Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung 200. Geburtstag von C.F. Meyer

Ein „später Klassiker“ kehrt zurück

Ihn lasen Sigmund Freud und Hugo von Hoffmansthal: Conrad Ferdinand Meyer verhandelte in historischen Stoffen bis heute gültige Gewissensfragen. Zum 200. Geburtstag lohnt es sich, diesen Schweizer neu zu entdecken.
Novellen von Conrad Ferdinand Meyer gehörten früher zum bildungsbürgerlichen Kanon und wurden auch erfolgreich verfilmt. Hier „Gustav Adolfs Page“(1960) mit Curd Jürgens und Liselotte Pulver in den Titelrollen.
Foto: IMAGO/United Archives / Kindermann (www.imago-images.de) | Novellen von Conrad Ferdinand Meyer gehörten früher zum bildungsbürgerlichen Kanon und wurden auch erfolgreich verfilmt. Hier „Gustav Adolfs Page“(1960) mit Curd Jürgens und Liselotte Pulver in den Titelrollen.

Er ist ein Meister des Poetischen Realismus, einer der großen Erzähler des 19. Jahrhunderts und wohl einer der wichtigsten deutschsprachigen Schweizer Autoren überhaupt - und dennoch ist Conrad Ferdinand Meyer heute kaum noch aktuell, selbst in literarhistorisch interessierten und gebildeten Kreisen. Doch ein besonderes Ereignis mag nun eine gute Gelegenheit sein, den großen Schweizer neu zu entdecken: nämlich dessen 200. Geburtstag. Die Biografie lässt sich schnell erzählen: Conrad Ferdinand Meyer wurde am 11. Oktober 1825 in Zürich als Sohn des Regierungsrates Ferdinand Meyer in eine Zürcher Patrizierfamilie hineingeboren und entschied sich früh, Schriftsteller zu werden. Einige Jahre seiner Jugend lebte er in Lausanne, gelangte er durch eine Erbschaft in gesicherte Verhältnisse und lebte ab Ende der 1860er Jahre in beziehungsweise bei Zürich. Meyer, der immer wieder unter psychischen Schwierigkeiten litt, starb 1898 in Kilchberg bei Zürich. Das vom Schweizer Bildhauer Louis Wethli geschaffene Grabdenkmal in der Form eines Obelisken ist heute noch auf dem Friedhof Kilchberg zu sehen.

 Erfolg als Lyriker und Erzähler

Literarisch erfolgreich wird Meyer erst spät, als er 1872 im Alter von 46 Jahren den Gedichtzyklus „Huttens letzte Tage“ veröffentlichte. Darin porträtiert er den sterbenskranken Ritter und Humanisten Ulrich von Hutten auf der Insel Ufenau, wo er seine letzten Tage verbringt. Im Vordergrund steht Huttens Rechtfertigung seines Kampfes für die Reformation gegen das Papsttum, die er inmitten der Natur und Jahreszeiten der Insel findet. Ein Jahr später erscheint dann die Novelle „Das Amulett“, die sich mit der Katastrophe der Bartholomäusnacht von 1572 befasst. Ein katholischer Offizier riskiert sein Leben, um einen reformierten Freund zu retten; der titelgebende Talisman verweist auf Einsiedeln und steht für Vertrauen und Schutz jenseits konfessioneller Grenzen. Die Novelle wird daher als konfessionsübergreifende Rettungsgeschichte in einer Zeit verstanden, in der der Schweizer Staat den Einfluss der katholischen Kirche gesetzlich zu unterbinden hoffte. Meyer plädiert in der Novelle für den Frieden zwischen den Konfessionen und den Primat der gemeinsamen Nation über der unterschiedlichen Religion.

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 „Die Hochzeit des Mönchs“ wiederum entfaltet schließlich das Drama eines Gelübdes im Licht der Dichtung Dantes. Meyer nutzt Dante-Referenzen, um den Konflikt zwischen verpflichteter Lebensform und begehrter Freiheit zu verdichten. Der Text verhandelt die Frage nach der Wahrheit von Gelübden, ohne moralistisch zu verkürzen, und zeigt: Wer mit freiem Anlauf springt, springt gut; wer gestoßen wird, springt schlecht. „Angela Borgia“ ist Meyers letztes Prosawerk (1891) und führt mit der Titelheldin in die italienische Renaissance an den Fürstenhof von Ferrara. Dort entspinnt sich eine verhängnisvolle Liebesgeschichte zwischen Angela und dem lasterhaften Don Giulio d‘Este. Im Kampf um ihre Gunst lässt Kardinal Ippolito seinem Stiefbruder die Augen ausstechen – eine Tat, die das weitere Schicksal aller Beteiligten bestimmt. Schuld und Sühne prägen den Verlauf: Angela fühlt sich zunehmend schuldig am Unglück Don Giulios. Als man sie verheiraten will, wendet sie eine List an und entkommt der arrangierten Ehe. Die Novelle endet versöhnlich – Angela und der blinde Giulio finden auf dem abgeschiedenen Landschloss Pratello ihr privates Glück. Meyer nannte das Werk eine „Renaissanceorgie“ und schuf damit sein drastischstes Prosawerk. Auch in der moralisch verkommenen Welt der Borgias sucht er nach Möglichkeiten menschlicher Läuterung.

 Jubiläumsjahr macht den europäischen Rang des Autors sichtbar

 Literarisch ist Meyers Bedeutung nicht groß genug zu bemessen. Meyers Texte sind kein museales Tafelwerk, sondern literarische Versuchsanordnungen über das Ringen des Menschen unter Druck. Seine streng komponierten Novellen nutzen historische Kulissen, um Entscheidungssituationen zwischen Macht, Pflicht und Gnade zuzuspitzen. Die formale Disziplin kennzeichnet sein gesamtes Werk: knappe, rahmenerzählte Novellen, die mit wenigen Mitteln große Wirkung erzielen. Conrad Ferdinand Meyer hat sich nicht in Gesinnungsästhetik eingerichtet. Er schreibt so, dass die Leser in den Konflikten seiner Figuren mitentscheiden müssen. Vielleicht erklärt das, warum sein Werk im Jubiläumsjahr wieder so gegenwärtig wirkt: Es liefert keine Thesen, sondern formt Fragen über Macht und Recht, über Treue und Verrat, über die Freiheit des Gewissens. Dafür lohnt die Rückkehr zu diesem „späten Klassiker“ aus Zürich, dessen europäische Perspektive und sprachliche Strenge auch nach 200 Jahren nichts von ihrer irritierenden Klarheit verloren haben.

 Das Jubiläumsjahr macht den europäischen Rang des Autors zusätzlich sichtbar. Das Deutsche Seminar der Universität Zürich hat Meyer eine internationale Tagung gewidmet, ebenso bieten die Zentralbibliothek Zürich und das C. F.-Meyer-Haus in Kilchberg ein umfangreiches Programm mit Vorträgen, Führungen und thematischen Veranstaltungen. Apropos C. F.-Meyer-Haus: Das Museum bewahrt Arbeitszimmer, Bibliothek und persönliche Gegenstände, kuratiert literarische Führungen und öffnet den Garten für kulturelle Anlässe. Auch die Publizistik hat sich Meyer aufs Neue angenommen. Philipp Theisohn neue Biografie „Conrad Ferdinand Meyer: Schatten eines Jahrhunderts" (Wallstein Verlag, 2025) versucht, die Spannung zwischen realistischem Novellisten, religiös sensibilisiertem Moralisten und politisch geprägtem Zeitgenossen neu zu vermessen. Theisohn erzählt die Lebensgeschichte Meyers als Roman einer Epoche, ihrer Sehnsüchte und Ängste und macht deutlich, warum Meyer von Sigmund Freud ebenso gelesen wurde wie von Hugo von Hofmannsthal. Zugleich digitalisieren Institutionen zentrale Quellen: Die Zentralbibliothek Zürich hat pünktlich zum Jubiläumsjahr Teile von Meyers Privatbibliothek und Nachlass online sichtbar gemacht – ein niedrigschwelliger Zugang, der Forschung und Lektüre erleichtert.


Mehr Informationen zu den Angeboten der Zentralbibliothek Zürich zum Jahrestag Conrad Ferdinand Meyers finden Sie hier.

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