepaar Rosemary und Leno LaBianca ebenfalls Opfer der Gruppe. Gleich sprach man vom Ende der Hippie-Ära und vom Verlust der Unschuld der 68er – hier wird der Film von Quentin Tarantino ansetzen. Die amerikanische Polizei fand wochenlang keine Spur von den Tätern und war sich zunächst sicher, dass es ein Drogenexzess war. Man glaubte, die Morde seien selbst ein Produkt der Hippie-Kultur.

Ganz falsch war das nicht, denn auch Charles Manson baute seine Kommune auf der Spahn-Ranch außerhalb von Los Angeles nach den Prinzipien von Sex, Drugs und Rock 'n' Roll auf. Allerdings wusste er seine Family auch autoritär zu führen, was in der Frage mündete: „Willst Du für mich sterben?“ Sein Song „Cease to Exist“ forderte: „Hübsches Mädchen, höre auf zu existieren, gibt Deine Welt auf und sag, dass Du mich liebst.“ Viele haben ihm diesen Wunsch erfüllt. Er bestimmte, was geschehen sollte, ordnete die Morde an und gab seiner Family die pointierten Aussagen, für die sie sich ihm rückhaltlos anschlossen. Manson erklärte ihnen die Welt, sagte, Ihr sollt lügen, Gott lügt, vertraut niemandem. Es gebe kein Wahr und Falsch. Mit diesem kranken Bewusstsein führte er die Ideologie der „Blumenkinder“ selbst ad absurdum.

Dabei spielte das „Weiße Album“ der Beatles für Manson eine entscheidende Rolle. Das ganze Album verkünde die Revolution, und das Stück „Helter Skelter“ formuliere das Hin und Her in der Gesellschaft, das Manson provozieren wollte: Reich und Arm, Schwarz und Weiß gegeneinander aufhetzen, um dann selbst das Kommando zu übernehmen. Das, was die Hippie- und Pop-Kultur auf die zunächst ruhigere Art durchsetzen wollte, die Veränderung der Gesellschaft, wollte Manson mit Gewalt erreichen und war dabei zugleich teil der Pop-Kultur.

Fünfzig Jahre nach dem Mord an Sharon Tate hat nun Regisseur Quentin Tarantino das Thema in seinem Film „Once upon a Time ... In Hollywood“ aufgegriffen. Sein Film nimmt die Perspektive gegen die Hippie-Generation ein und verteidigt die Freiheit, Filme zu drehen – was hätte Sharon Tate noch alles drehen können? Dabei geht es Tarantino gar nicht um die Inhalte dieser Filme, sondern um die Möglichkeit, sie zu machen, was durch den Mord unmöglich geworden ist. Auch ist Tate, gespielt von Margot Robbie, eher schwach gezeichnet im Unterschied zu den Figuren, die Leonardo DiCaprio oder Brad Pitt darstellen.

Die dunklen Seiten der Popkultur setzten sich durch

Mehr als in allen seinen Streifen zuvor zeigt Tarantino diesmal Filme im Film. Anhand von Filmen führt Tarantino in die Vorgeschichte zu den Morden ein, wobei freilich auch einiges erfunden ist, wie die beiden Hauptcharaktere: der alternde Schauspieler Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) sowie sein Fahrer und Stuntman Cliff Booth (Brad Pitt). Sie sind in das Geschehen verwickelt, weil Dalton zufällig der Nachbar von Polanski und Tate am Cielo Drive in Hollywood ist. Dalton lässt immer wieder seine Wut an den „Hippieschweinen“ raus; Booth ist da gemäßigter und nimmt auch eines der im bunten und selbstgestrickten Bustier sowie mit Short Pants gekleideten Mädchen als Anhalterin mit, das sich später als Mitglied der Manson Family erweist.

Eine Kernaussage im Film ist die eines weiteren Mädchens der Family, dass sie sich rächen will an der Welt der Filmleute, die die junge Generation mit Gewaltfilmen aufwachsen ließ. Auch in den vielen Filmen im neuen Tarantino-Film geht es immer wieder um das Sterben; der Regisseur reflektiert also darauf, ohne die Mordtaten der Family zu entschuldigen. Die Abrechnung mit dieser Family ist bitter, auf Tarantino-Art werden Kampfhund und Flammenwerfer eingesetzt.

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Die amerikanische Schriftstellerin Joan Didion schrieb über die Morde in ihrer Essay-Sammlung „The White Album“ 1979, viele ihrer Bekannten glaubten, dass die sechziger Jahre am 9. August abrupt beendet worden seien; das sei in einem gewissen Sinne wahr gewesen, fand sie, denn die Spannung sei an diesem Tag gebrochen und die Paranoia habe sich erfüllt. Es ist die Spannung, die auch bei Tarantino zu merken ist, je mehr der Film voranschreitet und die Manson Family an Kontur gewinnt. Die Paranoia, die nach Didion um sich griff, war genau das Hin und Her, Helter Skelter, zwischen Anhängern und Verurteilern von Manson – zu Letzteren gehörte auch Präsident Richard Nixon.

Tarantino setzt Manson im Film bewusst sparsam ein. Der kommt im Film selbst kaum vor, am Anfang ist er zu sehen, als er am Haus von Sharon Tate fragt, ob der Vorbesitzer Terry Melcher noch da wohnt. Tarantino gibt der Figur Manson keinen Raum zur Selbstdarstellung, weil er weiß, dass Manson nur durch seine Anhängerschaft stark geworden ist. Für sich alleine war er zunächst nichts, ein gescheiterter Musiker, Kleinkrimineller und Sprücheklopfer, der seine Anziehungskraft seinem Weltbild jenseits von Moral und Recht verdankt. Satanismus, Drogen, Sex und Rock 'n' Roll waren die mainstream-Themen auch auf der Spahn-Ranch – mainstream ebenso für die Aussteiger und Blumenkinder, die sich an ihrem Ich berauscht haben. Bei Tarantino wird diese Gegenwelt deutlich, auch die Position derer, die das ablehnen, wozu die beiden Protagonisten Dalton und Booth gehören.

Kein Anschein von Personenkult

Mit den Morden, die aus dem Zentrum der Hippie-Welt kamen, war der einheitliche Traum der damaligen Jugend von einem friedlichen und freien Zusammenleben unmöglich geworden. Dennoch haben Mansons Anhänger noch lange die „Wahrheit“ seines Lebens beansprucht, wohl bis heute. Vier Jahre vor Mansons Tod hat ihn seine Anhängerin Aften Elaine Burton 2013 noch im Gefängnis besucht, weil sie beabsichtigte, ihn zu heiraten. Schon früh nach seiner Verhaftung stand die Szene hinter ihm, die Untergrundpresse „Tuesday's Child“ ernannte ihn zum Mann des Jahres, der „Rolling Stone“ titelte: „Manson ist unschuldig.“

Vor der Gefahr solcher Vereinnahmung schützt der Film Tarantinos, deshalb lässt sich der Regisseur nicht auch nur auf den Anschein eines Personenkultes ein, anders als Fernsehserien wie „South Park“, „The Ben Stiller Show“ oder Popmusiker bis zu Marilyn Manson, der sich nach seinem Vorbild benannt hat. Doch Tarantino versucht seinen persönlichen Schlussstrich gegenüber dieser Bewegung zu ziehen; sein Film mündet in eine Abrechnung mit der Manson Family, ohne Gewalt als Mittel der Konfliktlösung anzubieten. Doch entspricht der Schlussstrich der Realität? Die Popkultur ist global präsenter denn je.

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