Es war der Morgen danach: Durch die Internet- und Fernsehkanäle Deutschlands wurde den Menschen mit banger Miene und belegter Stimme erklärt, welch eine Katastrophe geschehen sei: Die Bürger der Vereinigten Staaten hatten gewählt – doch nicht diejenige, die in trautem Einklang von deutscher Politik und veröffentlichter Meinung als die legitime Nachfolgerin von US-Präsident Barack Obama auserkoren worden war, Hillary Clinton. Das Volk der Vereinigten Staaten hatte souverän anders entschieden – für Donald Trump. Bei einer Wahl, die nicht einfach war, weil es trotz des deutschen Hillary-Konsens' den Idealkandidaten nicht gab.
Trotzdem: Als Zahler des Rundfunkbeitrags und Bürger eines freien demokratischen Landes durfte man erwarten, dass die Medien sich nüchtern und sachlich mit dem Wahlergebnis auseinandersetzen würden. Es hätte also – spätestens jetzt! – die Stunde der seriösen Hintergrundberichte sein können, sein müssen. Doch weit gefehlt! Statt objektiver Berichterstattung stieß man bei der Rezeption des US-Wahlergebnisses in den Leitmedien lediglich auf eine Mischung aus betulichem Betroffenheits- und Belehrungsjournalismus. Den Menschen im Lande wurde erklärt, aufgrund welcher angeblichen Dummheit und Ängste der US-Bürger ein Kandidat wie Donald Trump überhaupt nur gewählt werden konnte und welche negativen Konsequenzen Deutschland und Europa jetzt erwarten würden.
Statt Hintergrundberichten nur faktenfreies Handwerk
Im ARD-„Morgenmagazin“ beispielsweise wurden Tweets von – angesichts des Wahlausgangs – fassungslosen Prominenten aus den Vereinigten Staaten verlesen. Natürlich alles Vertreter einer linksliberalen Elite, welche der Wahlverliererin nahestehen. Dass es auch positive Reaktionen gab (auch unter amerikanischen Prominenten und Lebensschützern) fiel unter den Tisch. Ein Highlight fehlender Ausgewogenheit und Objektivität konnten auch die Leser vieler lokaler Tageszeitungen in Deutschland am Tag nach der Wahl genießen: Ein Hintergrund-Artikel der Deutschen Presseagentur (dpa) erklärte den Lesern im „Frage-Antwort-Stil“ den neuen mächtigsten Mann der westlichen Welt in Schnellformat: „Was nun, Donald Trump? – Die wichtigsten Fragen nach der Wahl“. Bei der Frage zur außenpolitischen Orientierung Trumps wurde der President-elect zunächst in die Nähe der Mafia gerückt, dann kam das Fazit: „Temperament und Reizbarkeit des Republikaners sprächen für eine profunde Änderung des Tons zwischen den USA und dem Rest der Welt.“ Allen Ernstes lautete eine der weiteren Fragen, ob die Vereinigten Staaten nun mit Trump einen „Alleinherrscher“ hätten. Der erste Antwort-Satz „nicht ganz“ klang wenig beruhigend.
Doch die dpa steht mit einer derart faktenfreien, einseitig emotionalen Berichterstattung nicht allein. Journalistische Psycho- und Horrorszenarien wohin man auch sah und sieht: Da führt dann ein narzisstisch gestörter Donald Trump die Vereinigten Staaten wie ein Immobilien-Imperium. Wer dem Boss einmal widerspricht, wird sofort gefeuert – so lautet das Narrativ, das in den deutschen Medien zum neuen US-Präsidenten bedient wird. Klischees und Stereotype, welche zumindest halbwegs gebildete Redakteure nicht wirklich ernst meinen können, wissen sie doch, dass selbst mit einer Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses, wie Donald Trump sie haben wird, das Regieren in den Vereinigten Staaten, wo man mit der Demokratie schon ein paar Jahre länger Erfahrung hat als in der Bundesrepublik, kein Selbstläufer ist. Natürlich: der Präsident der Vereinigten Staaten ist mit anderen Vollmachten ausgestattet, als die meisten europäischen Regierungschefs – diese Unterschiede differenziert zu schildern, hätte von den Leitmedien geleistet werden müssen. Man zog es vor, diffuse Ängste zu schüren.
Warum? Vermutlich, weil Ängste effektvoll sind, wenn man sie für seinen eigenen politischen Standpunkt instrumentalisiert. Was man als Journalist allerdings nicht unbedingt tun sollte, insofern es einen nicht auf die Agit-Prop-Bühne zieht. Wer als Journalist den neuen US-Präsidenten als brandgefährlichen Irren darstellt, der stets einen Finger auf dem roten Knopf hat, um die Welt in eine nukleares Inferno zu verwandeln, sitzt seiner Phantasie oder einer Legende auf und muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ein „postfaktisches“ Handwerk zu verrichten, wie es heute so schön heißt. Die faktische Wirklichkeit ist nämlich deutlich unspektakulärer (und damit weniger beängstigend): Dem US-Präsidenten ist es als Oberbefehlshaber der Armee lediglich vorbehalten, seine Erlaubnis zu geben, wenn die Militärs den Einsatz von Nuklearwaffen beabsichtigen. Auch solch eine Information könnte man in einem seriösen Hintergrund-Bericht erwähnen. Wenn man es denn will.
Nun könnte man sagen: Auch in den Vereinigten Staaten hat Donald Trump seine Wahl gegen die Medien gewonnen. Auch dort waren die Medien einseitig für Clinton. Doch was ändert dies? Wäre es nicht gerade mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl 2017 in Deutschland geboten, dass Journalisten ihre beim US-Wahlkampf bewiesene Inkompetenz in Sachen Prognosesicherheit und Objektivität kritisch hinterfragen und einen beherzten turn-around einleiten? Ab jetzt wieder mehr Objektivität und Zurückhaltung, professionelle Distanz statt politischer Solidarität, Fakten statt Emotionen?
Es sieht nicht danach aus. Stattdessen läuft die beleidigte Rechtfertigungsmühle: Man gibt in einer Weise den frustrierten, wütenden, alten, weißen Männern die Schuld am Wahlsieg Trumps, dass es schon fast ans Absurde grenzt. Wenn allerdings nicht die Frauen, Latinos und Schwarzen diesen Präsidenten auch gewählt hätten, hätte er seine Mehrheit nie bekommen.
Wir brauchen den objektiven Journalismus dringend. Wir brauchen die Zeitgenossen, die sich konsequent der Suche nach der Wahrheit verschrieben haben, jenseits von pseudojournalistischer Belehrung und Bevormundung im Betroffenheitsgestus. Denn der Frust vieler Wähler über die Eliten, wie er sich in den Vereinigten Staaten artikuliert hat, ist definitiv auch ein Frust über die Medien. Jede tendenziöse Berichterstattung hat die gleichen Konsequenzen: Am Ende glaubt man auch einen seriösen Bericht nicht mehr, wenn man nur lange genug manipuliert und hinters Licht geführt wurde.
Gerade in Zeiten, in denen sich die Welt immer schneller und komplexer zu drehen scheint, gehört es zur Aufgabe der Medien, realistisch-nüchtern zu beschreiben. Schließlich darf man sich, wie es der große Hanns Joachim Friedrichs gelehrt hat, als Journalist mit keiner Sache gemein machen. Auch nicht mit einer Guten. Und Horrorvisionen, das sei hinzugefügt, passen besser ins Kino oder einen Roman.