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Keine Angst vor Erkenntnis!

Für ehrliche Denker sollte nicht die Suche das Ziel sein, sondern das Finden.
Wer hat Angst vorm Gottesbeweis? Philosophen sollten die Suche nicht mit dem Ziel verwechseln, so Engelbert Recktenwald.
Foto: IMAGO/Zoonar.com/Viktor Gladkov (www.imago-images.de) | Wer hat Angst vorm Gottesbeweis? Philosophen sollten die Suche nicht mit dem Ziel verwechseln, so Engelbert Recktenwald.

Kürzlich stieß ich auf den Satz: „Gäbe es hier absolute und eindeutige Erkenntnisse, dann würde das unsere Freiheit beschneiden.“ Er stammt von einem Philosophieprofessor, der ein Buch über Gotteserkenntnis rezensierte. Tatsächlich: Die eindeutige Erkenntnis einer Wahrheit, z.B. der Existenz Gottes, nimmt uns die Freiheit, in den entgegengesetzten Irrtum zu fallen. Welche Tragik!

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Sie würde auch unsere Suche nach dieser Wahrheit beenden. Wer das Suchen um seiner selbst willen liebt, wird dieses Ende bedauern. So war es, als wir als Kinder nach Ostereiern suchten: Wir waren traurig, wenn die Suche allzuschnell vorbei war. Philosophen können das nachvollziehen: Ihre Suche nach der Lösung von philosophischen Problemen kann ihnen große intellektuelle Freude bereiten. Doch solange diese Freude die Freude am Finden überwiegt, ist solche Philosophie nicht viel mehr als eine Art Denksport. Wer Spaß daran hat, Kreuzworträtsel zu lösen, hat am Rätsel, sobald es gelöst ist, kein Interesse mehr. Unser Professor hat Recht: Ein gelöstes Rätsel nimmt uns die Freiheit, die Freude am Rätsellösen zu genießen.

Fragen um der Antwort willen

Ganz anders sieht es aus, wenn Philosophie kein intellektueller Zeitvertreib, sondern eine existentielle Suche ist. Dann bedeutet „suchen“: „finden wollen.“ Wer einen vermissten Menschen, den er liebt, sucht, will ihn unbedingt finden. Ein Philosoph ist ein Freund der Wahrheit, die er unbedingt finden, also erkennen will. Gelingt es ihm, wird er die Erkenntnis nicht als bedauerliches Ende seiner Suche, sondern als Erlösung aus existentieller Not empfinden, als ein Licht, das ihn aus der Finsternis des Unwissens und Zweifelns befreit. Jacques und Raissa Maritain waren solche Suchende, und wie es ihnen erging, als sie Gott endlich fanden, beschreibt Raissa so: „Ein großer Frieden umfasste uns und brachte Schätze des Glaubens mit sich. Es gab keine Fragen mehr, keinen Unfrieden, keine Versuchungen. Es gab nur die unendliche Antwort Gottes.“

Aber diese Antwort war nicht das Ende ihres Philosophierens. Bekanntlich wurde Jacques Maritain einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Mit dem Glauben an Gott hört die Suche nicht auf, denn die Wahrheit ist unerschöpflich. Die Suche fängt vielmehr erst richtig an – nur mit dem Unterschied, dass man jetzt nicht mehr im Finstern sucht, sondern im Licht. „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (Joh. 8,12). Dieses Licht macht das philosophische Suchen zur wundervollen Entdeckungsfahrt, zu einem unabschließbaren Wachsen im inneren Verständnis. Wem das Licht einmal aufgegangen ist, wird es nicht als Beschneidung seiner Freiheit, sondern als deren Freisetzung erfahren. All meine Freiheit nützt mir nichts, wenn ich in Finsternis gefangen bin. Ich habe dann noch die Freiheit, „Blinde Kuh“ zu spielen. Aber das wahre Leben ist mehr als ein solches Kinderspiel, es ist ein Weg. Für Platon war Philosophie ein Teil dieses Weges, den man allen Ernstes gehen muss. Seit Christus ist es möglich, dass er in eben den Weg mündet, der Christus selbst ist: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“


Pater Engelbert Recktenwald gehört der Priesterbruderschaft St. Petrus an und publiziert zu christlich-kulturellen Themen.

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