Feminismus

Die fehlende Identität des Feminismus

Der feministische Kampf der vergangenen 150 Jahre um Gleichberechtigung war wichtig – nun hat der Feminismus jedoch eine echte innere Erneuerung nötig.
Die Britische anti-trans Aktivistin Kellie-Jay Keen
Foto: IMAGO/Allison Bailey (www.imago-images.de) | Auf ihrer Homepage verkündet Keen provokant: „2023 ist das Jahr der TERF“. TERF („Trans exklusive radical Feminist“): Ein Schimpfwort für Feministinnen, die ausschließlich für die Rechte biologischer Frauen kämpfen.

Eine stark geschminkte Frau, die sich selbst würgt. Schauspielerin Rachel McAdams in Gucci und Bulgari, aber mit Milchpumpen an den Brüsten. Dazwischen ein lächelnder Donald Trump und der verurteilte Sexualstraftäter Harvey Weinstein. 2020 sorgte ein Clip des sehr exklusiven High Fashion US-Magazins „Girls.Girls.Girls“ für millionenfache Klicks. „Be a Lady they said” ist ein Zusammenschnitt aus ausdrucksstarken Bilder der Mode-, Politik- und Popkulturwelt, der unterlegt wird von „Sex and the City“-Schauspielerin Cynthia Nixons eindrücklichen Worten.

Die Feuilletons lobten den Clip als „feministisch“, als „Empowerment“ und als ein „Aufbegehren gegen Sexismus“. Doch eigentlich handelt es sich um ein Potpourri an widersprüchlichen Ist-Zuständen. Wie ein Spiegel zeigt der Clip, wie frau sich in der westlichen Gesellschaft bewegt und wie das bewertet wird. Es gilt: „Sei schlank, fit, iss wenig.“ Zugleich sind da die Stimmen, die sagen: „Du hast zu wenige Kurven, Männer mögen Frauen, die essen und weiblich aussehen.“ Andere Imperative, die das Video gegenüberstellt: „Sei erfolgreich, hab eine Karriere“ versus „Mutter-sein gehört zur Frau dazu, sei eine gute Ehefrau“; „Sei unschuldig, Männer mögen keine leichten Frauen“ versus „Sei doch nicht so prüde und steif“.

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All diese entgegengesetzten Trends und Lebenswelten existieren in unserer pluralistischen und individualistischen Gesellschaft nebeneinander. Fitness, Schönheitsoperationen, Ernährungsberater boomen. Auf der anderen Seite stehen Frauen zu ihren Kurven und nennen das „Bodypositivity“. Es gibt Frauen, die die Karriereleiter hochklettern und sich keinen Nachwuchs wünschen. Andererseits sind da junge Mütter, die bei ihrem Kind zu Hause bleiben, ihrem 3-Jährigen Vollkornkekse backen und die top gestylte Wohnung auf Instagram präsentieren.

„Empowerment“ ist ein leeres Schlagwort

Frauen haben heute die absolute Wahlfreiheit, sich für den Lebensentwurf zu entscheiden, der ihnen am meisten zusagt. In dieser Situation wird es immer den Fall geben, dass sich Mütter von Karrierefrauen als „Heimchen am Herd“ diskriminiert fühlen und kinderlose 35-Jährige von Mamas in die „Irgendwann wirst du es bereuen, keine Kinder zu haben“-Ecke gedrängt fühlen.

Die bittere Wahrheit, die eingefleischte Feministinnen, die sich womöglich die 1960er-Jahre zurückwünschen, als Feminismus noch den Hauch des Anrüchigen, Rebellischen hatte, anerkennen müssen: Klassischer Feminismus ist im Westen obsolet geworden. Einfach deshalb, weil seine Forderungen erfüllt sind. Feminismus hat längst seinen Platz in der breiten Gesellschaft gefunden. „Empowerment“ ist ein mittlerweile leeres Schlagwort, mit dem Yogakurs-Anbieter und Hersteller von Öko-Kleidung Kunden anlocken.

Der Feminismus hat seinen inneren Kompass verloren. Doch hatte er jemals so etwas wie eine Innerlichkeit? Stets verfolgte er äußere Veränderungen wie die Bekleidung von politischen Ämtern durch Frauen, das Sichtbarwerden und Öffentlich-machen von männlicher Gewalt gegen Frauen oder das „Recht“ auf Abtreibung. Jetzt, nachdem der Kampf gekämpft ist, stehen Feministen vor einer Leere. Dabei wurde die Kernfrage von ihnen bis heute nicht gestellt: Wer sind wir Frauen eigentlich? Was macht uns als Frauen aus? Wodurch unterscheiden wir uns von Männern? Angesichts dieses Vakuums bejubelt man Aktionen wie „Be a Lady they said“, die medial für Pomp und Trara sorgen, jedoch das eigentliche Problem verdecken, indem wieder einmal die angeblich „böse“ Gesellschaft, die in dem „they“ zum Ausdruck kommt, als Sündenbock für alles Übel herhalten muss. Es ist Identität, die dem Feminismus fehlt.

Radikalfeministen versus intersektionale Feministen

Die Krise des Feminismus zeichnet sich aber nicht nur durch seinen hohlen Kern aus. Auch von außen droht ihm Zerbruch. Heute, in der dritten Welle des Feminismus, dominiert abseits des populären Feminismus der sogenannte „intersektionale Feminismus“. Dieser setzt sich für alle angeblich diskriminierten Gruppierungen ein, wie POC („people of colour“) oder queere Menschen. Im Fokus steht nicht mehr die Frau, sondern sogenannte FLINTA-Personen (Frauen, Lesben, Inter-, Non-binäre, Trans- und Agender). Ein immer intensiverer Kampf zwischen Radikalfeministinnen, die ausschließlich für die Rechte biologischer Frauen kämpfen, und intersektionalen Feministinnen zeichnet sich ab.

Erstere fürchten, dass durch das von der Ampel-Regierung geplante Selbstbestimmungsgesetz oder durch die in England umstrittene „Gender Recognition Reform Bill“ Rechte und Schutzräume, die bis dato ausschließlich Frauen galten, für Transfrauen geöffnet werden könnten. Dadurch werde dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet, kritisieren sie. Frauen, die das in den sozialen Medien thematisieren, wie zum Beispiel „Harry Potter“-Autorin J.K. Rowling, ernten Diffamierung und werden als „transphob“ bezeichnet. Im schottischen Glasgow veranstaltete die US-Frauenrechtlerin Kellie-Jay Keen, die die weltweite Plattform „Standing up for women“ ins Leben rief, Anfang Februar die Frauen-Kundgebung „Let women speak“.

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Feminismus müsste sich erneuern

Transgender-Aktivisten veranstalteten eine Gegendemonstration. Der Anlass für die Frauen-Kundgebung war der „Isla Bryson Skandal“, der in England für Aufregung sorgte. Der wegen zwei Vergewaltigungen verurteilte Adam Graham begann in der Zeit der Gerichtsverhandlungen mit dem Prozess einer Geschlechtsumwandlung und wurde deshalb in ein Frauengefängnis gesteckt. Nach Protesten in der Bevölkerung wurde „Isla Bryson“, wie er sich nun nennt, doch in ein Männergefängnis verlegt. Auf ihrer Homepage verkündet Keen provokant: „2023 ist das Jahr der TERF“. TERF („Trans exklusive radical Feminist“) ist ein Schimpfwort für Feministinnen, die ausschließlich für die Rechte biologischer Frauen kämpfen. Die Kämpfe erreichen auch Deutschland: Aus Anlass des Weltfrauentags am 8. März plant die radikalfeministische deutsche Initiative „Lasst Frauen sprechen“, die auch gegen das geplante Selbstbestimmungsgesetz ist, eine Demo in München.

Der Feminismus müsste sich erneuern, wenn er eine Zukunft haben möchte und nicht vollends von sozialistischen Anliegen (Intersektionalität) und LGBTQIA-Theorien eingenommen und verschlungen werden will. Der feministische Kampf der vergangenen 150 Jahre um Gleichberechtigung war über weite Strecken wichtig, damit die Frau die Würde eines Menschen erlangt und nicht länger als dem Mann unterstelltes und ihm dienendes Wesen gilt, das hierarchisch fast auf Augenhöhe eines Tieres steht. Nachdem die Frau nun zum Mensch wurde ist es Zeit für den nächsten Schritt: Wie sich der „The Daily Wire“ Kolumnist Matt Walsh in seiner Doku „What is a woman?“ auf die Suche nach einer Antwort auf seine Frage begibt, sich dabei aber rein auf die Biologie beschränkt, müsste sich der Feminismus heute fragen, was eine Frau ihrem geistigen Wesen nach ist und was sie psychisch vom Mann unterscheidet. Ohne Identität, ohne inneren Stand werden Frauen sich nämlich immer wieder, wie ein Blatt im Wind, von modischen Erscheinungen und Einflüssen, die sie selbst nicht wollen, hin- und herschaukeln, verunsichern und beherrschen lassen – und die Schuld anschließend einer abstrakten Gesellschaft, deren Teil sie selbst sind, in die Schuhe schieben.

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