Beim Durchblättern der aktuellen Ausgabe des 300 Seiten starken „Kölner Domblatts“, in dem jährlich über die Arbeiten und Ereignisse rund um das Kölner Wahrzeichen berichtet wird, fallen den meisten Lesern wohl erst bei genauerer Lektüre einige Zeilen auf, die einen herausragenden deutsch-französischen Kulturaustausch thematisieren. „In einem separaten Raum wurde eine Dekontaminationskammer installiert, einschließlich einer mit Spezialfiltern ausgestatteten Absauganlage. In dieser Kammer wurden die Innen- und Außenseiten sämtlicher Scheiben mit einem Staubsauger und weichen Pinseln vorsichtig vom Bleistaub befreit. Zur persönlichen Sicherheit mussten dabei Schutzanzüge und spezielle Masken mit Atemluftunterstützung getragen werden.“
Fenster vorwiegend in Rot- und Blautönen
So beschreibt in dem vom Zentral-Dombau-Verein (ZDV) herausgegebenen Periodikum der Kölner Dombaumeister Peter Füssenich die international vielfach beachtete, von ihm als außerordentlich aufwändige „Amtshilfe“ bezeichnete Zusammenarbeit zwischen Köln und Paris: Vier Obergadenfenster aus dem Langhaus der 2019 durch einen Brand schwer geschädigten Kathedrale Notre-Dame werden seit April vergangenen Jahres in Köln gereinigt und restauriert. Die Arbeiten befinden sich in der finalen Phase. Denn bereits ab Mitte März soll durch Fachleute aus Köln der Wiedereinbau der insgesamt 100 gläsernen Quadratmeter an einem der bedeutendsten französischen und europäischen Wahrzeichen durchgeführt werden. „Es ist uns eine große Ehre und selbstverständlich, dabei mitzuhelfen, dass unsere gotische Mutterkirche wiederhergestellt wird und wir uns konkret in die Solidarität der europäischen Bauleute einbringen können“, betont Peter Füssenich gegenüber der „Tagespost“.
Die Bilder von dem brennenden Gotteshaus gingen um die Welt. Am Abend des 15. April 2019 war während einer Heiligen Messe ein Feueralarm ausgelöst und ein Feuer auf dem Dachboden entdeckt worden. Das Feuer breitete sich rasch über den gesamten Dachstuhl aus und war erst in den Morgenstunden des Folgetages gelöscht. Auch der mittelalterliche Vierungsturm, das höchste Bauteil von Notre-Dame, brannte und brach nur etwas mehr als eine Stunde nach Beginn des Feuers in sich zusammen, durchschlug den Dachstuhl und fiel ins Mittelschiff des UNESCO-Weltkulturerbes an der Seine.
Die nach dem Großbrand eigens gegründete französische Wiederaufbaubehörde vergibt die Restaurierungsaufträge und hatte im Frühjahr 2022 französische Glasrestaurierungsateliers und Kunstschlosser mit der Wiederherstellung der Fenster betraut. Dabei unterstützt nun, als einziges ausländisches Gewerk, die Kölner Dombauhütte. Die ehemalige Kölner Dombaumeisterin Professor Barbara Schock-Werner koordiniert die deutsche Unterstützung.
Die nach Köln gebrachten Fenster wurden 1965 von dem Glasmaler Jacques Le Chevallier (1896–1987) vorwiegend in Rot- und Blautönen in Anlehnung an die Farben der mittelalterlichen Fenster gestaltet. Dass die Arbeiten in Köln durchgeführt wurden, obwohl diese in Frankreich hätten realisiert werden können, zeigt einerseits, welches Renommee die Glasrestaurierung an der Kölner Dombauhütte genießt. Andererseits wird damit die besondere Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich unterstrichen.
„Dieses Zeichen gelebter europäischer Solidarität steht symbolhaft für die deutsch-französische Freundschaft“, betont vor dem Hintergrund des 60. Jahrestags des Elysée-Vertrags zwischen Deutschland und Frankreich der derzeitige deutsch-französische Kulturbevollmächtigte Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen.
Im kommenden Jahr wieder Gottesdienste geplant
Dessen Amtsvorgänger Armin Laschet hatte bereits am Tag nach der Brandkatastrophe zusammen mit der deutschen UNESCO-Kommission eine Spendenaktion initiiert. Dabei kamen einen halbe Million Euro zusammen. Zudem steuerte der ZDV einen Betrag von 200 000 Euro bei. Eine charmante Reminiszenz an die Geschichte: Denn 1842 war in Paris vom Dichter Heinrich Heine (1797–1856) ein Verein zur Unterstützung des Kölner Dombaus gegründet worden.
Zu den Arbeitsschritten in der Werkstatt unterhalb der Kölner Kathedrale gehörten: Entfernung der Notsicherung an gebrochenen Fenstern, die bildliche Dokumentation und Kartierung von Schäden in den Glasmalereifeldern sowie deren behutsame Reinigung mit einem speziellen Ethanol-Wassergemisch.
„Restauratorisch stellen uns die Arbeiten vor keine schwerwiegenden Probleme“, berichtet Katrin Wittstadt, Leiterin der Glasrestaurierungswerkstatt. „Bleie löten, Gläser kleben, Lücken ersetzen und Fehlstellen füllen – das gehört für uns zum Alltag unserer Arbeit.“ Was aber alles andere als Routine ist, denn die Arbeiten erfordern höchstes handwerkliches Können und viel Sensibilität sowie, im wahrsten Sinne des Wortes, Fingerspitzengefühl. Die besondere Schwierigkeit sei aber der vorbereitende Schritt vor den eigentlichen Arbeiten gewesen, so Wittstadt: „Das Tragen der Schutzanzüge und die Dekontamination der Gläser von giftigem Bleistaub waren für uns eine völlig neue Herausforderung und Erfahrung.“ Durch den Brand des Bleidachs von Notre-Dame hatte sich der höchst gesundheitsgefährdende Bleistaub gebildet und abgelagert.
Besonders erfreut zeigt sich die erfahrene Handwerkerin darüber, dass sich so viele Menschen für die grenzüberschreitenden Arbeiten interessieren. „Den fachlichen Austausch mit den französischen Kollegen habe ich als eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe erlebt, die sehr zur gegenseitigen Verständigung beiträgt.“ Dass das nicht unbedingt selbstverständlich gewesen ist, lässt sich daran ablesen, wenn Wittstadt auf die Rahmenbedingungen verweist: „Obwohl wir ja nur ein kleiner Teil des riesigen Restaurierungsprojekts sind, gab es von französischer Seite sehr konkrete Vorgaben und einen detaillierten Zeitplan. Da mussten wir uns rasch beispielsweise darüber verständigen: Welche Konservierungsmaterialien verwenden wir? Welche Klebstoffe? Wie verkitten wir die Glasscheiben von außen?“
In Paris fanden kürzlich Baustellenbesprechungen statt, damit in Verantwortung der Kölner Dombauhütte unter französischer Aufsicht der Wiedereinbau erfolgen kann. Auch Füssenich und Wittstadt sind dann vor Ort. Bereits im kommenden Jahr sollen wieder Gottesdienste und Besichtigungen in Notre-Dame möglich sein und die Fenster dann wieder zur Freude der Menschen und zur Ehre Gottes in ihrem alten Glanz erstrahlen.
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