Bochum

"Eine unterschätzte Form der Spiritualität"

Mit der Nase durch das Kirchenjahr? Ein Bochumer Theologen-Team will die Feste des Glaubens durch besondere Düfte neu erschließen.
Kirchenjahr durch Düfte erschließen
Foto: zap.aerotek | Mit neu geschaffenen Raumdüften will das zap-Team die Feste des Kirchenjahres neu erschließen und Kirchen attraktiver machen.

Kirche und Gerüche? Wenn sie daran denken, fällt vielen auf Anhieb nur der Weihrauch ein. Die Kirchenräume mit bestimmten Düften zu fluten, das Christ-Sein mit der Nase zu erfahren, das ist dagegen nach wie vor ungewöhnlich und für die meisten ein fremder Gedanke.  Doch dem Team vom Zentrum für angewandte Pastoralforschung (zap) an der Ruhr-Universität Bochum, das vier Raumdüfte für Kirchen entwickelt hat, geht es weder um einen billigen Gag noch darum, die Kirche auf billige Weise aufzumotzen oder aufzuhübschen.

Sein durchaus seriöses Anliegen ist es stattdessen, die herkömmliche Liturgie zu bereichern und ihr eine weitere Sinnesdimension hinzufügen. "Eine Kirche soll um Gottes willen nicht riechen wie eine Drogerie", räumt zap-Leiter Professor Matthias Sellmann gleich mit einem Vorurteil auf. "Aber der Duft ist die unterschätzte Dimension der Spiritualität, und wir wollen eine Abwechslung und Verfremdung für die Gottesdienstbesucher schaffen, mit der sie den spirituellen Reichtum neu erfahren können." Dafür hat das zap-Team, zu dem neben Sellmann auch Christopher Pilz und Björn Hirsch gehören, Düfte kreiert, die in eine Kirche passen und theologisch durchdacht sind.

„Bisher konzentriere sich das Interesse auf das Ruhrgebiet sowie Teile von Hessen;
auffällig sei die vergleichsweise starke evangelische Nachfrage,
obwohl es dort weniger Erfahrungen mit einer sinnlich gestalteten Liturgie gebe“

Die Idee zu der ungewöhnlichen Aktion wurde bereits 2016 geboren, als das Kölner Metropolitankapitel den weltberühmten Dom mit allen Sinnen erschließen wollte. "Unsere neue Idee entwickelte sich also von der Beduftung von Kathedralen her", erläutert Sellmann. Ein Duftwissenschaftler der Uni Bochum und ein international bekannter Parfümeur, die vor allem jungen Leuten und Computerspiel-Fans den Kirchenraum ganz neu erschließen sollten, wurden hinzugezogen. Unter dem Titel "Der leuchtende, klingende, duftende Dom" wurde drei Tage lang ein spezieller Duft namens "silent mod" freigesetzt, der   wie der Name es schon sagt - für eine ruhige Aneignung der Kathedrale sorgen sollte. Das Experiment gelang und fand besonders bei Kirchenfernen große Resonanz. Daraufhin kam eine nachbereitende Reflexion des Bochumer zap-Teams zu dem Ergebnis, dass die Zugänge zu den großen Christusfesten des Kirchenjahres künftig über Düfte hergestellt werden sollen. 

Die Bochumer setzten sich mit Experten in Verbindung, die Düfte erschließen und kommentieren können, und entwickelten vier Düfte, die sich an den Festen im Kirchenjahr orientieren und zusammen die "zap:aerothek" bilden. "Physis" nennt sich der Duft zur Weihnachtszeit, der an die Inkarnation erinnern soll und nach Darstellung von Sellmann "ein sehr holziger, erdiger Basisduft mit leichter Vanillin-Note" ist. "Vanillin ist auch der Grundstoff der Muttermilch", weist Sellmann auf die weitreichenden Bezüge hin. Einerseits habe man auf die Duftwelten, die mit Advent, Weihnachten und den Weihnachtsmärkten in Verbindung gebracht werden, zurückgreifen wollen, andererseits sollte auch keine Kopie des Weihnachtsmarkts in die Kirche gebracht werden. "Physis soll ein Gefühl der Geborgenheit vermitteln", erläutert der Pastoraltheologe. "Darüber kann man gut predigen und diesen Eindruck mit Musik und Licht unterstreichen." 

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Vielfältige Interpretationsmöglichkeiten diverser Düfte

Der Osterduft "Kenosis", der für Aufbruch und den Übergang vom Tod zum Leben stehen soll, besitzt ein frisches Zitronenaroma mit holzig riechenden Duftstoffen sowie einen Hauch von Myrrhe. "Dieser Duft darf nicht zu lieblich sein, weil er vom Karfreitag herkommen muss und deshalb die Tiefendimension des Opfers, des Leids und des Kreuzes umfassen soll", so Sellmann. Für Pfingsten hat das zap-Team dagegen einen maritimen Duft entwickelt, der eine Brise (Symbol für das Brausen des Geistes) mit sich bringt und unter dem Titel "Dynamis" die Bereitschaft für einen geistigen und geistlichen Neuaufbruch anspricht. "Durch diesen Duft werden wir aufgeschlossener und neugieriger", verdeutlicht Sellmann. "Er spricht eine intellektuelle, geistige Dimension an."

Der Duft für die nicht geprägten Zeiten im Kirchenjahr ("Phronesis") bringt schließlich die Vanillin-, die Myrrhe- und die maritime Spur zusammen und vereinigt sie zu einem Geruch von Normalität, Routine und Unaufgeregtheit. Das Duftpaket, das alle vier Duftrichtungen umfasst, ist inzwischen auf dem Markt und kann für einen Preis von 150 Euro für das ganze Jahr erworben werden. Zum Paket gehört auch ein Begleitbuch, das schon viel früher geplant war, aber wegen des akuten Papiermangels erst in diesen Tagen erscheinen kann. Teuer ist allerdings der Diffusor, die mobile Beduftungsmaschine, die man benötigt, um die Duftnote in der jeweiligen Kirche verteilen zu können: Er kostet etwa 1.200 Euro.

Es fehlt noch an Bekanntheit

Die Probephase, die in kleinen Gemeinden, Altenheimen und Krankenhäusern gelaufen ist, war durchaus ermutigend. Derzeit überlegen sich viele Verbände und Jugendkirchen, ob sie sich die vier Flaschen mit den verschiedenen Raumdüften zulegen sollen; von 50 Aerotheken, die das zap-Team erstellt hat, sind bisher zehn verkauft. "Keine Frage: Wir müssen das Paket noch bekannter machen", gibt Sellmann zu. "Je mehr sich dafür interessieren, desto preiswerter wird es." Bisher konzentriere sich das Interesse auf das Ruhrgebiet sowie Teile von Hessen; auffällig sei die vergleichsweise starke evangelische Nachfrage, obwohl es dort weniger Erfahrungen mit einer sinnlich gestalteten Liturgie gebe. Offenbar, so Sellmanns Vermutung, betrachten protestantische Gemeinden die angebotenen Düfte als gute Ergänzung zur gemeinsamen Bibel-Lektüre.

Obwohl nicht ausdrücklich als Marketinginstrument gegen den Mitgliederschwund der Kirche gedacht, räumt Sellmann ein, dass die Raumdüfte selbstverständlich auch unter dem Eindruck der Kirchenkrise entstanden seien. "Ich hoffe, dass wir dem einen oder der anderen die Idee vermitteln, dass die Kirche ganz anders ist, als viele denken", betont er. "Insofern machen wir das auch, damit Austrittswillige doch noch in der Kirche bleiben."

Ein breites Spektrum an Einsatzmöglichkeiten

Auf keinen Fall aber gehe es darum, Menschen mit den Düften zu manipulieren. Ziel sei es einzig und allein, die Qualität der kirchlichen Arbeit zu verbessern und das Wesen der kirchlichen Feste neu zu erschließen. Der Kreativität hinsichtlich der Orte und Einsatzmöglichkeiten seien dabei keine Grenzen gesetzt. "Wir hoffen auf theologischen und pastoralen, nicht auf finanziellen Erfolg", stellt Sellmann klar. "Unser Projekt muss sich erst etablieren und Akzeptanz finden. Dann könnten wir uns vorstellen, auch für Marienfeste und Marienwallfahrtsorte Düfte zu entwickeln, wo es ebenfalls eine große Tradition gibt."  


Kontakt und Bestellungen beim Zentrum für angewandte Pastoralforschung,
O-Werk, Suttner- Nobel-Allee, 44803 Bochum, Tel. 0234/3225662,

E-Mail: aerothek@zap-bochum.de.


Viele Anregungen, Ideen und Einsatzmöglichkeiten enthält das Begleitbuch zur Aerothek,
das unter dem Titel "Weil mehr als Weihrauch möglich ist. Der Einsatz von Düften im Kirchenraum"
gerade im Würzburger Echter-Verlag (ISBN 978-3-429-05618-6) erschienen ist. 

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Themen & Autoren
Gerd Felder Evangelische Kirche Kirchenjahr Kirchenkrisen Matthias Sellmann Ruhr-Universität Zentrum für angewandte Pastoralforschung (zap)

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