Holzspäne und Ketten aus Holzkugeln schmücken den Hauseingang. Der 5.Hochzeitstag steht im Zeichen des Holzes, das uns als beständig und doch form-und wandelbar gilt. Das 5. Jubiläum feiert Mitte Oktober auch #metoo. Seit die amerikanische Schauspielerin Alyssa Milano das Hashtag erstmals benutzte, äußerten sich Millionen Frauen zu sexuellen Übergriffen. Zweifelsohne ein legitimes Anliegen, Machtmissbrauch und körperliche Gewalt öffentlich zu machen, anstatt den Schleier des Vergessens darüber zu legen. Es stärkt den Glauben an eine Gesellschaft, die darauf bedacht ist, Gerechtigkeit walten zu lassen. Sich geschützt zu fühlen in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter, ermutigt Opfer, Recht und Gesetz wieder zu vertrauen und den Weg der Instanzen zu beschreiten.
Eine ungetrübte Bilanz kann #metoo im Jubiläumsjahr trotz aller kraftvollen Impulse und gesellschaftlicher Veränderungen jedoch nicht aufweisen. Im Kern barg das Hashtag bereits den Verrat an der Grundidee des metoo-Gedankens. Seinen Ursprung hatte metoo schließlich in einer Kampagne der Menschenrechtsaktivistin Tarana Burke. Sie hatte den Begriff erstmals verwendet, nachdem ihr ein 13-jähriges afroamerikanisches Mädchen von ihren Missbrauchserfahrungen erzählt hatte. Am Anfang der Bewegung stand also ein Kind, arm und unschuldig, machtlos und handlungsunfähig. Schnell aber richtete sich der Fokus auf die Skandale der Filmbranche, Schauspielerinnen und Produzenten, allen voran Harvey Weinstein. Glanz und Glamour faszinierte die Öffentlichkeit mehr als das Elend der Unscheinbaren.
„Rühr‘ nicht am globalen Süden,
schweig‘ über den Namen deines Vergewaltigers, sofern er nicht weiß ist!
So bricht sich nicht nur ein neuer Rassismus Bahn,
nein, auch der Ruf nach Prävention und einem Ende des Täterschutzes verstummt mit einem Mal“
Gepaart mit diesem Voyeurismus der Trittbrettfahrerinnen, die #metoo nutzten, um die Karriereleiter hochzuklettern auf Kosten der wahren Opfer. Die Unterschiede zwischen körperlicher, psychischer und verbaler Gewalt verschwanden in einer diffusen strukturellen Gewalt. Das ohnehin längst dem Untergang geweihte Patriarchat mit Stumpf und Stiel auszurotten, wurde zum vordersten Bestreben sich als feministisch gerierender und doch nur narzisstisch gebärdender Wortführerinnen. Auf der Strecke blieben die Schwächsten, Kinder, all jene, für die Burkes Kampagne gegen Gewalt erdacht worden war, die Wehrlosen, ohnehin schon dem Begehren und der Willkür mächtigerer Menschen Ausgelieferten.
Herausgeschält hatte sich aus der #metoo-Bewegung eine Gesellschaft hypersensibler Wesen, die sich nicht mehr anders zu helfen weiß, als ihren Unmut in die Welt hinauszuplärren und zu twittern. Befeuert wird dieses menschliche Bedürfnis von einer Armada an Schriftstellerinnen, die weibliche Wut feiern und Hochempfindlichkeit zum Distinktionsmerkmal des Weiblichen erklären.
Es fehlt eine Gleichbehandlung aller Missbrauchsfälle
Wieder einmal läuft unsere Gesellschaft Gefahr, die körperliche und seelische Unversehrtheit auf dem Altar übergeordneter politischer Prämissen zu opfern. Die Achtundsechziger erstreckten ihre Begierde nach politischer Freiheit auf den Körper des Kindes. Heute diktieren postkoloniale Feuilletonisten die Kampfrichtung. Man schaut nicht mehr in den menschlichen Abgrund, sondern schwingt sich in einer moralischen Hybris zu himmlischen Höhen auf. Rühr‘ nicht am globalen Süden, schweig‘ über den Namen deines Vergewaltigers, sofern er nicht weiß ist! So bricht sich nicht nur ein neuer Rassismus Bahn, nein, auch der Ruf nach Prävention und einem Ende des Täterschutzes verstummt mit einem Mal. Wer Haut und Haar, Sprache und Herkunft über das Recht auf unbedingte Aufklärung einer Tat stellt, schadet nicht nur den Versehrten, sondern gebiert immer weitere Opfer.
Holz ist ein dankbares Material. Fünf Jahre #metoo sind eine Zeitspanne, in der geschnitzt, geschreinert, geschliffen und gedrechselt werden konnte. Doch wie heißt es schön in Goethes Venezianischen Epigrammen: „Habt ihr einmal das Kreuz von Holze tüchtig gezimmert, // Passt ein lebendiger Leib freilich zur Strafe daran.“
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