HAYERS HORIZONTE

Prinzip Leben

Eine altmodische, wichtige Devise: Waffen schaffen keinen Frieden.
Waffentraining in der Ukraine
Foto: IMAGO/Dmytro Smolienko (www.imago-images.de) | Auch wenn der Westen noch und nöcher Material zur Verfügung stellt, scheint der Angreifer so viel mächtiger und stärker als der Verteidiger.

Niemand tut sich leicht mit der schwersten Frage unserer Zeit: Ja oder Nein zu mehr und härteren Waffen. Nur können sich jene in einer diskursiven Komfortzone wähnen, die aus voller Inbrunst die Lieferung von Panzern und vielleicht bald auch Kampfjets an Selenskyi fordern. Sie glaube, man könne dem Aggressor Putin nur mit gleichwertiger Aggression begegnen. Es gilt, die territoriale Integrität der Vorkriegsukraine wiederherzustellen. Wer sich hingegen, wie Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer mit ihrem Manifest, gegen diese konfrontative Strategie positioniert, sieht sich mitunter übelsten Schmähungen auf Twitter & Co. ausgesetzt. Von naiven Träumern bis hin zu Putin–Vasallen reichen die Vorwürfe. Wer hätte vor wenigen Jahren noch für möglich gehalten, dass nicht mehr die Waffenlieferung in Krisengebiete, sondern deren Vermeidung begründungspflichtig werden würde. Der immer lauter werdende Chor der Befürworter zeigt indessen die ganze Perversion einer schleichenden Militarisierung der westlichen Gesellschaften.

Wie viele Sanktionspakete noch?

Klar ist: Auch die Kritiker verurteilen in großer Zahl die hegemonialen Bestrebungen des Kreml-Fürsten, betrachten allerdings die derzeitigen Mittel der Wahl, um dessen Imperialismus zu stoppen, mit Argwohn. Auch ich gehöre zu den Skeptikern, und empfinde es als kaum aushaltbar, die Wünsche eines um das blanke Überleben kämpfenden Volk zur Verteidigungsunterstützung nicht erfüllen zu wollen. Doch ich vertrete eine andere Ansicht als die (übrigens knappe) lautstarke Mehrheit.

Ich notiere 43 Millionen Ukrainer gegen 140 Millionen Russen, ich notiere 200 Milliarden USD Ukraine und 1, 8 Billionen USD Russland. Muss man angesichts dieser Fakten nicht die Frage zulassen, ob letztere diesen Krieg nicht zwangsweise irgendwann gewinnen werden? Auch wenn der Westen noch und nöcher Material zur Verfügung stellt, scheint der Angreifer so viel mächtiger und stärker als der Verteidiger. Sieht man die Bedenken als Faktum an, so bringt jeder weitere Kriegstag nur eine wachsende Anzahl von Toten. Sollten wir daher das gewiss traurige und für alle unbefriedigende Ende nicht vorziehen, indem wir Putin an den Verhandlungstisch zwingen?

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Der wird natürlich nicht mit sich reden lassen, wissen nun alle selbsternannten Militärexperten, die vor einem Jahr alle auch Hobby-Corona-Experten waren. Ist das so? Letztlich können wir diese Frage nur beantworten, wenn wir endlich alle nicht-militärischen Register gezogen haben werden. Wie viele schrittweise Sanktionspakete soll es seitens der EU noch geben? Warum greift man nicht zu den allerschärfsten Instrumenten zur ökonomischen Isolation Russlands? Haben wir überdies wirklich schon sämtliche Gesprächskanäle und diplomatischen Potenziale genutzt? Und was ist eigentlich mit alternativen Konzepten zur Gegenwehr, wie Gandhis Idee des passiven Widerstands, der dabei half, den britischen Kolonialismus zu beenden?

Für die umfassende Freiheit argumentiert es sich leicht in diesen Tagen. Niemand würde gegen sie sprechen. Aber den höchsten Wert sehe ich zumindest nicht in ihr. Mein oberstes Prinzip ist das Leben, das jedes Einzelnen. Ich bin mir sicher, dass nicht einmal in der Ukraine alle das ihrige opfern wollen. Erst recht nicht für eine abstrakte Idee, die sich mal Nation, mal Kultur nennt.

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