Vincent van Gogh hat seine Karriere in Deutschland gemacht. Nirgendwo sonst in Europa oder Amerika gab es schon vor dem Ersten Weltkrieg so viele Ausstellungen und Werke des niederländischen Malers in privater oder öffentlicher Hand. Zu diesem Phänomen zeigt das Städel Museum in Frankfurt die Ausstellung „Making van Gogh – Geschichte einer deutschen Liebe“.
Bereits 1914 gab es 150 Werke van Goghs (1853–1890) in Deutschland, die Kölner Sonderbund-Ausstellung hat 1912 nur 22 Jahre nach dem Tod des Künstlers 125 Bilder zeigen können. Früh hatten besonders jüdische Kunstsammler wie Paul Cassirer den Niederländer für sich entdeckt – er hat ihm zwischen 1901 und 1914 zehn Einzelausstellungen gewidmet. Sein Bruder Bruno Cassirer gab die Briefe heraus. Der Briefwechsel erschloss eine ganz neue Welt – er zeigte, wie ein Künstler leben und arbeiten sollte. Der Einfluss van Goghs ging aber weit über Sammlertätigkeiten hinaus. So hob Philipp Demandt, Direktor des Städel Museums, bei der Pressekonferenz am Montag zur Eröffnung der Ausstellung hervor, dass die deutsche Kunst um 1900 so kaum ohne van Gogh denkbar gewesen sei.
Gottsucher und gescheiterter Kunstapostel
Wurde die Kunst van Goghs im ersten Jahrzehnt nach seinem Tod kaum wahrgenommen, so hat man ihn in Deutschland bald in religiösen Dimensionen stilisiert. Der Kunstkritiker und Autor Julius Meier-Graefe nannte van Gogh den „Christus der modernen Kunst“ und schrieb über ihn: „Seine Selbstzerstörung ist tragisch, weil sie natürliches Opfer ist, keine Selbstbefleckung, die Tat eines ganz gesunden Bewusstseins, das an der ungenügenden Widerstandskraft des Körpers zersplittert.“ Und weiter: „Er hat für viele geschaffen, noch mehr für viele gelitten. Ob er Heiland ist oder werden kann, das wird von dem Glauben der Jünger abhängen.“ Meier-Graefe schrieb auch das Buch. Der Maler habe uns mehr als Bilder vorgemacht, heißt es hier im Vorwort, van Gogh gehe alle an, „alle Bedrückten, alle Erniedrigten und Beleidigten, alle Glücklichen, die eine Hoffnung schwellt“. Gottsucher war van Gogh schon, als er 1876 Hilfspfarrer im südenglischen Ramsgate wurde. Noch neun Jahre später malte er das „Stillleben mit offener Bibel, erloschener Kerze und einem Roman“. Meier-Graefe stilisiert in seinem Roman van Gogh zu einem Kunstapostel, allerdings zu einem gescheiterten, der sich in der Nachfolge Christi gänzlich für seine Kunst geopfert habe.
Die Entstehung des „Mythos van Gogh“ ist auch Thema der Ausstellung. Hierzu werden 70 Werke deutscher Künstler wie Beckmann, Kirchner, Jawlensky, Modersohn-Becker oder Heinrich Nauen 50 zentralen Bildern van Goghs gegenübergestellt. Viele der deutschen Künstler sahen in van Gogh den Bauern-Maler, der die Schwere des Landlebens darstellte. Als Maler des schicksalhaften Daseins hat ihn Kurt Badt in seiner erhellenden Studie „Die Farbenlehre van Goghs“ (1981) beschrieben: „Schicksal als die Erschütterung der Existenz selbst, die von sich weiß. Sie wurde zum Grundprinzip seiner Kunst.“
„Die Legende vom unentdeckten,
von derGesellschaft zurückgewiesenen Künstler
avancierte zu einem der wirkungsmächtigsten
Künstler-Topoi der Moderne, der seitdem
unzählige Male kopiert worden ist“
Felix Krämer
Doch wie kam es zum van Gogh-Boom, der ganze Malerschulen wie die Dresdner Künstlervereinigung „Brücke“ in einer Weise beeinflusste, so dass Emil Nolde ihren Mitgliedern riet, sich besser „Van Goghiana“ zu nennen? Wie es in einem der Texte des prächtigen Katalogs zur Ausstellung heißt, lag es wohl an den Farben. Die damalige deutsche Kunstszene war durch die vom Kaiser geschätzten Anton von Werner, Arnold Böcklin, Franz Lehnbach sowie von dem „Lieblingsmaler des deutschen Volkes“ – so Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1909 –, Hans Thoma, beherrscht. Aber nicht nur bei diesen Künstlern mit ihren Historiendarstellungen, Landschaften oder mythologischen Szenen dominierten die erdigen dunklen Farben, auch bei Liebermann, Slevogt oder Korinth, die einen anderen Weg gehen wollten. Van Goghs Bilder wirkten da viel radikaler, greller als die in den europäischen Nachbarländern. Auch galten vielen die Werke im Kaiserreich als nicht mehr zeitgemäß, eher als „verkopft und gekünstelt“ – man suchte nach authentischen Kunsterlebnissen.
Dabei war die Sicht auf van Gogh ganz unterschiedlich. Die einen sahen in ihm den von der französischen Moderne geprägten Maler, für andere, wie den Kunstkritiker Max Osborn, war er der „nordische Künstler“ geblieben, dessen rohes und „ungekünsteltes“ Wesen in Deutschland Beliebtheit gefunden hätte. Aber auch Mythen entstanden schnell, die sich bis heute gehalten haben: „Die Legende vom unentdeckten, von der Gesellschaft zurückgewiesenen Künstler avancierte zu einem der wirkungsmächtigsten Künstler-Topoi der Moderne, der seitdem unzählige Male kopiert worden ist“, heißt es im Katalogtext von Felix Krämer, Generaldirektor im Kunstpalast Düsseldorf, der vor Jahren die Idee zur Ausstellung hatte, als er noch im Städel war.
Van Goghs Bilder leuchten wirklich
Die Ausstellung ist in die drei Abschnitte Mythos, Wirkung und Malweise gegliedert. Der erste Eindruck beim Betrachten der Bilder ist: Sie leuchten wirklich, ganz anders als auf Reproduktionen. Der Besucher wird die großen Gemälde und Zeichnungen aller Phasen van Goghs wiederfinden – die Selbstporträts, die frühen noch an der niederländischen Malerei orientierten Bilder wie das „Kartoffelsetzen“ (1884) oder das „Bauernhaus in Nuenen“ (1885), aber auch die großen Werke aus Arles, wie „Porträt des Armand Roulin“ (1888) oder die „Sternennacht“ (1889).
Bereits 1911 hatte das Städel das „Hauptwerk“ van Goghs, wie es in der Presseinformation heißt, „Bildnis des Dr. Gachet“, gekauft. 1937 wurde es von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und dann gegen Devisen auf dem internationalen Kunsthandel verkauft. Heute ist es in privater Hand und nicht ausgestellt. Wohl aber dessen leerer Bilderrahmen – der eigne sich hervorragend für Selfies, wie Felix Krämer gegenüber Journalisten bemerkte.
„Making van Gogh – Geschichte einer deutschen Liebe“.
Städel Museum Frankfurt am Main, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main. Di., Mi., Sa., So. 10.00–18.00 Uhr, Do., Fr. 10.00–21.00 Uhr, montags geschlossen.
Katalog „ Making van Gogh“, 353 Seiten, Hirmer Verlag, EUR 49,90