Kunst

Diözesanmuseum Freising: Ausstellung „Verdammte Lust“

Mit den Themen Kirche, Körper, Kunst zeigt das Diözesanmuseum Freising eine Ausstellung über die „Verdammte Lust“.
Meister von Großgmains „Die Heiligen Augustinus und Hieronymus“ (um 1600)
Foto: Thiede | Auf dem Knie von Augustinus liegt zum Zeichen seiner glühenden Gottesliebe das von einem Pfeil durchbohrte Herz.

Ihr traut euch was“ bekommt Christoph Kürzeder immer wieder mit Blick auf die neue Sonderausstellung des Diözesanmuseums Freising zu hören. In ihr geht es um Sexualität und christliche Religion im Spiegel der Kunst. Museumsdirektor Kürzeder und sein Team haben sich des Themas auf Vorschlag von Reinhard Kardinal Marx angenommen. Der Erzbischof des Bistums München-Freising beurteilt die Thematik als „höchst aktuell und brisant, da die derzeitige Diskussion um den Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche nicht nur systemimmanente Probleme, wie Klerikalismus und Machtmissbrauch, offenlegt, sondern vor allem auch eine entscheidende Grundproblematik, nämlich die oft sehr belastete Beziehung vieler Menschen in unserer Kirche zu Körperlichkeit und Sexualität“.

Die Schau bietet über 150 Werke aus den letzten 2 000 Jahren auf. Skulpturen des lüsternen Pan sowie mit erotischen Szenen dekorierte Öllampen aus der römischen Antike schwelgen in unbeschwerter Sinnenfreude. Ölgemälde aus der Renaissance zeigen die Liebesgöttin Venus und ihren Liebespfeile verschießenden Begleiter Amor.

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Sexualität als ein kirchenpolitisches Thema

Der von Giulio Cesare Carponi gemalte „Rausch des Silens“ (um 1665) artet zur vielfigurigen Orgie aus. Die Mehrheit der  Kunstwerke aber ist christlichen Themen gewidmet. Sie stammen aus dem späten Mittelalter bis hin zum frühen 19. Jahrhundert. Denn „die im Bild geführten Körperdiskurse sind in diesem Zeitraum klar von religiösen Ideen dominiert“, so Kürzeder.

Die damalige christliche Sexuallehre gilt in der katholischen Kirche noch heute: Geschlechtsverkehr ist nur zwischen Ehepartnern erlaubt und hat das Ziel, Nachwuchs zu zeugen. Kardinal Marx, der Schirmherr der Schau, aber hält das für von der Lebensrealität längst überholt und daher einen Diskurs über die katholische Sexuallehre für dringend geboten: „Es ist um der Menschen willen an der Zeit, eine lebensdienliche Moral und Lehre weiterzuentwickeln, die auf der Höhe der gegenwärtigen Debatten die Menschenfreundlichkeit Gottes verkündet.“

Ein „Gesetz“ der katholischen Kirche

Ist der heilige Augustinus an der Lustfeindlichkeit der katholischen Kirche schuld? Kürzeder erklärt: „Im Christentum ist sicher ein Grundproblem, dass ein Fluch über der Sexualität gesehen und die Vertreibung aus dem Paradies damit zusammengedacht wird. Besonders der Kirchenvater Augustinus hat sexuelle Lust immer als eine Entfernung von Gott gedeutet.“ Entgegen der Heiligen Schrift beurteile Augustinus nicht nur Sterblichkeit, Leiden und das schmerzvolle Gebären, sondern auch den Sexualtrieb als Strafe für den Sündenfall. Der bis heute einflussreiche frühchristliche Theologe ist auf dem vom Meister von Großgmain gemalten Bild „Die Heiligen Augustinus und Hieronymus“ (um 1600) ins Studium der Bibel vertieft. Auf dem Knie von Augustinus liegt zum Zeichen seiner glühenden Gottesliebe das von einem Pfeil durchbohrte Herz. In seinem autobiographischen Text schrieb er über Jesus: „Du hattest unser Herz durch deine Liebe getroffen.“

Die mit dem Gemälde „Adam und Eva“ (nach 1537) von Lucas Cranach dem Älteren beginnende Schau stellt den Menschen als sexuelles Wesen einem theologischen Ideal gegenüber: die unreine fleischliche Begierde der reinen Hingabe an Gott. Als Vorbilder der Keuschheit treten auf Gemälden und Skulpturen der Ausstellung die heilige Jungfrau Maria und ihr Sohn Jesus Christus auf. Eine Michelangelo zugeschriebene Holzschnitzerei (Ende 15. Jahrhunderts) zeigt den Gekreuzigten völlig nackt. Er weist einen schlanken, athletischen Körper auf. Das aber soll nicht als schamlose Bloßstellung oder erotisches Signal missverstanden werden. Vielmehr ist Jesu Schönheit ein Zeichen seiner Vollkommenheit. Lebensgroß und „gut gebaut“, wie eine Mitarbeiterin des Diözesanmuseum urteilt, sitzt der bis auf ein Lendentuch nackte „Christus an der Geißelsäule“ (Italien, 17. Jahrhundert).
Hinter ihm an der Wand hängen eine Geißel und weitere reale „Bußwerkzeuge“. Sie stammen aus dem Nonnenkloster Beuerberg. Diese Werkzeuge zur Selbstzüchtigung weisen uns auf eine schmerzhafte Form der Christusnachfolge hin, die der Buße und der Unterdrückung der sexuellen Triebe diente. Die dem Museumsteam angehörende Anna-Laura de la Iglesia y Nikolaus merkt dazu an: Aber „nicht erst seit den Schriften des Marquis de Sade ist diese intensive Form der Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper durchaus sexuell konnotiert“.

Ein Gemälde Johann Michael Deglers stellt uns den „Heiligen Aloysius von Gonzaga“ (1726) vor. Der jugendliche Jesuitennovize schmachtet mit großen Augen ein Standkruzifix an. Er scheint auf Gegenliebe zu stoßen, denn der Gekreuzigte neigt seinem Anbeter das Haupt zu. Als Zehnjähriger gelobte Aloysius der Gottesmutter Maria, ihrem Vorbild zu folgen, indem er seine Jungfräulichkeit bis zum Tode bewahre. Das gelang dem mit 23 Jahren gestorbenen Aloysius. Die Jesuiten erhoben ihn deshalb zum Vorbild für den absolut keuschen Lebenswandel. Neben ihm hängt ein Porträt von „Fürstbischof Kardinal Johann Theodor von Bayern“ (Mitte 18. Jahrhundert). Der fürsorgliche Vater zweier Töchter bezeugt, dass der Zölibat, verstanden als absolute Keuschheit, lebenslange Jungfräulichkeit und Ehelosigkeit, ein „Gesetz“ der katholischen Kirche ist.

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Bizarre und gewagte christliche Kunst

Nach „Versuchungen“ fahndenden Besuchern seien die Gemälde der Heiligen Sebastian und Maria Magdalena empfohlen. Die auch bei vielen anderen Exponaten zu bemerkende Mehrdeutigkeit ist bei ihnen besonders offensichtlich. Die körperliche Schönheit als Ausweis des Glaubenshelden bekommt in Luca di Paolos Gemälde „Der heilige Sebastian mit Angehörigen einer Laienbruderschaft“ (1470–1475) eine frivole Note. Denn der von Pfeilen durchbohrte athletische Märtyrer ist bis auf seine roten Stiefel und sein zur Transparenz neigendes Lendentuch nackt. Bizarr wirken die weitaus kleiner als Sebastian dargestellten Laienbrüder, denn sie sind vermummt wie Mitglieder des Ku-Klux-Klans. Eine Geißel und einen Totenschädel hält die von Guido Cagnacci gemalte „Büßende Maria Magdalena“ (1626/27) in den Händen. Aber mit entblößtem Oberkörper präsentiert sie sich als verführerische Erscheinung. Ihr Mund steht offen, ihre Augen sind geschlossen. Sie scheint außer sich. Ihre Buße wird zum lustvollen Akt.

Das gewagteste Werk beschließt den Rundgang: Leonardo da Vincis Zeichnung „Angelo Incarnato“ (um 1513–1515). Die Beschreibung übernimmt Christoph Kürzeder: „Der Engel deutet mit einer Hand zum Himmel und in seiner Körpermitte ist zu sehen, dass er erregt ist. Da ist die Spannung zwischen himmlischer und irdischer Seligkeit sehr deutlich.“

Bis 29.5.2023 im Diözesanmuseum Freising, Domberg 21. Di.-So. 10-18 Uhr. Eintritt: 8 Euro. Informationen: www.dimu-freising.de. Der im Hirmer Verlag erschienene Katalog kostet 49,90 Euro, der Essayband 39,90 Euro, beide zusammen 80.– Euro

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