Ungeschminkt

Es gibt kein Frauenbonus bei Unfähigkeit

Anne Spiegel musste vom Amt der Familienministerin zurücktreten. Zeit, ein paar Dinge auf die Füße zu stellen, denn ursächlich waren weder Sexismus noch Frauenhass oder andere unterstellten Gründe.
Sitzung Landtag Rheinland-Pfalz
Foto: Sebastian Gollnow (dpa) | Kaum war ihr Rücktritt bekannt, begann es zu munkeln, Anne Spiegel sei von Opfer von Sexismus oder wahlweise der Unvereinbarkeit von Familie und Karriere - was aber nicht so ist.

Es gibt auch im politischen Betrieb den gefühlten „Point of no return“, den Wahn, nicht mehr zurück zu können, jetzt weiter machen zu müssen, weil sonst alles zusammenbricht. Wie im normalen Leben auch, ist es meist keine Lösung, sondern in der Regel der Beginn eines kompletten Absturzes, man realisiert es nur noch nicht. Dead (wo-)man walking.

Wer Glück hat, dem stehen in solchen Momenten die Familie oder gute Freunde bei, die einem schonungslos sagen, wenn es genug ist und einen vor sich selbst beschützen. Oder wenigstens bezahlte Berater, die den Job nur erledigen, um nicht mit abzustürzen. Sogar Parteifreunde sind besser als nichts. All diese Bremsnetze menschlicher Überlebenskunst versagten letzten Sonntag, als die Familienministerin Anne Spiegel vor die TV-Kameras trat, um den wahrscheinlich bizarrsten Medienauftritt des Politbetriebes der letzten Jahrzehnte hinzulegen. Eine desolat und verwirrt wirkende Frau mit steinernem Gesicht, die Lügen eingestehen musste, ihr Privatleben, genauer ihren Mann und seinen Stress als Schlaganfallpatient und die Zumutungen für ihre Kinder als Entschuldigungsargument bringt und dann – bleibt.

„Anne Spiegel hat eklatante Fehler gemacht,
es sind wegen Untätigkeit ihres Ministeriums
wahrscheinlich Menschen unnötig gestorben“

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Es dauerte nochmal einen Tag, bis der „politische Druck“, wie sie es sagt, sie dazu veranlasste, dann doch freiwillig abzutreten. Ich wollte wirklich nicht schon wieder über Anne Spiegel schreiben. Aber als hauptamtlich verschriene „Antifeministin“, wie ich eine sein soll, kann man nicht schweigen, wenn jetzt im Nachhall dieser Personalie das ganz große Geschütz als Verteidigungslinie aufgezogen wird: Die weibliche Opferkarte. Bei Twitter beweinte sich innerhalb von Sekunden nach Rücktritt das feministische und grüne Lager gegenseitig: Das sei eben dieser „Frauenhass“, Sexismus in der Politik, Männer dürfen immer kleben bleiben, nur weil sie eine Frau ist und seht her die Doppelbelastung zwischen Familie und Beruf.

Wenn das so weiter geht, ist Anne Spiegel noch vor Ende der Woche nicht mehr heillos überforderte Ex-Ministerin, sondern Parade-Opfer des patriarchalen Politsystems. Zeit, die Dinge auf die Füße zu stellen: In der Kurzfassung hat sie 2019 als Umweltministerin in Rheinland-Pfalz versagt, war in der Jahrhundertflut an der Ahr nicht erreichbar, mit dem Gendern von Pressemitteilungen und dem Glätten des eigenen Images beschäftigt und danach vier Wochen auf Urlaub in Frankreich, während die sicher auch überlasteten Familien an der Ahr ihre Keller ausschöpften, die Trümmer ihres Häuser beseitigten und Verwandte beerdigten. Zur Belohnung für diese Glanzleistung wurde sie Bundesfamilienministerin.

Die Instrumentalisierung familiärer Belastungen

 

 

Frau Spiegel schiebt nun nahezu schäbig ihren kranken Mann und ihre Kinder ins Rampenlicht und baut auf den Tränendrüsen-Faktor. Rührend, aber leider nicht überzeugend: Fakt ist, nach dem Schlaganfall ihres Mannes 2019 zog sie keineswegs die Karriere-Notbremse, um mehr Zeit für die Familie zu haben, sondern legte sogar drauf, wurde Spitzenkandidatin der Grünen und mutete auch ihrer Familie die Beförderung als Bundesministerin zu. Noch im Dezember schwärmte sie über die moderne Rollenverteilung im Hause Spiegel, ihr Gatte zieht als Hausmann die vier Kinder groß und „Er liebt es wirklich“.

Jede Familie kann ein Schicksalsschlag treffen, den man bewältigen muss. Es gibt aber auch für jeden Menschen, nicht nur als Frau und Mutter, den Punkt, an dem man entscheiden muss, ob Karriere oder Familie gerade wichtiger sind. Die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder hat an so einem Punkt einst anders entschieden. Nach dem dritten Kind legte sie ihre politische Karriere auf Eis, weil so ein Amt nicht mit ihren Kindern vereinbar wäre.

Schon 2021 hätte Spiegel zurücktreten müssen

Niemand ist gezwungen bei familiärer Überlastung Bundesministerin zu werden. Wer den Weg trotzdem gehen will, muss ihn auch verantworten. Anne Spiegel hat eklatante Fehler gemacht, es sind wegen Untätigkeit ihres Ministeriums wahrscheinlich Menschen unnötig gestorben. Das waren schon 2021 genug Rücktrittsgründe. Gleichberechtigung bedeutet auch, dass man keine Sonderbehandlung bekommt. Das ist hier kein Frauenhass, Anne Spiegel hat schlicht versagt. Als Politikerin, nicht als Frau. Der Rest ist Prosa.

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