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Sehnsucht nach Utopia

Die Welt muss romantisiert werden: Dieser Novalis-Maxime lässt sich in der Ausstellung „Malerei und Skulptur der Romantik“ im Arp Museum nachspüren.
Der abgefangene Liebesbrief
Foto: Wikimedia commons / gmeienfrei | Auf der Suche nach Innerlichkeit? Ausschnitt aus Carl Spitzwegs "der abgefangene Liebesbrief".

Sanft legt das kleine Mädchen den rechten Arm um den Hals seiner Mutter, Wange an Wange schauen die beiden in innigem Miteinander die Betrachter an. Um das Jahr 1800 malte Marie-Victoire Lemoine dieses zu Herzen gehende, empfindsame Gemälde von „Geneviève Lemoine und ihrer Tochter Anna-Aglaé Deluchi“. Geborgen im Kreis von Frau und Kindern – so präsentiert John Francis Rigaud im Jahr 1793 den englischen Adeligen „Willoughby Bertie, Graf von Abingdon mit seiner Familie“. Indes scheint die romantische Liebe für „Das schmollende Ehepaar“ erkaltet. Frau und Mann haben einander den Rücken zugewandt, die imposante Kerze mit der lodernden Flamme zwischen ihnen wirkt wie eine Barriere. Das Gemälde, das Johann Peter Hasenclever um 1840 mit hintergründiger Ironie gemalt hat, korrespondiert mit der filigran gestalteten Skulptur aus der Frankenthal-Porzellanskulptur „Eintracht in der Ehe“ (1770): ein zärtlich einander zugetanes Paar, das sich küsst.

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Die genannten Exponate thematisieren die „Romantische Liebe“. Das ist der Titel des ersten Raumes der Ausstellung „Sehnsucht nach Utopia. Malerei und Skulptur der Romantik“ im Arp Museum Bahnhof Rolandseck. Doch was ist im eigentlichen Sinne die romantische Liebe? Ist es die Sehnsucht nach Innerlichkeit, dem Vollzug, der Vollendung? Oder ist es nicht vielmehr ein Topos, der zutiefst ersehnt wird wie eine Utopie, die doch stets unerfüllt bleibt, gar scheitert? Anhand der ebenso umsichtig wie dramaturgisch präzise präsentierten Ausstellungsstücke können die Betrachter die Irrungen und Wirrungen der Romantiker auf der Suche nach dem Liebesideal erspüren. Als Vorlage gilt Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“; eine Ausgabe von 1775 liegt im Ausstellungsbereich. Der Roman ist die literarische Initialzündung für den Beginn dieser in unterschiedlichen künstlerischen Formen Bild gewordenen Suche. Zugleich werden die Besucher beim Rundgang subtil inspiriert, vielleicht gar herausgefordert, sich ihre eigenen Gedanken und Vorstellungen über das Sujet Liebe in ihrem individuellen Lebensvollzug in Gegenwart und Zukunft zu machen.

Die sieben schönsten Ansichten der Welt

Das gilt auch für die Themenkomplexe „Traum und Albtraum“ sowie „Zurück zur Natur“, die sich in den benachbarten Räumen der Kunstkammer Rau im Arp Museum anschließen. Dabei spannt die Schau mit ihren knapp 70 Werken einen weiten Bogen von den 1770er-Jahren bis hin zur Neoromantik zu Beginn des 20. Jahrhunderts. „Die Romantik hat bewiesen: Träume können wahr werden. Musiker, Dichter, Denker, bildende Künstler haben uns ein epochales Kunstwerk an die Hand gegeben, das bis heute nachwirkt“, erklärt Susanne Blöcker, Kuratorin der Ausstellung.

Wer sich darauf einlässt, kann sich im Raum „Traum und Albtraum“ dieser vielschichtigen und anhaltenden Wirkmächtigkeit nicht entziehen. Märchenhaftes und Mystisches, der Blick zurück auf eine romantisierte Vergangenheit mit ihren hoch aufragenden Burgen und markanten Kirchenbauten werden in zahlreichen Werken gezeigt. Immer wieder erfolgt der Verweis auf literarische Vorlagen wie Volkslieder, Sagen oder etwa Shakespeares „Sommernachtstraum“, die die Maler als Leitfaden nutzten. Natürlich darf der Verweis auf die weit über die Region hinaus bekannte Rhein-Romantik nicht fehlen. Nebenbei bemerkt: Auf der Restaurant-Terrasse können die Besucher einen weitläufigen Blick auf das Siebengebirge sowie den Rhein genießen und selbst zu Protagonisten der Rhein-Romantik werden. Dieses Panorama wurde schon auf einem ebenfalls in der aktuellen Ausstellung gezeigten Ölgemälde eines unbekannten Künstlers im 19. Jahrhundert auf Leinwand gebannt. Diese nannte der Forschungsreisende Alexander von Humboldt (1769 bis 1859) eine der „sieben schönsten Ansichten der Welt“.

Wie eng, wie nah Traum und Albtraum indes beieinanderliegen, zeigt sich beispielsweise „Bei der Hexe“ von Carl Spitzweg (um 1870). Die „Wahrsagerin“ von Hugo Kauffmann (1881) fixiert über ihre tief auf der spitz zulaufenden Nase sitzenden Brille die Betrachter mit jenen „unendlichen Augen, die die Nacht in uns geöffnet“ (Novalis, 1772 bis 1801). Jene starke Innerlichkeit, das Traumhafte sowie die Bedeutung des Unterbewusstseins wurden insbesondere seit der Romantik inszeniert. Die dargestellten Träume und Utopien werden ebenso zur Projektionsfläche menschlicher Psyche wie die abgründigen oder angedeuteten Albträume.

Zurück zur Natur

„Und die Welt hebt an zu singen, triffst Du nur das Zauberwort.“ Mit diesem programmatischen Zitat von Joseph von Eichendorff kehren die Besucher „Zurück zur Natur“. Sanft gleitet das „Fischerboot bei Nacht“ (Thédore Gudin, erste Hälfte 19. Jahrhundert) bei mächtigem Vollmond über das spiegelglatte Wasser. Ein früher Caspar David Friedrich zeigt im schier undurchdringlichen Dickicht „Wölfe im Wald vor einer Höhle“ (1798). Johann Martin von Rhoden lässt „Die Kaskade von Tivoli“ (1825) fast hörbar in den Saal rauschen. Selbst noch Jahrzehnte später, 1919, präsentiert Peder Mørk Mønsted mit der „Untergehenden Wintersonne“, die die herrliche Landschaft in ein bezauberndes rot-oranges Licht taucht, jene in der Romantik aufgenommene Suche nach der Einheit von Mensch und Natur.

Insbesondere in den von religiösen Motiven inspirierten Kunstwerken wird jener romantisch-emotionale „Mythos Natur“ angesichts zunehmender Verstädterung und Industrialisierung deutlich. Als „Freiraum bei der Sinnsuche wird Natur zum Spiegel der Seele dessen, der sich in ihr sucht“, heißt es im lesenswerten Ausstellungskatalog. Das gilt eben auch oder gerade mit religiösem Bezug. Carl Spitzwegs „Betender am Waldesrand“ (1850) ist ein eher skizzenhaft gemalter Mensch, der sich geradezu mit der ihn umgebenden Natur zu verbinden, in ihr aufzugehen scheint, während er sich andächtig dem in einem diffusen Licht stehenden, hoch aufragenden Wegekreuz zuwendet. Anmutig ruht die „Schlafende Pilgerin“ (1839) von Julius Friedrich Anton Schrader in der romantischen Landschaft, den Rosenkranz fest mit gefalteten Händen umfassend. Geheimnisvoll kündet der „Klosterhof im Schnee“ (1829) von Carl Friedrich Lessing von jener meditativen Stimmung, die sublim diese Suche – gar Sehnsucht oder Utopie – nach dem Erhabenen, Übermenschlichen, Transzendenten ins Bild setzt.

Auf der Suche

Doch sind es nicht nur diese Bilder, die den Rückzug in eine innerliche Welt auf der Pilgerschaft zu sich selbst einerseits sowie nach dem Überirdischen, respektive Göttlichen andererseits ausdrücken, um dem Lärm und der Geschwindigkeit der Zeit zu trotzen. Denn zu den Annäherungen an das Verhältnis vom Individuum mit und in der Natur gehören auch die Abgründe der menschlichen Seele. Das in düsterer Landschaft gelegene „Schloss am Meer“ von Arnold Böcklin (1859) birgt in seinem Garten das Opfer eines Mordes. Viele Jahrzehnte nach der Romantik inszeniert Max Liebermann mit der Rückenansicht eines eher ärmlich gekleideten Mannes dessen beschwerlich anmutende, eher ernüchternde „Rückkehr auf das Land“ (1892).

„Vielleicht bietet die Romantik ein Gegengewicht zu einem allumfassenden, bedrohlichen Gefühl, dem Verdacht, das ganze Weltgefüge könnte ins Schlingern geraten sein“, betont Julia Wallner. Die Direktorin des Arp Museums ergänzt: „In den drei Kapiteln begegnen wir Künstlerinnen und Künstlern, die um 1780 einen Aufbruch, eine Wende und einen Neubeginn anstrebten und diesen mit den Mitteln der Kunst Ausdruck zu verleihen suchten.“ Das Arp Museum verfolgt die Spuren der Romantik und viele ihrer zeitlosen Themen bis in die heutige Zeit. Zeigen uns Gedankengut und Utopien der Romantik den Wunsch nach dem Rückzug in eine innerliche Welt? Oder ist sie eher eine Antwort auf ein Ohnmachtsgefühl angesichts einer überrationalen Komplexität? Es sind solche Fragen und vielmehr die Suche nach Antworten darauf, die die Schau in Rolandseck besonders aktuell und sehenswert macht. Novalis: „Die Welt muss romantisiert werden. So findet man ihren ursprünglichen Sinn wieder.“

Bis 2. November; Di. bis So. 10 bis 18 Uhr.

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