An einem Geburtstag sagt man es ja manchmal, doch ganz wörtlich nehmen sollten wir den Spruch nicht. Denn „ich bin OK so wie ich bin“ ist nur die halbe Wahrheit. Man stelle sich vor, eine Mama sagte zu ihrem dreijährigen Kind: „Bitte bleib so wie Du bist.“ Nein, das wird eine Mutter nicht sagen; die Vorstellung, dass ihr Kind ein Leben lang so wie als dreijähriges ist, wäre eine schreckliche.
Die Liebe sagt: Ich nehme Dich genau so an, wie Du bist, aber natürlich (!) musst Du Dich weiterentwickeln. Wir alle müssen das. Manche Menschen jedoch haben viel zu viel Selbstbewusstsein, sind viel zu wenig in Kontakt mit den inneren Baustellen, Abgründen und Schattenseiten. Denn die Wahrheit ist: jeder von uns hat das Potenzial zu extrem negativen Mustern. Und darin durchschauen wir uns selbst oft nicht. Wenn die Gelegenheit passt und der emotionale Druck groß genug ist, ist jeder von uns zu bedeutend mehr Bösem fähig, als wir uns selbst gerne eingestehen wollten. Denn zu was andere „böse Menschen“ fähig sind, zeigt einfach, was alles im Menschen steckt und jederzeit zum Vorschein kommen kann.
Wir sind nicht OK
Nein, Du bist nicht OK, und ich bin auch nicht OK. Wir sind Menschen. Fehlbar. Verführbar. Kostbar. Auch dieser harmlose Satz „Gott nimmt Dich so an wie Du bist“ ist nur die halbe Miete. Selbstverständlich liebt Gott die Menschen bedingungslos und seine Liebe zu uns kann nicht verdient oder erkauft werden. Doch nicht „Gott liebt jeden“ war die Botschaft Jesu, sondern „kehr um“, ändere Deine Einstellung. Es ist ein sehr unpopuläres Wort geworden, doch es gibt eben auch die Sünde. Das, was wir Menschen tun, obwohl wir wissen, dass es nicht gut ist. Das, was die Liebe zerstört. Die tiefe Grundhaltung, sich selbst an die erste Stelle zu setzen. Das Gemeine, Mittelmäßige, Rachsüchtige und Boshafte dem Guten vorzuziehen, zu dem wir eigentlich gerufen wären. Wer nicht an die Macht der Sünde glaubt, dem sei empfohlen: Mach die Augen auf und schau die Welt an.
Das, was tagtäglich an Bösem in der Welt geschieht, geschieht nicht, weil die Menschen alle das Böse wollen. Es geschieht, obwohl die meisten Menschen das Gute wollen. Doch wir irren uns in der Erkenntnis des Guten, lassen uns täuschen, werden verstrickt und abhängig, lügen uns in die Tasche, gefallen uns bequem in den Fesseln der schlechten Gewohnheiten, leben in Kulturen, die sie als ganz normal erachten und entschuldigen uns selbst mit einem „so bin ich eben“. Doch das „so bin ich eben“ ist eine faule Ausrede, um sich nicht verändern zu müssen. Eine Beziehung kann an diesem Satz zerbrechen. Der viel anspruchsvollere Weg aber ist die Bereitschaft, an sich zu arbeiten, die Bereitschaft umzukehren, sich zu verändern und verändern zu lassen.
Nein, nicht alles an uns ist gut, wir sind nicht einfach gute Menschen. Dass wir Menschen geliebt und wertvoll sind, obwohl wir nicht OK sind: das ist das eigentliche Geheimnis der Liebe. Das beginnt im Zwischenmenschlichen; einen Menschen in seinem Wesen bejahen, obwohl er eben nicht immer großartig ist. Das (!) ist Liebe. Und mit der Bitte um Vergebung. Gott nimmt Dich so an, wie Du bist. Damit Du nicht so bleibst wie Du Biest.
Der Autor ist Gründer des Gebetshauses Augsburg.
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