Seltsam war es schon: Im Frühjahr 2004, als der Film „Die Passion Christi“ („The Passion of the Christ“) von Mel Gibson in die Kinos kam und mit dem flächendeckenden Vorwurf attackiert wurde, er sei zu blutrünstig, zu gewaltorientiert. Nicht nur viele Kino-Kritiker und Medien-Pädagogen, die ansonsten in Sachen Blut und Schläge gern vor zu engen moralischen Scheuklappen warnen und das cineastische „Everything goes“ (Alles geht) ausrufen, bemächtigten sich dieses Vorwurfs; auch andere mit dem Leiden Christi durchaus vertraute Kirchen- und Kulturakteure, wie der damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber („Aushalten konnte ich es nicht. Vor allem die Geißelung Jesu ist von unerträglicher Brutalität.“) und der Theater-Regisseur Christian Stückl werteten das zweieinhalbstündige „Machwerk“ (DER SPIEGEL) als brutalen Anschlag auf den guten Geschmack.
„Wir wollen vor allem das Leben Jesus zeigen und versuchen, erfahrbar zu machen, was für ein Mensch er war“, grenzte sich Stückl, der unter anderem bei den Oberammergauer Passionsspielen die Regie führt, künstlerisch und theologisch von der „Passion“ ab. Mehr Frohbotschaft statt Drohbotschaft sei wünschenswert – das ewige Argument derjenigen, die den Messias aus Nazareth lieber als bürgerlichen Gutmenschen sehen, als politisch korrekten „Spießer“, wie ein deutscher Prälat sagen würde.
Mel Gibson jedoch, bis dato ein gefeierter Hollywood-Schauspieler, Regisseur und Beau, der mit Filmen wie „Lethal Weapon“, „Braveheart“ und „Der Patriot“ weltweit Tausende von Kino-Sälen und Frauen-Herzen erobert hatte, ging es um etwas anderes. Größeres. Denn die gemeinhin gerne zugestandene Ansicht, dass Jesus als Mensch ziemlich in Ordnung war, schien dem im traditionellen Sinne römisch-katholisch erzogenen Australier mit der amerikanischen Staatsbürgerschaft kein monumentales Film-Projekt wert zu sein – Jesus als Erlöser und Heiland zu zeigen, dessen Tod am Kreuz etwas gekostet hat, weil darin die Befreiung der gefallenen Menschheit von den Sünden eingeschlossen war, hingegen schon.
Mehr als zehn Jahre brütete Gibson an dem Projekt. Als Drehbuchautor (neben Benedict Fitzgerald), als Produzent (das Budget in Höhe von 25 Millionen Dollar zahlte er aus eigener Tasche) und Regisseur. Sein ehrgeiziges Ziel: Eine historisch genaue Darstellung der letzten zwölf Stunden des Lebens Jesu. Wofür Gibson nicht nur exzellentes theologisches Fachwissen anzapfte (Thomas Williams, der damalige Dekan der Theologischen Fakultät an der Päpstlichen Hochschule Regina Apostolorum in Rom, beriet Gibson als Experte im Hintergrund), auch auf die von Clemens Brentano aufgezeichneten Visionen der deutschen Mystikerin Anna Katharina Emmerick („Das bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus“) griff Gibson zurück.
Gedreht wurde der Film 2003 in Italien, in einem Studio in Rom und in der süditalienischen Höhlenstadt Matera. Mit einem Set internationaler Schauspieler, die sich aufgrund von Gibsons Authentizitäts-Anspruch Monologe und Dialoge in den in Hollywood eher unüblichen Sprachen lateinisch, aramäisch und hebräisch liefern mussten. In den Kinos lief der Film mit Untertiteln.
Für präzise Bibelleser enthielt der Film eigentlich wenig Neues, wenn man von der androgynen Satansgestalt absieht, die von Adriano Celentanos Tochter Rosalinda Celentano gespielt wurde und den im Neuen Testament stets spürbaren Konflikt zwischen Gut und Böse filmisch überzeugend andeutet.
Das letzte Abendmahl, Gethsemane, Judas' Verrat, die Verurteilung und die Kreuzigung auf Golgatha – anders als früheren Jesus-Regisseuren wie Pier Pasolini („Das 1. Evangelium – Matthäus“), Martin Scorsese („Die letzte Versuchung Christi“) oder Denys Arcand („Jesus von Montreal“) ging es Gibson nicht darum, die Evangelien als Rampe für seine eigene Phantasie und kontroverse, wenn nicht gar blasphemische Fiktionen zu benutzen. Gibson vertraut in der „Passion Christi“ auf das Skandalon der christlichen Botschaft, auf den stets Anstoß erregenden Anspruch Jesu, der Messias zu sein. Ein künstlerischer Bekenntnismut, für den man Gibson auch dann Respekt hätte zollen müssen, wenn das Produkt weniger ergreifend, weniger professionell gelungen wäre, als es letztlich war und ist.
Und siehe, trotz warnender Kritiker- und Kirchenstimmen ließen sich Millionen Menschen nicht davon abhalten, den Film und die schonungslose Wahrheit, die er zeigt, selbst anzusehen. Fast 70 Millionen Menschen haben den Film in Amerika gesehen. In Deutschland waren es im Jahr des Kinostarts 2004, also die spätere Verbreitung durch DVDs und Fernsehübertragungen nicht mitgerechnet, mehr als eineinhalb Million. Zahlen, die erklären können, wieso die „Passion Christi“ als erfolgreichster religiöser Film aller Zeiten gilt und mit einem Einspielergebnis von mehr als 600 Million US-Dollar auch bei den kommerziell erfolgreichsten Spielfilmen bis heute ganz oben mitspielt. Was angesichts der in diesen Gefilden ansonsten vertretenen Filme wie „Avatar“ und „Harry Potter“ durchaus als Frohe Kino-Botschaft aufgefasst werden kann.
Dass manche Katholiken bei dem Film heute trotzdem ein zwiespältiges Gefühl haben, hat weniger mit dem zu tun, was man auf der Leinwand oder auf dem Bildschirm sehen kann – sondern mit den negativen Schlagzeilen, die auf das kolossale Filmereignis folgten: Die Passion Mel Gibsons sozusagen. Nicht genug, dass der 1956 geborene Oscarpreisträger (1996 gewann er die begehrte Trophäe für seine Regieleistung bei „Braveheart“) und Vater von sieben Kindern, sich bald nach dem Filmprojekt von seiner Frau scheiden ließ, mit der er 29 Jahre verheiratet war, um mit der russischen Musikerin Oksana Grigorieva eine Affäre zu beginnen, der zwar Kind Nummer acht, aber nur ein kurzes Glück beschieden war – mit antisemitischen Äußerungen und Alkohol am Steuer katapultierte sich Gibson selbst vom filmischen Olymp. Dazu kamen nach der Trennung von seiner russischen Exfreundin Vorwürfe, er habe gegen sie häusliche Gewalt angewandt, was Gibson zunächst abstritt, vor Gericht aber zerknirscht zugab. Mit dem Ergebnis, das ihn seine Schauspiel-Agentur rauswarf. Ein tiefer Fall, der bis heute trotz kleiner Filmrollen anhält, auch, wenn man immer wieder hört, dass Gibson die Verfilmung des alttestamentarischen Makkabäer-Stoffes plane.
Andere Schauspieler der „Passion“ hingegen erlebten durch den Film eine religiöse Neubesinnung oder wie der Jesus-Darsteller Jim Caviezel eine Bestätigung ihres religiösen Weges. So ließ sich Caviezel vor der Premiere des Films von Papst Johannes Paul II. segnen und bekannte freimütig, dass die Darstellung des Erlösers seine „Traumrolle“ gewesen sei, auch wenn er wisse, dass er sich damit seine weitere Filmkarriere wahrscheinlich verbaut habe. Was, wie man heute sagen kann, eine realistische Einschätzung war, denn auch ohne Affären hat die Zahl der Rollenangebote bei Caviezel deutlich abgenommen, was ihn nicht davon abhält, für die ethische Botschaft des „Passion“-Films weiter die Werbetrommel zu schlagen. Den dezidiert katholischen Politiker und Alternativ-Kandidaten der Republikaner für das Amt des US-Präsidenten, Rick Santorum, unterstützte Caviezel öffentlich. Ebenso deutlich sprach er sich gegen Stammzellforschung aus, die er als Betrug an Gottes Schöpfung einordnete.
Zu den wenigen kirchlichen Würdenträgern, die damals, als der Film in die Kinos kam, den Mut besaßen, die „Passion Christi“ ausdrücklich zu loben, zählt der damalige Bischof von Regensburg und heutige Präfekt der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller. Er verstand den Film als einen „ergreifenden Beitrag zum Verständnis der Leidensgeschichte Jesu. Die an manchen Stellen dargestellte Brutalität zeigt, wozu Menschen in ihren dunkelsten Eigenschaften fähig sind. Und es wird einem ganz klar vor Augen geführt, was Jesus für uns Menschen und für unsere Sünden ertragen hat.“
Den von manchen Lobbys nicht nur auf Gibson, sondern seinen Film projizierten Vorwurf des Antisemitismus schloss Müller aus. „Dieser Vorwurf wird von außen an den Film herangetragen. Er kann keineswegs aus ihm entnommen werden. Es werden keine Ressentiments geschürt gegen ,die‘ Juden von damals und heute. Wer an Jesus Christus als Messias glaubt, also Christ ist, sieht in den Juden seine Brüder und Schwestern, mit denen er in der gesamten Heilsgeschichte, von der Schöpfung an bis zum Bundesschluss Gottes mit Israel und bis hin zu den Propheten Israels, zutiefst verbunden ist.“ Mel Gibson hat sich inzwischen mehrmals für sein verbales und körperliches Fehlverhalten entschuldigt. Als ihn das Gericht 2011 wegen häuslicher Gewalt verurteilte, hielt sich Gibson an die Bewährungsauflagen. Er bezahlte die Geldstrafe und leistete gemeinnützige Arbeit. Auch eine Therapie absolvierte er. Das macht seine Fehler von früher nicht ungeschehen, aber gerade Christen sollten diesem Mann, der mit dem Projekt „Die Passion Christi“ nicht nur 25 Millionen, sondern auch sein Image und seine Karriere auf den Altar gelegt hat, eine zweite Chance geben. Und seinen großartigen Film zukünftig ohne Zwiespalt anerkennen. In der Literatur weiß man schließlich schon lange, dass die schlechtesten Katholiken die besten katholischen Romane schreiben. Darf es bei Filmemachern nicht genauso sein?
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