Was wollte Claudia Roth nicht alles als neue Staatsministerin für Kultur anstellen? Zuvorderst sollten diese gigantischen Treibhausgasschleudern Theater, Museen sowie die Filmindustrie klimapolitisch auf Kurs gebracht werden. War sonst nochwas? Naja, manches hat die Grünenpolitikerin, die in die großen Fußstapfen der das Amt prägenden Monika Grütters treten musste, regelrecht überrannt.
Was hat sie für die Kunst getan?
So etwa die Debatten um Antisemitismusvorwürfe gegen das Leitungskollektiv der Dokumenta. Und schließlich folgte natürlich – wie überall – Krise auf Krise. Viel Zeit zum Nachdenken blieb da nicht. Schöne Worte hatte Roth in sämtlichen Reden zur Kultur aber immerhin parat: Demokratie bewahren, Menschenrechte fördern, Rechtsstaatlichkeit bewahren und Erinnerung wachhalten. Mit derlei verbalen Ambitionen lebt eine Staatsministerin für Kultur und Medien ihr Amt, die Kunst primär als Dienst an der Gesellschaft definiert. Doch: was hat sie für die Kunst tatsächlich getan? Während die Theater allenthalben unter Zuschauerschwund und massiven Ausgabeerhöhungen, beispielsweise durch die gestiegenen Energiepreise oder neue, richtige, jedoch stark zu Buche schlagende Tarifanpassungen leiden, schweigt die Ministerin.
Während insbesondere die Independent-Verlage angesichts der gigantomanischen Papierkosten auf dem letzten Loch pfeifen, schweigt die Ministerin ebenfalls. Während ganze Kulturzweige – man denke nur an die chronisch unterfinanzierte Lyrik – um ihr Überleben bangen, schweigt die Ministerin. Während man in Berlin einen fulminanten Museumsbau nach dem anderen ins Auge fasst und Kultur im ländlichen Raum vor die Hunde geht, schweigt die Ministerin.
Diese Liste grundsätzlicher Versagen ließe sich noch weiter fortsetzen. Die Feuilletons haben angesichts des einjährigen Jubiläums der Ministerin entsprechend deutliche Kritik geübt.
Roth fehlen die Visionen
Zu ihrer Verteidigung lassen sich allerdings zwei Punkte anführen. Zum einen hat sie nun die Rückgabe der Benin-Bronzen eingeleitet, zum anderen darf man die Idee des Kulturpasses als Erfolg ansehen. Mit einem pauschalen Konto für Jugendliche, die damit Theatern, Konzerten oder Ähnliches besuchen können, wirkt Roth der Elitisierung mancher sich in der eigenen Blase labenden Kulturinstitutionen entgegen. Wer in der Kunstszene Potenziale der Erneuerung befördern will, der, so die Botschaft, kann sich nicht allein mit opernfreudigen Rentnervereinen begnügen.
Was der kultigen Type Roth allerdings gänzlich fehlt, sind Visionen. Sie sind heute mehr denn je gefragt. Welches Ministerium wäre nämlich geeigneter, sich all den Spaltungserscheinungen in der Gesellschaft zu widmen als das Kulturministerium? Wie schafft man wieder kulturübergreifende Orte der Begegnung, des gegenseitigen Lernens und der Annäherung? Geld und Haushaltsmittel, für die jeder Kulturstaatsminister kämpfen muss, sind das eine, Ideen und ein Gespür für die Macht und Möglichkeiten der Kunst das andere. Der 1955 in Ulm geborenen Politikerin, die zeitweise als Kulturmanagerin gearbeitet hat, stehen noch knapp drei Jahre zur Verfügung, um an der Aufgabe zu wachsen und Versäumtes aufzuholen. Die Begrünung der Kulturszene wird, das ist jetzt schon sicher, als Zielmarke nicht genügen.
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