Kelmis

Passio-Christi-Spiele 2023 in Kelmis

„Passio Christi“: Vom 4. März bis zum 7. April werden in Kelmis die mittlerweile über die belgischen Landesgrenzen hinaus bekannten Passio-Christi-Spiele aufgeführt.
Die Passion Christi
| Die Szene der Kreuzabnahme wird ein emotionaler Moment bei der Aufführung sein: „Judas und Jesus liegen im Schoß ihrer Mütter. Es ist ein ergreifendes Bild“.

Dass es Passionsspiele nicht nur in Oberammergau gibt, ist inzwischen bekannt. Immerhin existiert mit „Europassion“ eine europäische Vereinigung von Passio-Christi-Spielgruppen, die sich jährlich treffen, um ihre Erfahrungen bezüglich der Darstellung des Leidenswegs Christi auszutauschen. Einer dieser Spielorte befindet sich gleich hinter der deutschen Grenze im Dreiländereck mit Belgien und den Niederlanden. Kelmis (französisch: „La Calamine“) ist mit seinen 11 000 Einwohnern die zweitgrößte Gemeinde der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Hier wird der größte Rosenmontagsumzug Belgiens veranstaltet, obwohl es diese Tradition auch in Flandern und der Wallonie gibt.

2023 werden in Kelmis die mittlerweile über die belgischen Landesgrenzen hinaus bekannten Passio-Christi-Spiele vom 4. März bis zum 7. April zum 13. Mal aufgeführt, über einen Monat lang elf Aufführungen. Sie stehen in diesem Jahr unter dem Motto „Bedingungslose Liebe“. Für die Auflage 2023 wurden das Textbuch sowie das Bühnenbild grundlegend geändert. Auf diese Weise soll dem Zuschauer im Rahmen einer traditionellen Choreografie eine dem Leitthema angepasste Passion präsentiert werden. Im Gegensatz zu Oberammergau halten sich Hotel- und Ticketpreise sowie das Verkehrschaos während der Festspiele im Rahmen, man rechnet mit insgesamt etwas über 4 000 Zuschauern.

„Wir wollten weiblicher werden“

Die Passionsspiele sind seit 1936 ein fester Bestandteil des kulturellen Lebens der Gemeinde Kelmis. In jenem Jahr wurden sie aus Anlass der 25-Jahrfeier der „Patronage“, Vereins- und Versammlungshaus der Pfarrei, mit großem Erfolg uraufgeführt. Der Grundstein war gelegt und man beschloss, die Spiele 1939 zu wiederholen. Nach dem Krieg feierte die „Passio-Christi-Kelmis“ im Heiligen Jahr 1950 ihre Wiedergeburt. Seitdem wird das Drama des Opferleidens Christi mit großem Enthusiasmus alle sieben Jahre aufgeführt. Im selben Haus, denn aus der „Patronage“ ist 1994 das gemeindeeigene Kulturzentrum geworden.

„Die Vorbereitungen auf die Passionsspiele 2023 laufen seit knapp zwei Jahren“, erklärt Raymond Schroers gegenüber der Tagespost. Schroers macht gemeinsam mit Hubert Hilligsmann und Marcel Henn das Regisseurtrio von Kelmis aus. Auch in Ostbelgien muss man sich dem Zeitgeist ein wenig beugen, aber nicht zu viel. „Vor allem weiblicher“ soll es zugehen. „Es sind bestimmte Szenen gestrichen worden, weil wir sie nicht mehr als zeitgemäß empfanden“, erklärt Schroers. „Andere Szenen wurden hinzugefügt, weil wir gemäß dem Motto ,Bedingungslose Liebe‘ andere Schwerpunkte setzen wollten.“ Auffallend ist demnach die Bedeutung, welche die weiblichen Rollen in den Passionsspielen anno 2023 einnehmen werden. „Wir haben die Rolle der Frau im Stück neu definieren wollen“, erklärt Schroers. „Beispielsweise heben wir diesmal hervor, dass auch Judas eine Mutter hat. Das ist eine Revolution.“ Jeder Mensch, ob gut oder schlecht, habe eine Mutter. Dieser Tatsache habe man Rechnung tragen wollen. „Die Mutter von Judas empfindet für ihren Sohn eine bedingungslose Liebe, genauso wie Maria für Jesus.“ Die Szene der Kreuzabnahme wird ein emotionaler Moment bei der Aufführung sein. „Judas und Jesus liegen im Schoß ihrer Mütter. Es ist ein ergreifendes Bild, das zwei, drei Minuten auf das Publikum wirken wird“, verrät Regieleiter Hubert Hilligsmann. Für ihn werden es hingegen die letzten Spiele als Leiter sein. Nach 2008, 2015 und 2023 ist für den 73-Jährigen Schluss. Immerhin ist er seit 1958 dabei, als er als Neunjähriger den Satz „Herr, ich bringe Gäste“ zu sagen hatte. Später folgten Rollen als Jakobus und Judas, ehe er die Regie übernahm.

Lesen Sie auch:

Vokabular wird Teil des Alltags

Familiär geht es zu in Kelmis, die Schauspielertruppe mit einem Mix aus Profis und Laien empfindet sich ein wenig als Familie. Ein wichtiges Element ist zudem das Bühnenbild. Ein Dutzend Personen sind dafür im Einsatz. Hubert Hilligsmann ist dabei nicht der einzige Hilligsmann, der an den Passionsspielen beteiligt ist. Seine Tochter Michele ist ebenfalls dabei, sowie bereits zwei Enkelkinder, berichtet er stolz. „Mein Vater hat ab der ersten Aufführung 1936 immer den Petrus gespielt. Die Passionsspiele waren von Anfang an eine Familienangelegenheit. Dann möchte man auch, dass das weitergeht.“ So sieht es auch Marcel Henn, dessen Ehefrau Walburga sowie die beiden Söhne Gerrit und Marvin bei den Passionsspielen mitwirken: „Es sind schöne Vater-Söhne-Momente, die wir da zusammen erleben.“

Die Begeisterung für die Passio Christi geht im Hause Henn so weit, dass das Vokabular des Stücks Einzug ins Familienleben gehalten hat. „Wir ertappen uns dabei, dass wir den Wortschatz im Alltag übernehmen“, verrät er im Verkündungsblatt „Kelmis-Magazin“ der Gemeinde. „Nicht nur privat bei uns, sondern auch, wenn wir Schauspieler uns nach einer Probe in der Kneipe unterhalten. Alles zielt auf die Passionsspiele ab.“ Zwei Mal die Woche wird in den Monaten vor den Aufführungen geprobt. „Die Mitglieder des Ensembles wissen alle um die Tradition dieses Events“, so Henn. „Ganz zu schweigen von den Näherinnen, den Souffleusen, der Schmink-Abteilung und dem Bühnenteam, auf die alle viel Arbeit wartet.“ 120 Menschen sind an der Produktion beteiligt. 400 Plätze fasst der Veranstaltungsort „Patronage“. Elf Aufführungen zu je dreieinhalb Stunden werden sie stemmen müssen.

Danach ist für Regieleiter Hubert Hilligsmann Schluss. Was die Nachfolge anbelangt, hat man in Kelmis ganz eigene Vorstellungen: „Der Nachfolger muss Passion und Leidenschaft mitbringen und darin aufgehen“, fordert Raymond Schroers. „Spielführer zu sein ist ein Rundumjob.“ Er glaubt auch, dass die Struktur der Leitung sich nach dem Abgang von Hilligsmann ändern könnte: „Eine einzige Person kann das nicht stemmen. Es ist schon eine große Herausforderung, das auf die Beine zu stellen.“ Wie die Zukunft aussehen wird, kann Schroers indes schwer einschätzen. Eines weiß er aber bestimmt: „Solange wir es gesundheitlich können, werden wir für die Passionsspiele da sein.“

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Thomas Philipp Reiter Jesus Christus Passion Passionsspiele

Weitere Artikel

„Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“ ist Teil der Weihnachtsbotschaft. Wie der weihnachtliche Frieden das ganze Jahr über das Familienleben prägen kann.
25.12.2022, 17 Uhr
Cornelia Huber
Bei der Energiekostenpauschale bleiben Väter und Mütter, die ihre Kinder zu Hause erziehen, außen vor. Gerechtigkeit für Familien sieht anders aus. Ein Gastbeitrag.
27.11.2022, 11 Uhr
Andrea Püllen

Kirche

Was auf „synodalen Wegen“ derzeit geschieht, ist mehr als die Wiederholung altbekannter Forderungen.
21.03.2023, 19 Uhr
Martin Grichting