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Bundeswehr: Nur sehr begrenzt einsatzfähig

Wie stand die Bundeswehr vor der „Zeitenwende“ da? Miserabel! Und heute? Die aktuellen Bestände, Zahlen und Aussichten wirken wenig verheißungsvoll.
Bundeswehr Schrott
Foto: Stock Adobe | Die Ursachen der Defizite und Verirrungen liegen weit zurück, sie haben mit 16 Jahren Merkel-Regierung und zum Teil mit einer eigenwilligen Besetzung des Chefpostens im Bendlerblock zu tun.

Die Bundeswehr habe viele „Baustellen“, heißt es seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vom 24. Februar 2002. „Ruinen“ wäre ehrlicher. Denn es wird lange dauern, bis die Bundeswehr trotz „Sondervermögen“ das wird, was Kanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022 in seiner „Zeitenwende“-Rede ankündigte, nämlich die Bundeswehr zur „am besten ausgestatteten Streitkraft in Europa“ zu machen. Wörtlich sagte Scholz: „Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten.“ Und: „Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts BIP in unsere Verteidigung investieren.“

Blicken wir zurück: Wie stand die Bundeswehr vor der „Zeitenwende“ da? Miserabel!

Folgen einer strategischen Zäsur

Die materielle Einsatzbereitschaft aller 69 Hauptwaffensysteme war Ende 2020 schlichtweg defizitär. Bei Hubschraubern waren nur 40 Prozent einsatzbereit, beim Eurofighter 66 Prozent, beim A400M 43 Prozent. Ende 2022 stellte sich heraus, dass 18 Puma-Schützenpanzer nach einem Manöver nicht mehr einsatzfähig waren und damit nicht für die Schnelle Eingreiftruppe der NATO zur Verfügung stehen konnten. Jetzt muss der in die Jahre gekommene Schützenpanzer „Marder“ herhalten, den die Bundeswehr Mai 1971 ausgeliefert bekam. Hintergrund des Desasters: Der Puma hatte ein Vierteljahrhundert an teuren, immer neuen technischen Neuerungen hinter sich. Und niemand hat gesagt: Jetzt lassen wir allen Ingenieurs-Schnickschnack („Goldrandlösungen“) und bauen etwas, was uns früher als führendes Land der Panzerbauer gelungen ist. Nein, sogar für Schwangere (!) sollte der Puma in Frage kommen. Im hinteren Kampfraum waren Feinstaubwerte vorgeschrieben, die so niedrig sein mussten, dass dort Schwangere hätten arbeiten dürfen.

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Die Ursachen dieser Defizite und Verirrungen liegen weit zurück, sie haben mit 16 Jahren Merkel-Regierung und zum Teil mit einer eigenwilligen Besetzung des Chefpostens im Bendlerblock zu tun. Allerdings sei nicht übersehen, dass in den vier Merkel-Koalitionen dreimal die SPD mit von der Partie war und sich hinsichtlich Mehrausgaben für die Verteidigung stets zierte. Man hatte sich drei Jahrzehnte lang der Illusion der „Friedensdividende“ hingegeben und abgespeckt. Aus einer Bundeswehr mit rund 495 000 wurde in dieser Zeit eine Armee mit 183 000 Soldaten (bei gleichbleibend mehr als zweihundert Generalen/Admiralen); aus 2 125 Leo-Kampfpanzern des Jahres 1990 wurden zuletzt 312.

Das sind die Folgen einer strategischen Zäsur, die Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) inszeniert hatte. Ab 2003 war man auf „out of area“-Einsätze fixiert. Wie blank die Bundeswehr auch hier dastand, erwies sich eben dort. Es musste Material aus allen Standorten zusammengesammelt werden, um etwa das deutsche Afghanistan-Kontingent hinreichend auszustatten. Verteidigungsminister zu Guttenberg (CSU) war zusammen mit FDP sowie Merkel und Seehofer sodann die treibende Kraft, ab März 2011 die Wehrpflicht auszusetzen.

Also keine 2 Prozent

Auch 2014 mit dem Aufbrechen der Ukraine-Krise gab es kein Erwachen. Kurz: Die Bundeswehr war zur Landes- und Bündnisverteidigung nicht mehr in der Lage. Man wollte nicht einmal mehr kundtun, was wirklich los war. Mitte Dezember 2022 wurde der „16. Bericht zu Rüstungsangelegenheiten“ vorgelegt. Es handelt sich hier nur um „Teil 1“, denn Teil 2 gibt es nur als „VS für den Dienstgebrauch“ und für das Parlament. Die bislang halbjährlich erschienen „Berichte über die materielle Einsatzbereitschaft“ sollte es nicht mehr geben. Aber auch der 1. Teil hatte es in sich: Beim Transportflugzeug A400M mit dem Schutzsystem DIRCM beträgt die Verzögerung der Einsatzfähigkeit 162 Monate. Der Eurofighter mit dem Radarsystem AESA hat eine Verspätung um 44 Monate. 

Und wie sieht es aktuell mit dem Wehretat aus? Er wurde von 50,4 Milliarden (2022) auf 50,1 Milliarden für 2023 gekürzt. Das entspricht 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 2022. 8,4 Milliarden hat der Haushaltsauschuss am 11. November 2022 aus den 100 Milliarden für 2023 freigegeben. Großzügig gerechnet, hat sich damit der BIP-Anteil für 2023 auf 1,7 Prozent erhöht. 

Also nix mit 2 Prozent „von nun an“ (Scholz). Denn zum NATO-Zwei-Prozent-Ziel fehlen jährlich gut 20 Milliarden. Die Lücke kann auf Dauer nicht mit den 100 Milliarden geschlossen werden. Denn diese wären bei Erfüllung des 2-Prozent-Ziels spätestens 2025 aufgebraucht. Oder aber eine Bundesregierung – welche auch immer – folgt der amtierenden Wehrbeauftragten Eva Högl (SPD): „Man bräuchte 300 Milliarden Euro, um in der Bundeswehr signifikant etwas zu verändern.“

Und wie schaut es mit Waffen für die Ukraine aus? Klar, die Bundeswehr liefert 18 „Leo-2“-Kampfpanzer. Dazu kommen aus Deutschland unter anderem: Patriot-Flugabwehrraketen, 30 Gepard-Flugabwehrkanonenpanzer, 14 Panzerhaubitzen 2000 und bis zu 40 Marder-Schützenpanzer. Die Mittel für die ukrainische Armee belaufen sich auf 2,2 Milliarden Euro für 2023 (nach 2 Mrd. Euro in 2022). Diese Gelder gehen nicht zulasten des Etats der Bundeswehr, sie kommen aus dem Einzelplan 60 (Allgemeine Finanzverwaltung).

Die Frage ist: Wird Deutschland in noch größerem Umfang weiterhelfen können? Rheinmetall und/oder Krauss-Maffei-Wegmann (KMW) könnten aus eigenen Beständen 22 „Leo2“- und 88 „Leo1“-Panzer so weit herrichten, dass sie im Lauf des Jahres 2023 einsatzbereit sind. Aber man hat es kaum hingekriegt, für die 14 gelieferten Panzerhaubitzen PzH 2000 Ersatz zu schaffen. Erst am 30. März 2023 wurde ein Vertrag mit KMW unterzeichnet, der für 184 Millionen den Neubau von zehn dieser Haubitzen mit Auslieferung in den Jahren 2025 und 2026 vorsieht.

Viele Kosten nicht berücksichtigt

Unabhängig von der „Ukraine“ müssten eigentlich folgende Anschaffungen erfolgen:

  • 20 Milliarden sollten es nach Nato-Vorgabe für Munitionsbevorratung sein. Denn die Bundeswehr hat für einen Krieg allenfalls für ein paar Tage Munition.
  • Für Schutzausrüstung (Helme, Westen) sind 10 Milliarden zu veranschlagen.
  • Für den Kauf von 35 Stück des US-Kampfjets F-35A sind 8,5 Milliarden veranschlagt. Erste deutsche Piloten sollen 2026 am Kampfjet in den USA ausgebildet werden mit dem Ziel, 2028 einsatzbereit zu sein. Der gemeinsame deutsch-französisch-spanische Zukunftskampfflieger FCAS (Future Combat Air System) wird frühestens 2040 abheben können.
  • 60 Stück des Transporthubschraubers CH-47 Chinook sollen bei Boeing bestellt und ab 2026 ausgeliefert werden. Von einem Kaufpreis von 6 Mrd. war die Rede. Nun scheinen es 12 Milliarden zu werden. Einen Kaufvertrag gibt es selbst Mitte April 2023 noch nicht.
  • 15 atomwaffenfähige Eurofighter sollen neu für ECR (Electronic Combat and Reconnaissance = Bekämpfung von Radarsystemen) angeschafft werden (Kosten: 2 bis 3 Milliarden).

Keineswegs mitkalkuliert sind Kosten, die für neue Kasernen (die Bundeswehr soll von 183 000 auf 203 000 „Mann“ bis 2031 wachsen) und für die Renovierung von Kasernen zu veranschlagen sind. Unbeantwortet ist die Frage, wie die Bundeswehr 20 000 Soldaten zusätzlich gewinnen will, wo doch zuletzt immer mehr Soldaten den Wehrdienst verweigerten und viele Längerdienende ihre Verpflichtungszeit beendeten oder verkürzten.

Eine „Arbeitsgruppe Sondervermögen“ hatte am 26. Oktober 2022 sogar ein erstes „Streichkonzert“ veranstaltet. Danach soll das Heer keinen Nachfolger für den Transportpanzer „Fuchs“ bekommen. Verzichten muss vor allem die Marine: Die Option für eine fünfte und sechste Fregatte F-126 wird vorerst nicht verfolgt. Statt zwölf sollen nun nur acht Seefernaufklärer vom Typ P-8 Poseidon gekauft werden. Und das in einer Zeit, in der Russland immer aggressiver in die Ostsee eindringt.

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Rüstungsindustrie in Deutschland gerät ins Hintertreffen

Unbeantwortet bleibt zudem die Frage, wie sich Deutschland zukünftig gegen Cyber-Krieg wappnen will. Nicht eingerechnet ist die laut „Ampel“-Koalitionsvertrag geplante Anschaffung von Drohnen. Und nicht hochgerechnet sind die Kosten einer Vision von Kanzler Scholz, der Ende August 2022 in Prag die Errichtung eines „European Sky Shield“, also eines Raketenabwehrsystems ankündigte.

Zudem nagen Inflation und Schuldzinsen („Sondervermögen“ = Sonderschulden!) an den 100 Milliarden. Das heißt, von den 100 Milliarden könnten 2027 nur noch 70 Milliarden da sein. Es kommt hinzu: Einige Anschaffungen werden erst in etlichen Jahren ausgeliefert. Ob man die Projekte dann zum ursprünglichen Preis bekommt? 

Deutschland war eine führende Panzerschmiede. Zwischen 1964 und 1984 wurden 4 700 „Leo1“ gebaut. Bis zu 2 437 Stück hatte die Bundeswehr. Ab 1978 wurden 3 600 „Leo 2“ hergestellt. Die Bundeswehr hatte davon 1990 insgesamt 2 125 Stück. Verkauft wurde der „Leo“ an 19 Länder. Wie sehr Deutschland als vormalige Panzerschmiede ins Hintertreffen geraten ist, lässt sich daran ablesen, dass das Nato-Mitglied Polen zusammen mit Hyundai eintausend Panzer baut. Überall gerät die vormals potente Rüstungsindustrie in Deutschland ins Hintertreffen. Beispiel: Rheinmetall wird die Bundeswehr mit 100 Radspähpanzern „Boxer“ ausstatten. Sie werden in Australien gefertigt und ab 2025 geliefert. Gebaut werden sie gemeinsam mit dem „Boxer“, der für die australische Armee produziert wird.

Jetzt wurde obendrein bekannt, dass der Forschungsetat der Bundeswehr vom 530 Millionen Euro im Jahr 2022 auf 324 Millionen im Jahr 2023 und auf dann nur noch 200 Millionen jährlich ab 2024 gestutzt wurde oder gestutzt werden soll. Das ist allein von 2022 auf 2023 ein Minus von fast 40 Prozent. Wenn man sich anschaut, was China, Russland und die USA in militärische Forschung stecken, kann man nur den Kopf schütteln. 

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