Drama: Tod

Der Himmel über Berlin

Eine neue Ausstellung im Humboldt Forum beschäftigt sich mit der Sterblichkeit und dem Umgang mit ihr.
Humboldt Forum
Foto: Alexander Schippel | „Das Wissen um den Tod hat den Lauf der Menschheitsgeschichte geprägt, Kultur, Zivilisation, Wissenschaft und Weltanschauungen hervorgebracht.“

Schon der Einlass ist ungewohnt. Der Besucher wartet im Foyer des Berliner Schlosses vor einer schlichten Tür, bis ihn ein Mitarbeiter höflich hineinbittet in den ersten abgedunkelten Raum, der von einer riesigen Leinwand beherrscht wird, und ihm bedeutet, auf einem der Samthocker Platz zu nehmen. Das Theater beginnt.

Wissen um den Tod prägt

„Ein Drama in fünf Akten“, so der Untertitel der Ausstellung, soll uns vertraut machen mit den vielfältigen Aspekten des Todes. Und wie in einem klassischen Theaterstück beginnt die Inszenierung mit dem Prolog, „Kosmos“ überschrieben. Gigantische Sternenformationen durchfluten den Raum, die Milchstraße erscheint, Cirrusnebel. Dazu erklärt eine suggestive Stimme: „Wenn wir die Geschichte des Universums in 24 Stunden erzählen, tritt der Homo sapiens erst in der letzten Sekunde auf. Wissenschaftlichen Berechnungen zufolge ist das Universum 13,8 Milliarden Jahre alt. (...) Der Homo sapiens bewegt sich nachweislich seit etwa 300.000 Jahren auf der Erde.“

Woher wir kommen, darüber gibt es bekanntlich verschiedene Vorstellungen, gewiss ist nur, dass wir wieder gehen müssen und dass der Mensch vermutlich das einzige Lebewesen ist, das weiß, dass es sterben muss. Was danach kommt, ist ungewiss. Sind wir am Ende alle Sternenstaub? Lässt man sich von den unendlichen Galaxien auf der Leinwand umhüllen, ist es eine schöne Vorstellung, Teil dieser Unendlichkeit zu werden.

„Das Wissen um den Tod hat den Lauf der Menschheitsgeschichte geprägt, Kultur, Zivilisation, Wissenschaft und Weltanschauungen hervorgebracht. Die Menschen ersannen Geschichten und Rituale, um das Unerklärliche fassbar, das Unerträgliche ertragbar zu machen und unserem endlichen Leben einen Sinn zu geben“, so der Hauptkurator Detlef Vögeli in seiner Einführung im Katalog. Und er weist darauf hin, dass das in „aufgeklärten, säkularisierten Gesellschaften vorherrschende naturwissenschaftlich-biologistische Verständnis des physischen Todes als Ende der menschlichen Existenz“ noch nicht so lange existiert, dass der Tod erst im Laufe des 20. Jahrhunderts aus der westlichen Gesellschaft „ausgebürgert“ wurde. Bis dahin glaubte man fest an ein Weiterleben nach dem Tod.

An der Schwelle zum Tod

Eingestimmt durch den ehrfurchtgebietenden Prolog begeben wir uns nun in den ersten Akt des Dramas: „Jenseits. Vorstellungsräume des Todes“ heißt er. In sieben Kammern können die Besucher jeweils einem Vertreter religiöser oder kultureller Gemeinschaften und dessen Vorstellungen von einem Leben mit und nach dem Tod audiovisuell begegnen. Man betritt die jeweilige Kabine erst nach Freigabe durch eine Leuchtschrift und ist dann alleine und konzentriert auf die Worte der „Auftretenden“: der Mitbegründer eines Hindu-Tempels, die Kantorin einer Synagoge, der Professor für die Yorùbá-Diaspora, der Imam, die Gemeindepfarrerin der Samariterkirche, der Geschäftsführer eines Unternehmens für Kryokonservierung (darunter versteht man das Aufbewahren von Zellen oder Gewebe durch Einfrieren in flüssigem Stickstoff, wodurch es möglich wird, die Vitalität der Zellen nahezu unbegrenzt aufrechtzuerhalten) und ein Kriminalbiologe.

Akt 2: „Sterben. An der Schwelle zum Tod“ gliedert sich in zwei Szenen; in der ersten bettet sich der Besucher auf eine Liege und kann sich über Kopfhörer zu seinem persönlichen Verhältnis zu Sterben und Tod befragen lassen. So vorbereitet wird er in den nächsten Raum geleitet, in dem von einer Videowand zwölf Menschen unterschiedlicher Kontinente, kultureller Hintergründe und Glaubensrichtungen nacheinander ihre Erfahrungen zum Thema Sterbebegleitung mitteilen. Sie erzählen von den letzten Wünschen und Bedürfnissen Sterbender kurz vor ihrem Tod, sachlich, empathisch und liebevoll und mit hoher Achtung vor der Lebensleistung und Würde des Einzelnen.

Akt 3: „Tod. Der finale Moment“ konfrontiert uns mit der wissenschaftlichen Erkenntnis darüber, was sich in den letzten Augenblicken des Lebens im Körper und im Gehirn abspielt – nicht auf der Ebene des Bewusstseins, das ist das Geheimnis jedes Individuums, sondern in den Nervenzellen. In Einzelkabinen bekommen wir die messbaren physikalischen Geschehnisse an der Schwelle zum Tod erklärt.

Was wird bleiben?

Danach sind wir bereit für Akt 4: „Leichenhalle. Untersuchungsraum des Todes“. Drei Szenen geleiten durch drei Räume, die in unterschiedlichen Perspektiven das Verhältnis der Lebenden zu den Toten beleuchten. Die erste Szene  dokumentiert die praktischen Vorgänge, um die sich die Hinterbliebenen kümmern müssen, von der Mitteilung ans Standesamt über die hygienischen Rituale bis zur Bestattung, für die in den unterschiedlichen Religionen und Ländern stark divergierende Regeln gelten. Szene 2 beinhaltet die „Obduktion der globalen Sterbeverhältnisse“, also inwieweit die soziale und geografische Herkunft statistische Lebenschancen und Sterbeverhältnisse beeinflusst. Da geht es um Statistik auf anschaulichen Infografiken.

Szene 3: „Die Namen hinter den Zahlen“ zeigt die geborgenen persönlichen Gegenstände von Menschen, die im April 2015 Opfer einer dramatischen Schiffskatastrophe im Mittelmeer wurden. Das Mailänder Institut LABANOF setzt sich für die Identifizierung der Ertrunkenen ein, um ihnen so ein Stück menschlicher Würde zurückzugeben. Es geht hier zwar um das konkrete Flüchtlingsdrama, doch werden sofort Erinnerungen an andere Heimsuchungen wach: Naturkatastrophen, Kriege, Genozide mit Millionen namenloser Opfer.

Bevor der 5. Akt beginnt, müssen wir den „Übergang“, die Trauer, durchqueren. Wie finden wir Trost, was hilft, mit der Trauer umzugehen? Hier hört man ausgewählte rituelle Trauergesänge von Vertretern unterschiedlicher Glaubensrichtungen, von den monotheistischen Weltreligionen (Judentum, Christentum, Islam), aber auch das Alevitentum, der Mexikanische Totenkult und die Yorùbá sind vertreten.

Letzter Akt: „Open End. Was wird bleiben?“ ist der Zerstörung des „Ökosystems Erde“ durch den Menschen gewidmet. Szene 1 versetzt uns mit der „Spirale des Aussterbens“ ins Naturkundemuseum: eine Auswahl bereits ausgestorbener und vom Aussterben bedrohter Tierarten ist in einem spiralförmig angeordneten Labyrinth beleuchteter Vitrinen mit Schädeln und eingelegten Tierpräparaten zu betrachten; da kann man sich z.B. mit der „Gelben Gallwespenschleiche“, dem „Zweifarbentamarin“ oder der „Rotgeflügelten Samtschrecke“ anfreunden (die Exponate sind alle im kostenlosen Begleitheft aufgeführt).

In Szene 2 schließt sich der Kreis, der mit dem Kosmos begann: der Zuschauer lässt sich auf großen Sitzsäcken am Boden nieder und kann sich bei Sphärenklängen den ihn umschwebenden farblich unterlegten Bakterien, Amöben, Schimmelpilzen, Protozoen, Algen und anderen biosphärischen Mikroorganismen hingeben, die für so viele lebenswichtige Prozesse verantwortlich sind und sich gewöhnlich der Wahrnehmung entziehen.
Dann, nach ein bis zwei Stunden Aufenthalt, gleitet man hinaus in den „Letzten Raum“, der uns trotz seines Namens wieder ins Leben zurückbringt – ein warm beleuchteter, mit farbigen Möbeln ausgestatteter offener Raum mit Bücherregalen, die Literatur zum Thema anbieten, in die man sich vertiefen darf. Und ob mit oder ohne begleitende Lektüre verlässt man das Berliner Schloss nachdenklich und bewegt von Bildern, die noch lange nachwirken.
Hier ist tatsächlich eine besondere Ausstellung entstanden, die sich bemüht, möglichst viele Aspekte des uns alle erwartenden Lebensendes anzusprechen. Da wird nichts beschönigt oder romantisiert, und doch steht man fasziniert vor dem Wunder des Lebens und dem Rätsel seines Endes.

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Vier Wege auf den Berg der Unsterblichen

Ungeachtet der Tatsache, dass es sich um spezielle Facetten des Berliner Lebens in all seiner hauptsächlich säkularen „Diversität“ handelt – das ist wohl der leidvollen Erkenntnis geschuldet, dass man es allen recht machen und besser niemandem auf die Füße treten sollte –, bemüht sich die Inszenierung, deutlich zu machen, dass das Drama des Lebens und seines unvermeidlichen Endes uns menschliche Wesen aller Couleur miteinander verbindet. Würde man sich dies öfter einmal vor Augen führen, wäre es um die Welt besser bestellt.

Das am Einlass verteilte Begleitheftchen beschreibt die Wege und reißt die grundsätzlichen Kernthemen an. Der ausgezeichnete Ausstellungskatalog vertieft die Intentionen der Kuratoren und die Eindrücke der Besucher mit nachdenkenswerten Essays und Details zu einem Thema, dem wir nicht entrinnen können. Hier sei besonders der britische Philosoph Stephen Cave erwähnt, der mit seinem Text „Vier Möglichkeiten, ewig zu leben“ epochen- und kulturübergreifende Ideen zur Überwindung des Todes beschreibt, die eine ewige Sehnsucht des Menschen widerspiegeln: „Metaphorisch gesprochen, gibt es vier Hauptwege auf den Berg der Unsterblichen: Pharaonen, Päpste, Popstars und Pilger – sie alle haben sich auf einem dieser vier Wege hinaufgekämpft, in der Hoffnung, dort oben das ewige Leben zu finden. Es ist die enorme schöpferische Macht dieses Kampfes, die den menschlichen Fortschritt geprägt hat.“ Und er endet mit der allgemeingültigen Erkenntnis: „denn unser Kampf, den Tod zu akzeptieren, ist der Motor der Zivilisation.“ Lange vor Cave hieß es bereits in einem christlichen Choral: „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.


Un_endlich. Leben mit dem Tod. Bis 26. November 2023. Ausstellung der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss mit zahlreiche Begleitveranstaltungen, Schlossplatz, 10178 Berlin.

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