Es hätte so schnell vorbei sein können. Mit wenigen Gesten wären Jahrhundertwerke verloren gewesen, hätte es bei den verschiedenen Anschlägen auf Gemälde kein Schutzglas gegeben. Ob die Aktivisten der Organisation „Just Stop Oil“ damit gerechnet haben, ist unklar. Massiven Schaden haben sie zumindest in Kauf genommen. Seither streiten sich die Geister über Sinn und Unsinn solch vandalistischer Übergriffe.
„Außer einem Eklat haben die vermeintlichen Revoluzzer
somit nichts gewonnen. Rein gar nichts! Im Gegenteil“
Was die einen als legitime Form des zivilen Ungehorsams – ähem! – feiern, stellt für die anderen eine unverzeihliche Grenzverletzung dar.
Fakt ist: Bis in die jüngste Zeit waren Aktivismus und Kunst noch untrennbar miteinander verbunden, weil wohl die Ambitionen beider Sphären ähnlich waren. Man denke nur an die literarische Bewegung des Vormärz. Nachdem der Wiener Kongress 1815 die Ancienne Regimes wieder eingesetzt hat und der deutschsprachige Raum trotz aller Bemühungen im Volk um eine nationale Einheit in Kleinstfürstentümer aufgeteilt wurde, besannen sich viele Autoren auf ein agitatorisches Schreiben.
Manche Künstler empfanden ihre Kunst als Opposition
Dichter wie Heinrich Heine oder Ludwig Börne ließen politische Poeme auf Flugblätter drucken, um so revolutionären Geist heraufzubeschwören. Das Ziel bestand darin, verschiedene Kräfte für die gute Sache zu gewinnen. Selbst in der Kunstszene wurde diese Praxis lange gepflegt. So beruhten allein Klaus Staecks politische Plakate auf der Vorstellung, dass kreative Kraft und Protest zusammengehören.
Und nun? Jetzt rebellieren Ignoranten gegen die Kunst, die selbst zur Zeit ihrer Entstehung oft als revolutionär galt. Sei es van Gogh, Cranach oder Picasso – sie alle haben mit ihren Ästhetiken gegen vorherrschende Traditionen opponiert. Wer dies mit so gewaltsamen Akten wie in diesen Tagen missachtet, ist vor allem eines: massiv geschichtsvergessen! Dabei erfordert doch gerade das Bewusstsein für die Klimakrise den wachsamen Blick zurück, eben das Wissen um den exponentiellen Anstieg der Treibhausgasemissionen seit der Industrialisierung.
Die Vandalen zu verteidigen wäre dumm
Außer einem Eklat haben die vermeintlichen Revoluzzer somit nichts gewonnen. Rein gar nichts! Im Gegenteil: Sie treiben sogar noch einen Keil zwischen sich und ihre genuinen Verbündeten. Denn unzählige Museen haben sich in der vergangenen Dekade programmatisch mit ökologischen Fragen beschäftigt. Mit dem menschlichen Versagen, mit Zukunftsideen, mit der geschichtlichen Entwicklung der Umweltbewegung. Nein, eine Verteidigung von Kartoffelbrei-Haudraufs wäre nicht nur falsch, sie wäre schlichtweg dumm.
Zerstörung hat keinen Bezug zum globalen Thema
Kein einziges Auto verschwindet dadurch von den Straßen, kein einziges Steak wird weniger verzehrt, zumal die zerstörerischen Handlungen nicht den geringsten Bezug zum globalen Thema an sich aufweisen. Man kann den Vernünftigen in der Klimabewegung daher nur raten, auf Solidarisierung und die Herstellung von gesellschaftlichen Bündnissen und Mehrheiten zu setzen.
Und wenn der oft auch angebrachte zivile Ungehorsam ein Mittel der Wahl sein soll, dann müssten die Verhinderer einer klugen und nachhaltigen Politik im Fokus stehen: die Lobbyisten und Wissenschaftsleugner, die reaktionären Parteien und industriellen Umweltsünder. Alles andere ist wirklich nichts außer purem Schwachsinn!
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.