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Der Messias im Hangar 4

Die Komische Oper gibt Jesus Christ Superstar: ein Stück, das zur Auseinandersetzung mit Glaubensfragen anregt und einem säkularen Publikum einen Weg hin zu Christus eröffnet.
Jesus Christ Superstar
Foto: Komische Oper Berlin | Die Inszenierung von Andreas Homoki ist in jeder Beziehung spektakulär. Allein die schiere Anzahl der Mitwirkenden würde jede normale Bühne sprengen.

Ein wenig skeptisch durfte man sein – würde die Rockoper „Jesus Christ Superstar“ 55 Jahre nach ihrem Entstehen noch immer ihre Wirkung entfalten? Um es vorwegzunehmen: Ja, es funktioniert, jedenfalls wenn sich die Komische Oper Berlin des Themas annimmt und die Aufführung in den inzwischen als Spielort etablierten Flughafen Tempelhof verlegt.

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1970 verfasste der damals noch unbekannte britische Komponist Andrew Lloyd Webber die Rockoper über die letzten sieben Tage Jesu gemeinsam mit Tim Rice, der die Liedtexte in Anlehnung an die Bibelerzählung beisteuerte. Die Passionsgeschichte wird aus der kritischen Sicht von Judas Ischariot erzählt. Das 1970 zunächst als Langspielplatte herausgekommene Werk – mit Ian Gillan, dem Leadsänger der Rockband Deep Purple in der Rolle des Jesus – erlebte die szenische Uraufführung 1971 am New Yorker Broadway und trat seinen bis heute erfolgreichen Siegeszug durch die Welt an. Bereits 1973 wurde „Jesus Christ Superstar“ von Norman Jewison verfilmt. In Deutschland wurde das Musical am 18. Februar 1972 in der Halle Münsterland in Münster in deutscher Sprache mit Reiner Schöne in der Hauptrolle uraufgeführt. 

Vom „Hosanna“ zum „Kreuziget ihn“

Die Berliner Aufführung im Hangar 4 des ehemaligen Flughafen Tempelhof in der Inszenierung von Andreas Homoki, dem früheren Intendanten der Komischen Oper, ist in jeder Beziehung spektakulär. Allein die schiere Anzahl der Mitwirkenden würde jede normale Bühne sprengen – 350 Tänzerinnen und Tänzer füllen das Bühnenbild von Philipp Stölzl, das zu Beginn und am Ende dominiert wird von einem riesigen beleuchteten Kreuz und ansonsten wohltuend schlicht ist: Es besteht aus einer Konzertbühne inklusive Steg, einer Rückwand aus circa 220 Lautsprechern (von denen 90 nur der Dekoration dienen) und farblich changierenden Lichtern sowie einer sich immer wieder öffnenden Treppe – das Setting eines Rockkonzertes. So entsteht Raum für die Massenszenen und die Darsteller, alle gewandet in die extravaganten Kostüme von Frank Wilde, die schon optisch die Charaktere bezeichnen: strahlendes Weiß für Jesus Christus, düsteres Schwarz für die Hohepriester, Goldglitter für Pontius Pilatus, teuflisches Schwarz-Lila für Herodes; Judas erinnert an einen indigenen Krieger. Sehr subtil erscheint Maria Magdalena auf der Bühne in einem knallroten Kleid mit geschorenem Kopf. Die Kleider der „wogenden Massen“ sind in dezent aufeinander abgestimmten, erdhaften Tönen gehalten.

Die Geschichte der sieben letzten Tage Jesu wird den meisten „Tagespost“-Lesern bekannt sein, dem Publikum in Tempelhof vermutlich nur zum Teil. Die Texte von Tim Rice halten sich korrekt an die Bibel, da wird nichts verändert. Und die Inszenierung von Andreas Homoki schafft es, ganz ohne Blasphemie und dezidiert ausgestellte Gewalt auszukommen, sie zeigt Jesus und seine Jünger als beeinflussbare menschliche Wesen mit Schwächen und Stärken, sie schildert die anfängliche Begeisterung und Hingabe an den zur Ikone erhobenen Christus, und wenn man die jubelnden Massen wie bei einem Rockkonzert im Saal erlebt, wird einem schon etwas seltsam zumute – man ahnt, wie schnell die Stimmung umkippen kann und auch wird. Misstrauen, Verleumdung und Verrat durch gezielte Andeutungen, gestreute Gerüchte und Einflüsterungen treffen auf dafür aufnahmebereite Ohren und Herzen. Der Weg vom „Hosanna“ zum „Kreuziget ihn!“ ist ein kurzer, das war vor 2 000 Jahren nicht anders als heute – wir können es gerade hautnah erleben.

Eben kein Rebell und Revolutionär

Auch darin bestand die Intention der Autoren zu Beginn der 1970er Jahre, als die Massenmedien Fahrt aufnahmen und die ihnen ausgesetzten Menschen sich fragten, was sie wem glauben sollten. Es war auch damals schon schwer, eine eigene Meinung zu entwickeln und – vor allem – auch dazu zu stehen, wenn die Umgebung sich abwendet. Jesus wird von fast allen verlassen. Judas, der Verräter, bringt sich um, als er begreift, was er angerichtet hat. Die Apostel schlafen, als Jesus sie am dringendsten gebraucht hätte. Was sie umtreibt, singen sie beim letzten Abendmahl: „Always hoped that I’d be an apostle, knew that I would make it if I tried. Then when we retire we can write the gospels, so they still talk about us, when we’ve died.“ („Ich wollte immer Apostel werden, ich wusste, dass ich es schaffe, wenn ich es versuche. Später, wenn wir uns zur Ruhe setzen, schreiben wir die Evangelien, dann spricht man noch über uns, wenn wir gestorben sind.“)

Andrew Lloyd Webber und Tim Rice wollten dem Publikum ihre Sichtweise – der damaligen Zeit geschuldet – von Jesus als Rebell und Revolutionär, auch als Hippie vermitteln, und diese Theorie hat in den 1970er Jahren viele junge Menschen überzeugt. Nicht so in der Berliner Inszenierung, hier ist der Titelheld kein Rebell, kein Revolutionär und auch kein Hippie, er ist Jesus von Nazareth, der zu Jesus Christus wird: der Weg, die Wahrheit und das Leben.

Die Besetzung der Hauptrollen wurde nach „Rockkriterien“ ausgewählt, sämtliche Darsteller und selbstredend auch die oberhalb der Bühne agierende Rockband kommen aus den Bereichen Rock, Blues, Folk und Gospel. Die allesamt großartigen Darsteller alternieren; in der dritten Vorstellung wurde Jesus von Nazareth durch den amerikanischen Schauspieler und Sänger Ryan Vona verkörpert, der sich durch eine bemerkenswerte Präsenz und eine suggestive, sich bis zum Diskant hochschraubende Stimme auszeichnet. Er verkörpert innere Zerrissenheit, Trauer, Wut, Überforderung und Schmerz, aber auch die ihm gegebene Vorahnung und das Wissen um die Unabänderlichkeit des vor ihm liegenden Weges. 

Der amerikanische Soulmusiker Ryan Shaw repräsentiert Judas Ischariot, der seine gespaltenen Gefühle gegenüber Jesus, seinen beinahe widerwilligen Verrat und die zu spät kommende Reue glaubhaft macht und zum Schluss, nach seinem Selbstmord, noch als Geist erscheinen darf. Maria Magdalena (Ilay Bal Arslan) ist hinreißend in ihrer unbeirrbaren Treue und Liebe zu Jesus, ihr heller Mezzosopran ist zum Steinerweichen. Aber auch Pontius Pilatus (Kevin(a) Taylor), Herodes (Jörn-Felix Alt), Kajaphas (Daniel Dodd-Ellis) und Hannas (Michael Nigro) füllen ihre Rollen hervorragend aus.

Die musikalische Leitung liegt in den Händen von dem in Berlin bestens bekannten niederländischen Dirigenten Koen Schoots, der sich bei dieser Produktion als „alter Rocker“ outen darf und das Orchester samt Rockband perfekt zusammenhält – und der passend zum Geschehen ein schwarzes T-Shirt mit linksseitig aufgesticktem Kreuz trägt. Man kann nicht alle Beteiligten aufzählen, was aber Andreas Homoki, Philipp Stölzl, Frank Wilde, die Choreografin Sommer Ulrickson, der Chorleiter David Cavelius und all die anderen Gewerke bei dieser aufwendigen Produktion geleistet haben, ist immens. 

Das Stück motiviert zu Glaubensfragen

„Ob Jesus der Menschheit die Erlösung bringen konnte, bleibt als drängende Frage im Raum stehen. Dass ‚Jesus Christ Superstar’ eine klare Positionierung bewusst verweigert, ist an sich nichts Außergewöhnliches, sehr wohl aber, dass das Stück dazu motiviert, sich mit solch essenziellen Glaubensfragen auseinanderzusetzen. ‚Jesus Christ Superstar’ ist eben doch weitaus mehr als ein kommerzielles Musical. Es ist ein Stück, das uns dazu bringt, die Passionsgeschichte in ihrer religiösen, politischen und gesellschaftlichen Dimension zu reflektieren, ob man nun gläubig ist oder nicht. So werden wir uns wohl auch in Zukunft noch lange nicht satthören und -sehen an dieser Rockoper“, sagt der Dramaturg Daniel Andrés Eberhard dazu.

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Und wenn eine Inszenierung erreicht, dass ein bunt gemischtes Publikum, das vielleicht hauptsächlich des „Events“ wegen zum Tempelhofer Flughafengelände gepilgert ist, konzentriert das Geschehen verfolgt, zum Teil die Passionsgeschichte vermutlich zum ersten Mal hört und offensichtlich bei aller berechtigten Begeisterung doch sehr nachdenklich den Hangar 4 nach gut eineinhalb Stunden verlässt – das lässt hoffen.
„Jesus Christ Superstar“, Komische Oper Berlin im Flughafen Tempelhof, Hangar 4. Weitere Vorstellungen: 2.–9. Oktober 2025.


Die Autorin lebt als freie Kulturjournalistin in Berlin.

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