Prävention

Europäische Union: Kampf gegen Missbrauch

Die Europäische Union geht gegen sexuellen Kindesmissbrauch vor. Besonders sexuelle Ausbeutung von Kindern im Internet ist dabei im Fokus.
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Foto: IMAGO / Shotshop | Der Europarat schätzt, dass in Europa jedes fünfte Kind Opfer einer Form von sexueller Gewalt wird.

Vor einigen Tagen hat die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs eine Studie zu sexueller Gewalt und Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Sport veröffentlicht. 72 Berichte von Betroffenen fördern Erschütterndes zutage: Aufgedeckt und aufgearbeitet wurden die wenigsten Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs, so die Studie. Stattdessen erlebten Betroffene häufig, dass ihre Erfahrungen negiert, bagatellisiert und verschleiert wurden.

Nicht zuletzt durch die Enthüllungen von sexuellem Missbrauch im kirchlichen Bereich ist Missbrauch in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen in den letzten Jahren in den Fokus auch der Politik gerückt. Der Europarat schätzt, dass in Europa jedes fünfte Kind Opfer einer Form von sexueller Gewalt wird. Europol warnt vor einer starken Zunahme der sexuellen Ausbeutung von Kindern im Internet während der Covid-19-Pandemie, denn der Konsum von Missbrauchsabbildungen sei im ersten Lockdown in Europa um rund 30 Prozent gestiegen.

Maßnahmen auf der EU-Ebene

Basierend auf der im Jahr 2020 verabschiedeten Strategie für eine wirksamere Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern (EU-Strategie) möchte auch die Europäische Union eine wirksame Antwort zum Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern beisteuern. Verschiedene Initiativen sollen die Umsetzung bereits vorhandener Rechtsvorschriften sicherstellen sowie eine Weiterentwicklung vorantreiben, die Strafverfolgung stärken und die Zusammenarbeit in den Bereichen Prävention, Ermittlung und Unterstützung der Opfer verbessern. Die Umsetzung der EU-Strategie ist bis 2025 geplant, politisch verantwortet wird das Vorhaben von der schwedischen Politikerin Ylva Johansson als Kommissarin für Inneres der Europäischen Union.

Vorrangig geht es um die vollständige Umsetzung der Richtlinie 2011/93 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Die 2011 beschlossene Richtlinie gilt in allen EU-Staaten außer Dänemark und ist das erste umfassende Rechtsinstrument der EU zur Festlegung von Mindestvorschriften für die Bestimmung von Straftatbeständen und Sanktionen auf dem Gebiet des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie von Material über sexuellen Kindesmissbrauch. Auch die Prävention, Ermittlung und Strafverfolgung von Straftaten sowie die Unterstützung und den Schutz von Opfern werden von der Richtlinie behandelt.

Fortschritte in den Mitgliedsstaaten

Die Straftatbestände umfassen offline und online begangene Handlungen wie das Konsumieren und Verbreiten von Material über sexuellen Kindesmissbrauch im Internet, „Grooming“ (d. h. Aufbau einer emotionalen Beziehung zu dem Kind im Internet zum Zweck des sexuellen Missbrauchs) und den sexuellen Missbrauch im Internet.

Trotz der Fortschritte in den Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie besteht laut der EU-Strategie noch „beträchtlicher Spielraum“, speziell in den Bereichen Prävention, Strafrecht sowie Unterstützungs-, Betreuungs- und Schutzmaßnahmen für Opfer im Kindesalter. Daher leitete die Kommission im Jahr 2019 Vertragsverletzungsverfahren gegen 23 Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, ein.

Täter profitieren von technischem Fortschritt

„Eine Studie zur Unterstützung der Bewertung der Richtlinie von 2011 und möglicher vorrangiger Maßnahmen wurde eingeleitet“, erklärt Anita Hipper, Sprecherin der Kommission für Migration und Inneres, gegenüber der „Tagespost“. Hintergrund für die laufende Initiative ist, dass seit Erlass der Richtlinie von 2011 signifikante technische Veränderungen eingetreten sind. Zum Beispiel hat es der Gebrauch des sogenannten Darknets Tätern erleichtert, missbräuchliche Bilder zu teilen, ihre Identität oder ihr Profil zu verschleiern und mit anderen organisierten Kriminellen Absprachen zu treffen. Zudem sollen Gesetzeslücken, bewährte Verfahren und vorrangige Maßnahmen auf EU-Ebene im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern online und offline ermittelt werden.

Außerdem stellte sich heraus, dass die unterschiedlichen Ansätze der Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie eine Kooperation und effizientes Vorgehen über Landesgrenzen hinaus behindern. Einige Mitgliedsstaaten weiteten etwa die Definition von Kinderpornografie aus, um nicht nur reale Abbildungen, sondern auch fiktionales Material wie Zeichnungen, fingierte Bilder oder Romane zu erfassen. Zum Teil wurden im nationalen Strafrecht die Herstellung und Verteilung von Kinder-Sex-Puppen unter Strafe gestellt, was über die von der Richtlinie genannten strafbaren Akte hinausgeht.

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Mangelhafte Umsetzung im Bereich der Prävention

Ein Zwischenbericht von 2016 bemängelte die Umsetzung im Bereich der Prävention. Er stellte fest, dass Ansätze zur Prävention ungenügend oder nicht ausreichend wirksam seien, auch sei die Effektivität bestehender Programme vielfach unklar. Bei Workshops der Kommission mit den Mitgliedsstaaten äußerten Experten, im Hinblick auf Unterstützung und Hilfe der Opfer seien größere Anstrengungen erforderlich. Die aktuelle medizinische und psychosoziale Versorgung lindere lang anhaltende Traumata aufgrund des Missbrauchs nicht ausreichend.

Je nach Ergebnis der Evaluierung fasst die Kommission zur Überprüfung der EU-Leitlinie verschiedene Szenarien ins Auge, die auch kombiniert werden können: von der konsequenten Umsetzung der geltenden Richtlinie über zusätzliche finanzielle Unterstützung der Mitgliedsstaaten und vermehrte Koordinierung im Bereich von Prävention, Ermittlung und Strafverfolgung bis hin zur inhaltlichen Ergänzung der Richtlinie aufgrund der technischen Weiterentwicklung.

Das Internet als neuer Kampfschauplatz

Ein weiterer Ansatzpunkt im Kampf gegen den sexuellen Kindesmissbrauch ist eine neue Rechtsverordnung über die Erkennung, Entfernung und Meldung illegaler Online-Inhalte. Im Gegensatz zu einer Richtlinie sind Verordnungen direkt umsetzbar. „Die Uhr tickt“, warnte die zuständige Kommissarin Ylva Johansson eindringlich auf einer Online-Konferenz über die Sicherheit von Kindern im Internet Ende Juni. „Wenn wir das neue Gesetz nicht verabschieden, wird sich das Internet von einem Spielplatz für Kinder in ein Jagdgebiet für Raubtiere verwandeln.“

Die geplante Verordnung hat zum Ziel, dass die Mitgliedsstaaten sexuellen Missbrauch von Kindern im Internet aufdecken und melden, sexuellem Kindesmissbrauch vorbeugen und die Opfer unterstützen. Daher werden Anbieter von Online-Diensten verpflichtet, sexuellen Missbrauch von Kindern auf ihren Internet-Plattformen zu melden und die Behörden zu benachrichtigen. Außerdem müssen sie Fälle von „Grooming“ melden, in denen Sexualstraftäter zu Kindern eine Beziehung, ein Vertrauensverhältnis und eine emotionale Bindung aufbauen, um sie zu manipulieren, auszubeuten und zu missbrauchen.

Missbrauch in Online-Portalen

Aufgrund einer drei Jahre lang gültigen Übergangsregelung dürfen Anbieter von Online-Kommunikationsdiensten wie Webmail oder Messagingdiensten seit August 2021 freiwillige Maßnahmen zur Aufdeckung und Meldung sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet und zur Entfernung von Online-Material über sexuellen Missbrauch von Kindern ergreifen. Um den sexuellen Missbrauch von Kindern im Internet zu bekämpfen, erlaubt die Verordnung Ausnahmeregelungen von bestimmten Bestimmungen der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation zum Zwecke der Verarbeitung personenbezogener und anderer Daten. Diese freiwilligen Maßnahmen spielen eine wichtige Rolle bei der Identifizierung und Rettung von Opfern und helfen dabei, die Weiterverbreitung von Darstellungen von sexuellem Kindesmissbrauch zu verhindern. Des Weiteren leisten sie einen Beitrag zur Identifizierung von Straftätern und zu entsprechenden Ermittlungen sowie zur Verhinderung von Straftaten.

Wie Anita Hipper gegenüber der „Tagespost“ erläutert, schlägt die Kommission ferner die Errichtung eines Zentrums zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern vor. Das Zentrum soll Maßnahmen zur Bekämpfung des sexuellen Kindesmissbrauchs koordinieren, den EU-Ländern Fachwissen zur Prävention und zum Opferschutz zur Verfügung stellen, die Polizeibehörden dabei unterstützen, Meldungen nachzugehen und Kinder zu retten sowie Unternehmen Indikatoren liefern, anhand derer sie sexuellen Kindesmissbrauch im Internet aufspüren und melden können. Eine enge Zusammenarbeit mit Partnern außerhalb der Europäischen Union und vergleichbaren Zentren in den USA, Kanada und Australien ist ebenfalls vorgesehen.

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Cornelia Huber Europäische Union Kindesmissbrauch

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