Ich bewundere meine Frau für die Hartnäckigkeit, mit der sie seit Jahren ihre Fremdsprachenkenntnisse verbessert. Und ich bin selbst ein wenig stolz darauf, Latein und Altgriechisch lesen zu können. Mehrere Sprachen zu „können“, ist einfach ein Zeichen von Bildung und Kultiviertheit. So empfinden es zumindest diejenigen, die auch die Vielfalt der nationalen Küchen dem Einheitsburger der Fastfoodketten vorziehen und die lieber in einem Europa der Vaterländer als im Brüsseler Mainstream-Gehäuse wohnen wollen.
Doch die Bibel spricht eine andere Sprache. Sie lehrt uns, dass die Vielfalt der Sprachen kein kultureller Segen, sondern ein Fluch ist – nämlich die Strafe Gottes für die Hybris des Babel-Turms. Und diese Strafe haben wir so sehr verinnerlicht, dass kaum jemand versteht, was man sich unter der göttlichen Wiedergutmachung, nämlich dem Pfingstwunder, vorzustellen hat.
„Gendern“ ist der bisher radikalste Eingriff
Doch die Säkularisierung des Pfingstwunders, die Erfindung einer Weltsprache, die alle verstehen und sprechen können, also die Ermöglichung einer wahren Weltkommunikation, ist immer wieder einmal von genialen Sonderlingen versucht worden. Ich erinnere hier nur an die wichtigsten sogenannten Plansprachen: Johann Martin Schleyers Volapük von 1880, Ludwik Zamenhofs Esperanto von 1887 und Giuseppe Peanos Interlingua von 1903. Das blieben Plansprachen von Sonderlingen für Sonderlinge. Aber auf einer ganz anderen Ebene haben sich dann eben doch Weltsprachen durchgesetzt. Da Modernisierung im Kern Verwissenschaftlichung und Technisierung bedeutet, hat sich die Mathematik immer deutlicher als das allmächtige Zeichensystem erwiesen, zu dem es keine kulturelle Alternative gibt. Aber auch die Alltagskommunikation hat sich im Zuge der Verwestlichung der Welt immer mehr universalisiert – als schlecht gesprochenes Englisch. Die aktuellste Form einer alternativelosen Weltsprache ist aber das Programmieren, das gute Schulen schon heute auch den Kindern beibringen.
Die Axiomatik der Mathematik, der laxe Gebrauch des Englischen und der Konstruktivismus des Programmierens haben – zumindest in der westlichen Welt – ein völlig verändertes Verhältnis des Menschen zur Sprache zur Folge. Sie erscheint in hohem Maße artifiziell. Und so erklärt es sich wohl, dass es auch von politischer Seite zu immer rabiateren Eingriffen in unsere Sprache kommt. Früher ist man ja davon ausgegangen, dass sie der gesellschaftlichen Evolution unterliegt, das heißt dass es eine Art „Drift“ der Sprache gibt, die dann von den Linguisten im „Duden“ immer wieder registriert und normativiert wird. Hin und wieder kommen Rechtschreibreformen hinzu, die etwa verfügen, dass (!) man nicht mehr „daß“ sondern „dass“ zu schreiben hat. Radikalere Reformvorschläge wie etwa die allgemeine Kleinschreibung sind aber meist verpufft. Umso erstaunlicher ist es, mit welcher Konsequenz die politisch-mediale Elite am „Gendern“ festhält – dem bisher radikalsten Eingriff in unsere Sprache. Dafür gibt es eigentlich nur einen Vergleich: die Nötigung eines besiegten Volkes, die Sprache der Besatzungsmacht zu sprechen.
Der Autor ist Philosoph und Medienexperte.
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