Bis heute beschuldigen die meisten Historiker die Kirche in Frankreich, nicht genügend für die Rettung von Juden getan zu haben. Im Allgemeinen berücksichtigen sie lediglich den Beitrag von sechs Bischöfen, die seit Juli 1942 der Verhaftung von Juden öffentlich widersprachen. Zudem hatte kein einziger Historiker versucht, den Zusammenhang zwischen den Bischöfen in Frankreich, die Juden retteten, und ihrer realen und theologischen Verbindung Pacelli herauszufinden, der 1939 zu Pius XII. wurde.
Pacelli war verantwortlich
Nachdem ich 2014 in den Vatikanischen Archiven Dokumente studiert hatte im Hinblick auf die Verbindungen zwischen Eugenio Pacelli, dem Staatssekretär von Papst Pius XI., und den französischen Bischöfen, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Beziehungen zwischen dem Vatikan und den Bischöfen in Frankreich sogar noch vor 1939 sehr tief waren. Tatsächlich war Pacelli für die Ernennung der meisten von ihnen zum Bischof in Frankreich verantwortlich, und die meisten französischen Bischöfe, die Juden in den Jahren 1940 bis 1944 halfen, wurden dazu vom Vatikan ermuntert. Dieser Artikel und meine Schlussfolgerungen stützen sich auf Primärquellen und Archivdokumente aus Frankreich, Israel und Italien.
Meinen früheren Studien zufolge unterstützten mehr als 55 Bischöfe (von insgesamt 80) jüdische Rettungsaktionen durch die Unterbringung von Juden in Ordenskongregationen, Schulinternaten und freien Schulen. Sie förderten die Initiativen von Priestern und Ordensschwestern bei der Unterbringung von Juden in Gastfamilien, geleiteten sie sicher in die Schweiz oder nach Spanien und statteten sie mit falschen Ausweispapieren und falschen Taufurkunden aus. Die Bischöfe waren über diese lebensrettenden Aktivitäten vollkommen unterrichtet, auch wenn sie nach außen hin Respekt gegenüber dem Vichyregime und seinem Führer, Marschall Philipp Pétain einem Nationalhelden des Ersten Weltkrieges versprachen.
In internen kirchlichen Publikationen gab es keine konkreten allgemeinen Handlungsanleitungen zur Rettung von Juden. Die Retter und ihre kirchlichen Unterstützer passten ihre Vorgehensweise je nach den besonderen und örtlichen Umständen an. Es war ein breit aufgestelltes, aber gut untereinander verknüpftes Rettungsnetz, das durch eine Kombination von Mut und persönlichen Freundschaften ermöglicht wurde.
Öffentlicher Protest, effektive Hilfe im Verborgenen
Angesichts der brutalen Judenverfolgung im Sommer 1942 beteiligten sich sechs Bischöfe und Kardinäle an einer Reihe von öffentlichen Protesten: Bischof Jules-Géraud Saliège (Toulouse) am 23. August 1942, Bischof Théas (Montauban) am 30. August, Kardinal Gerlier (Lyon) und Bischof Delay (Marseille) am 6. September sowie Bischof Moussaron (Albi) und Bischof Vansteenberghe (Bayonne) am 20. September. Sodann gab Bischof Martin von Puy-en-Velay einen Hirtenbrief heraus, in dem der Grundsatz der Nächstenliebe und die Pflicht zu gegenseitiger Hilfe im Hinblick auf verfolgte Menschen – insbesondere Juden – hervorgehoben wurde und der in allen Pfarreien seiner Diözese am Sonntag, den 18. Oktober 1942, von der Kanzel verlesen werden sollte. Andere Bischöfe aus ganz Frankreich protestierten zwar nicht öffentlich, wirkten aber mit, Juden zu helfen. Rettungsaktionen konnten viele Formen annehmen, etwa indem Menschen versteckt oder ihnen bei der Flucht geholfen wurde oder ihnen falsche Identitäten, Lebensmittel und Unterkunft verschafft wurden. Diese Aktionen mussten in äußerster Geheimhaltung durchgeführt werden, da höchste Gefahr bestand, entdeckt zu werden.
Viele der Bischöfe, die sich an den Rettungsaktionen während des Krieges beteiligten, waren seit den dreißiger Jahren der Vatikan-Politik treu geblieben. Nach der vatikanischen Verurteilung der Action Française (einer rechtsextremen monarchistischen Bewegung) im Jahr 1926 fand eine Reihe bedeutender Veränderungen statt. Im darauffolgenden Jahrzehnt wurden 39 Bischöfe ersetzt, wobei 20 Bischofsernennungen von Juli 1936 bis 1939 erfolgten. Sie bestätigten die bischöflichen Ziele von Pius XI., wie etwa die Förderung der Katholischen Aktion, die Bekämpfung des Nationalismus und der Action Française sowie die starke Opposition gegen Nationalsozialismus und Rassismus.
Schon 1937 war klar, wo die Kirche steht sollte
Am 14. März 1937 veröffentlichte Pius XI. seine gegen den Nationalsozialismus gerichtete Enzyklika "Mit brennender Sorge", die die lehrmäßigen Irrtümer des Nationalsozialismus anprangerte. Die Katholiken in Frankreich einschließlich der Bischöfe wurden von dieser Enzyklika stark beeinflusst. Und es ist Kardinal Eugenio Pacelli, der künftige Papst Pius XII., gewesen, der die berühmte Enzyklika von Pius XI. entworfen hatte. Tatsächlich bezeichneten zahlreiche Bischöfe, Priester und katholische Laien, die sich zwischen 1940 und 1944 zur Durchführung der heimlichen Judenrettung entschlossen hatten, diese Enzyklika später als einen Hauptmotivationsfaktor.
Der Bischof von Limoges, Louis Rastouil, widersprach öffentlich den von der Vichy-Regierung ergriffenen Maßnahmen gegen Juden. Er hielt sie für "barbarisch und unmenschlich" und vor allem "den Grundsätzen der Nächstenliebe und gegenseitiger Hilfe der katholischen Kirche entgegengesetzt". Tatsächlich erhielt Bischof Rastouil Unterstützung vom Vatikan und fürchtete sich nicht davor, von seinen Vorgesetzten entlassen zu werden. Außerdem erhielt er vom Vatikan eine finanzielle Unterstützung, um spanischen Flüchtlingen, Juden und anderen in seiner Diözese zu helfen. Es gab ein Projekt in Bezug auf "Päpstliche Hilfe" für in Frankreich wohnende Ausländer, wozu Maßnahmen gehörten, die in der gesamten Region Limousin durchgeführt werden sollten. Verschiedene religiöse Orden wie die "Visiting Sisters of the Parishes", die "Sisters Guard" und die "Damen der Nächstenliebe" handelten gemeinsam mit Verbänden der Vinzenzgemeinschaft, um überall in der gesamten Region Limousin Juden zu retten.
„Der Vatikan sandte etliche Millionen Francs,
um die im Südwesten untergebrachten Juden abzuziehen“
Bischof Charles Challiol von Rodez predigte gemeinsam mit den meisten französischen Bischöfen unter dem Vichyregime Vertrauen und Gehorsam gegenüber Pétain. Dennoch wurden mit seiner Unterstützung mehrere jüdische Kinder in der Abtei Notre-Dame de Bonnecombe in einem von den Franziskanerinnen Unserer Lieben Frau von Saint-Martin-de-Lenne betriebenen Waisenhaus sowie im Konvent La Clause in Réquista einquartiert. Mit Bischof Challiols unbestrittener Unterstützung wurden Juden in den Konventen, religiösen Einrichtungen und Kongregationen der Diözese aufgenommen.
Mehrere jüdische Kinder wurden in den Klöstern von Cougousse (in einem Waisenheim) und Ceignac aufgenommen, und über 80 jüdische Kinder wurden auf Anweisung des Bischofs in dem vom Orden Maria Notre-Dame betriebenen Schulinternat von Notre-Dame de Massip versteckt, am selben Ort, zu dem der Bischof von Toulouse Sali ge Juden hinschickte, damit sie sich dort verstecken konnten. Auf Anfrage der Mitarbeiter der Erzdiözese Toulouse stimmte Schwester Denise Bergon ohne zu zögern zu, einige ausländische und jüdische junge Mädchen aufzunehmen. Einige trafen auf Empfehlung des Bischofs von Auch (Gers) Bischof B guin ein. Der Vatikan sandte etliche Millionen Francs, um die im Südwesten untergebrachten Juden abzuziehen und sie in verschiedene lokale Klöster zu verlegen.
Großangelegt: Rettung jüdischer Kinder
Auch wenn Pétains "Nationale Revolution" in den Augen der Bischöfe der einzige Weg zur Erlösung blieb, trugen sie doch noch immer zur Rettung vieler Juden in ihren Diözesen bei. Humanitäre Beweggründe hatten Vorrang vor religiöser Bekehrung. 1941 sandte der Vatikan zudem eine Million Francs für die Arbeit von Kaplänen in den Internierungslagern im Süden an den Auxiliarbischof von Bischof Saliège von Toulouse, Weihbischof de Courrè ges. Abbé Lagarde und der Jesuit Roger Braun verteilten etwas von dem Geld des Heiligen Stuhls, um den Internierten zu helfen. Das Geld wurde außerdem von der Caritas-Organisation in Luzern in der Schweiz verwendet, die finanzielle Mittel durch den Kaplan in Gurs, Abbé Albert Gross, der die Internierten seelsorgerlich betreute, verteilen ließ. 1942 übersandte Papst Pius XII. eine Million Dollar, um den Internierten auf Bitten von Bischof Marius Besson, dem Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg, zu helfen.
Der 1940 als Erzbischof von Paris eingesetzte Kardinal Französischen Seminars in Rom und lehrte Philosophie in Laval. Nach den Verhaftungen von Juden in Paris (1941 und 1942) erteilte der Kardinal Anweisungen für die Aufnahme vieler jüdischer Kinder. Mehr als 700 jüdische Erwachsene wurden gerettet. Tatsächlich waren viele religiöse Einrichtungen in Paris, wie die Schwestern von der Heimsuchung Mariens, die Schwestern des heiligen Thomas von Villeneuve, die Schwestern des heiligen Vinzenz von Paul, die Schwestern der Orphelins apprentis d Auteil, die Schwestern Unserer Lieben Frau von Sion, die Franziskaner-Missionsschwestern, die Maria-Hilf-Schwestern und die Vinzentinerinnen und auch eine bedeutende Anzahl katholischer Priester und Laien an Rettungsaktionen beteiligt. 1943 begab sich Kardinal Suhard nach Rom, um mit Papst Pius XII. zusammenzukommen. Nach diesen Begegnungen konnten viele Juden Zuflucht in Italien finden. Kardinal Suhard kannte Pacelli vor 1940 sehr gut, und der Vatikan schickte regelmäßig finanzielle Unterstützungen an Kardinal Verdier (1938 1939) und danach an Kardinal Suhard.
Den Mut der Bischöfe, Priester, Nonnen und Laien würdigen
Nun ist tatsächlich die Zeit gekommen, den Mut der Mehrheit der Bischöfe (etwa 55) und weiterer gläubiger Menschen zu würdigen, die eng mit dem Vatikan zusammengearbeitet hatten, um Juden zu schützen und die verschiedenen Rettungsinitiativen während des Holocaust zu unterstützen. Es gibt gesicherte und unwiderlegbare Beweise für die Beziehungen des Vatikan zu diesen Menschen und ihren Aktionen zur Rettung von Juden.
Die Autorin ist Professorin für Geschichte an der Universität von Tel Aviv und der Sorbonne in Paris. Aus dem Englischen übersetzt von -Schmidt.
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