München

Der Soundtrack passt zur Fastenzeit

Fastenzeit - da bedarf es passender Musik: Orlando di Lasso und Wolfgang Amadeus Mozart schufen uns mit den Bußpsalmen und der Kantate vom bußfertigen David eine musikalische Einstimmung.
Orlando Lassus Orlando di Lasso c1532 1594 Composer and musician from the Netherlands Active in
Foto: Imago Images | Der herzogliche Auftraggeber Albrecht V. war so ergriffen von den „Septem psalmi poenitentiales“, dass er eine Drucklegung vebot - niemand sonst sollte die überirdische Musik zu hören bekommen.

Der Schatz des Christen, der unvergängliche, ruht im Himmel. Erinnerungen an diesen findet der Achtsame in der Schönheit der Natur, auch der Kunst, die der Mensch bisweilen hervorzubringen in der Lage ist, oder in der liebevollen Gemeinschaft mit anderen. Vergänglich sind diese allesamt. Ein Baum keimt, wächst und vergeht und auch die „ewige“ Kunst überdauert nur, solange man sie als solche zu schätzen weiß. Die Schätze gar der Musik sind noch viel flüchtiger; sie gilt es aufzuführen.

Auch wenn nach dem zurückliegenden Corona-Jahr der diesjährige Aschermittwoch keine sonderliche Zäsur in unserer insgesamt närrischen Zeit darstellt, seien dem geneigten Leser zu diesem Anlass zwei Werke aus eben dem Bereich der Tonkunst nahegelegt: Orlando di Lassos Bußpsalmen und „Davide penitente“, Mozarts Kantate vom bußfertigen David.

Wolfgang Amadeus Mozart 1756 1791, Fruchtbarer und einflussreicher Komponist der klassischen Epoche
Foto: Imago Images | Für seine Kantate „Davide penitente“ übertrug Mozart Melodien aus seiner großen c-Moll Messe. Der Text ist eine italienische Übersetzung von Saverio Mattei.

Musik muss zum Erklingen gebracht werden

Gedruckt haben Werke der Musik normalerweise keine sonderliche Bedeutung. Wer wollte auch den Wert des Papiers bemessen; den der Druckerschwärze, die es färbt? Musik muss aufgeführt, muss zum Erklingen gebracht werden! Das Hauptproblem bei dieser raum- und auch zeitgreifenden Kunstgattung ist, dass es mit der Notenschrift gar nicht möglich ist, exakt jene Klangereignisse darzustellen, die der Komponist im Sinn hatte. Noten bleiben – wie der große Regisseur Otto Schenk dies ausdrückte – eine wohl gemeinte Handreichung an die ausführenden Künstler. Deren Interpretation ist obendrein noch abhängig von den Konventionen, die zur Zeit der Aufführung herrschten bzw. herrschen. Wie langsam geht nun das „Andante“ und wie munter perlt das „Allegro“? Vielleicht sind es aber auch genau diese Unsicherheiten, welche die Kunstform Musik so himmlisch machen.

Als Orlando di Lasso Ende der 1550er Jahre begann, seine sieben Bußpsalmen zu vertonen, hatte das um 1532 im heute belgischen Mons geborene Ausnahmetalent bereits eine beeindruckende Karriere hinter sich. Erst als Sängerknabe und dann als jugendlicher Sänger bereiste er das Italien der Renaissance, lernte Straßenmusikanten und Commedia dell'arte  kennen und verkehrte in höchsten Adels- und Kirchenkreisen. Mit kaum 20 wurde er Kapellmeister an der Lateranbasilika und ging dann nach Antwerpen, wo er seine Werke auch verlegen konnte. Umfassend gebildet gelangte di Lasso 1556 nach München an den Hof Albrechts V.; zunächst als Tenorist, später sollte er die Leitung der europaweit berühmten Hofkapelle des kunstsinnigen Bayernherzogs übernehmen.

 

„Dissonante Reibungen, enge Stimmführung und scharfe Kontraste
führen den Hörer in Sphären tiefster Zerknirschung und Reue“

Mit seinen als Zyklus konzipierten Septem psalmi poenitentiales lotete di Lasso die Regeln der damaligen Kompositionslehre aus. Dissonante Reibungen, enge Stimmführung und scharfe Kontraste führen den Hörer in Sphären tiefster Zerknirschung und Reue, lassen ihn mit Gott und Vergänglichkeit hadern und um Erlösung und Gnade flehen. Um seine sieben Bußgesänge durch den Kreis aller acht Kirchentonarten wandern zu lassen, fügte di Lasso die Motette „Laudes Domini“ dazu. Die Reaktion des herzoglichen Auftraggebers fiel überschwänglich, aber wohl anders aus, als der musikalische Superstar es sich erhofft hatte – eifersüchtig verbot Albrecht V. eine Drucklegung; niemand anderes sollte diese überirdische Musik hören! Er wollte sie als Privateigentum. So ließ er eine Handschrift anfertigen und beauftragte seinen Hofmaler Hans Mielich, deren über 400 Pergamentseiten zu illuminieren, also mit über 1000 Bildern und überbordenden Ornamenten auszuschmücken.

Das neunte Weltwunder in der Bayerischen Staatsbibliothek

Neben den Portraits von Auftraggeber und Komponist zeigen die Miniaturen Szenen aus Altem und Neuem Testament, die von einem bunten Gewimmel von Aposteln, Propheten und Patriarchen bevölkert werden und daneben noch Raum bieten für allerlei exotisches Getier, wie den damals noch frisch aus der Neuen Welt eingeführten Truthahn. Das als neuntes Weltwunder gefeierte, multimediale Gesamtkunstwerk wanderte in die Schatzkammer der Wittelsbacher und gilt heute als prachtvollste Musikhandschrift der Bayerischen Staatsbibliothek. Erst nach dem Tode des Herzogs durften zumindest die Noten verlegt werden; inzwischen ist der ehedem einem auserlesenen Publikum vorbehaltene Codex Mielich digitalisiert im Internet zu finden.

Mozarts Kantate vom reuigen David ist ein Recycling-Produkt. Erklingen die ersten Takte, so formuliert sich beim unvorbereiteten Hörer ein großes Fragezeichen, denn das Gehörte kennt man – es ist die ebenso berühmte wie Große Messe c-moll; nur mit italienischem Text! In dieser Form entstand das Werk für ein Benefizkonzert der Wiener Tonkünstler-Societät am 13. März 1785. Von den Einnahmen unterstützte diese Wohltätigkeitseinrichtung Musikerwitwen und –waisen; allerdings nur die Hinterbliebenen verstorbener Mitglieder. Wolfgang Amadé Mozart hatte guten Grund dazu, sich um eine Mitgliedschaft zu bewerben, denn zweieinhalb Jahre zuvor hatte er Constanze Weber geheiratet und war inzwischen Vater eines nur wenige Monate alten Sohnes

Mozart, damals vielbeschäftigt, griff auf das bis dahin wohl unaufgeführte Messenfragment in c-moll zurück, gab die Partitur einem Kopisten, der den Notentext abschrieb und die Gesangsstimmen mit Texten aus dem Ersten Buch Samuel sowie Bußpsalmen unterlegte. Dazu griff man auf eine italienische Übersetzung von Saverio Mattei zurück. Der Schreiber scheint anfangs nicht sehr sorgfältig gearbeitet zu haben, denn die für die Messtexte gedachten Notenwerte wurden erst später dem neuen Text angepasst. Mozart komponierte lediglich noch zwei Solo-Arien dazu; fertig.

Eine schludrige Arbeit? Wohl kaum, denn mit keiner seiner anderen Messkompositionen hätte er so verfahren können. Mozarts Große Messe entstand 1782. Frisch nach Wien gekommen, hatte der Salzburger den Musikliebhaber Gottfried van Swieten kennengelernt, der das Musikgenie in seine wohl größte Schaffenskrise stürzte, denn bei van Swieten, „da wird nichts gespiellt als Händl und Bach.“ Auch Mozarts Frau „war ganz verliebt darein“ und habe mit ihm solange „gezankt“ bis auch er „eine fuge aufsetzte“. Mozart saugte „die wahre KirchenMusic“ in sich auf, beschäftigte sich mit der Kunstgattung Oratorium und begann, den aus dem „gusto“ gekommenen, kontrapunktischen Stil mit eigenem Geist zu erfüllen.

Eine Summe geistlicher Musik in einer Übung

Ob das Monumentalfragment je dazu gedacht war, ein Messopfer zu rahmen, darf bezweifelt werden. Ist es eine Studie über die Möglichkeiten liturgischer Musik im Allgemeinen? Mit ihren Anklängen vor allem an Händel aber auch an italienische Vorbilder stellt die Übung gleichsam eine Summe der geistlichen Musik des 18. Jahrhunderts dar und ist wahrhaft würdig einer „SocietätsMusique“ der Wiener Tonkünstler, wie Mozart sein Werk nannte; den Titel „Davide penitente“ erhielt es erst später. Auch die Umtextierung ist zu geschickt gemacht, als dass man hier nicht eine feinsinnige Kennerschaft der schöpferischen Ideen vermuten kann, die der ursprünglichen Messkomposition zugrunde lagen. So wird das aus schleppender Mühsal aufsteigende Kyrie zum „Alzai le flebili voci al Signor“ („Ich erhob meine klagende Stimme zum Herrn“) und die peitschende Begleitung des „Qui tollis“ zum sinnfälligen „Se vuoi, puniscimi“ („Willst du, so bestrafe mich“).

Di Lasso und Mozart – zwei Giganten, die Schätze des Christentums erschufen; der eine durch kunstvollste polyphone Textausdeutung, der andere aus dem Geist des Oratoriums heraus. Der vorgebliche Makel der Parodie, der dem „Davide“ bisweilen noch angelastet wird, ist Zeugnis des unseligen Geniekults im späten 19. Jahrhundert; auch Bach und Händel unterlegten alte Werke mit neuen Texten. Anders als die später von Musikwissenschaftlern ergänzte Messe ist der büßende David die einzige von Mozart autorisierte Fassung. Lasst sie erklingen!

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Georg Blüml Albrecht V. Fastenzeit Orlande de Lassus Wolfgang Amadeus Mozart

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