Bei den Berichten über die englischen Krönungsfeierlichkeiten haben die Medien immer wieder darauf hingewiesen, dass es neben den begeisterten Royalisten auch zahlreiche Gegner der Monarchie gegeben hat, die lautstark gegen den Anachronismus einer Krönung und die damit einhergehende Geldverschwendung protestiert haben. Das Argument der Kosten ist natürlich nur ein Vorwand, aber es führt auf die richtige Spur.
Was die modernen Spießer am englischen Königshaus genauso wie am Vatikan stört, ist deren Gegensatz zum ökonomisch-technischen Denken. Wie der Papst verkörpert auch der englische König die Tradition als Wert. Gegen die ökonomische Rationalität des Kapitalismus und die technische Rationalität der Industriegesellschaft betonen Vatikan und Königshaus das Formale, Institutionelle mit seiner eigenen Rationalität. Wie viel Selbstdisziplin dabei vorausgesetzt wird, kann man sich an der sehr guten TV-Serie „The Crown“ deutlich machen – während die Boulevardpresse ständig von denen berichtet, die diese Selbstdisziplin nicht ertragen können: von Diana bis Harry.
Es geht um persönliche Repräsentation, um imponierende Autorität
Der Staatsrechtler Carl Schmitt hat schon vor hundert Jahren den „anti-römischen Affekt“ der aufgeklärten Moderne analysiert. Martin Mosebach hat diese Diagnose noch erweitert und spricht von einem „antirituellen Affekt“. Tatsächlich beobachten wir in der westlichen Welt überall bilderstürmerische Aktionen gegen das Rituelle, die große Form und die sichtbaren Institutionen. Der Zeitgeist forciert diese Formlosigkeit so sehr, dass schon die einfachsten Formen von Takt und Höflichkeit anachronistisch wirken.
Das Formale ist aber das Wesentliche. Im Blick auf die katholische Kirche hat Carl Schmitt gesagt: „wer in ihr nur äußere Form sieht, muss mit epigrammatischem Spott sagen, sie repräsentiere überhaupt nur noch die Repräsentation.“ Hinter diesem Spott steht aber ein tiefer Ernst. Denn gleichgültig wie man zur Monarchie oder zur Kirche steht – das englische Königshaus und der Vatikan sind wohl die letzten Institutionen, die die Idee der Repräsentation repräsentieren. Dabei geht es um persönliche Repräsentation, um imponierende Autorität und Würde. Das gilt gerade auch dann, wenn man es mit Persönlichkeiten zu tun hat, denen Charisma abgeht – wie das bei Charles und Franziskus ja wohl der Fall ist. Als Papst und König stellen sie das Gegenteil von Privatleuten dar. Sie verkörpern die Antithese zum anonymen Betrieb der modernen Gesellschaft.
So erklärt sich jener antirituelle Affekt. Der Papst und der englische König sind Stachel im Fleisch der Moderne, die sich – nach einer guten Formulierung von Leo Strauss – auf eine metaphysische Niedrigbauweise eingestellt hat. Nichts ist ihr fremder und lästiger als eine über sie hinausweisende Idee. Und auch wenn vielleicht niemand mehr genau sagen kann, für welche Ideen der Vatikan und das englische Königshaus stehen, so repräsentieren sie eben doch die Idee der Repräsentation. Was sie damit letztlich festhalten, ist für die Gläubigen die Idee der Transzendenz – und gegen die Ungläubigen immerhin die Transzendenz der Idee.
Der Autor ist Philosoph und Medienexperte.
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