Ernst Jünger

Den Ursprung von allem in der Erscheinung des Lebendigen suchen

Alexander Pschera hat Ernst Jüngers Naturbetrachtungen in einem Band verdichtet.
Waldgang in Wilflingen
Foto: Felix Kästle (dpa) | Der Schriftsteller Ernst Jünger - hier eine Büste aus dem Jünger-Haus in Wilflingen - hat sich schon früh im Leben mit der Natur beschäftigt, sich der Schöpfung zugewandt und seine Gedanken dazu zu Papier gebracht.

Ist es Leichenfledderei, wenn der Verlag Klett-Cotta, der die Gesamtausgabe der Werke Ernst Jüngers (1895–1998) betreut, einen Auszugsband mit des Schriftstellers Naturbetrachtungen – destilliert aus dem ganzen Oeuvre – herausbringt? So kann man denken, denn hier werden ohne den Kontext Beobachtungen und Reflexionen präsentiert, als Reigen, der so nicht dem Rang des Autors gerecht werden kann. Zwei Gründe lassen wieder Abstand nehmen von dieser Sicht: Natur, das Kreatürliche, ist das eigentliche Hauptthema des Schriftstellers, mitnichten der Krieg und das Kämpfen. Sodann ist Herausgeber Alexander Pschera wahrlich Jüngers Jünger, der aus intimer Kenntnis des Werkes schöpft und sinnvolle Einheiten schafft, so dass echter Erkenntnisgewinn möglich wird. Pschera: „Es gibt kaum eine Seite in Jüngers Werk, in der nicht von Pflanzen, Tieren, Steinen, Fossilien und Landschaften die Rede ist.“

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Ein Waldgang liefert Stoff für Naturphilosophie

Jüngers Leben war ein kontinuierlicher Dialog mit der Schöpfung. Das mache ihn „zu einem der wichtigsten modernen deutschsprachigen Vertreter dessen, was heute als ,nature writing‘ bezeichnet wird“. Schon beim frühen Jünger, dem Krieger, finden sich unvermittelt neben der Schlachten-Schilderung Beobachtungen zu fossilen Strukturen an der Schützengrabenwand. Die Neugier und Entdeckungslust rühren aus der Jugend, den gemeinsam mit Bruder Friedrich Georg unternommenen Exkursionen am Steinhuder Meer, für die gelegentlich auch ein Schultag herhalten musste. „Der abenteuerliche Impuls kam nie zum Erliegen“, sagt Pschera und präsentiert Funde aus Jüngers Werk, die dessen lebenslange Reiselust bezeugen, die ihn, auch noch im Alter, in fast alle Ecken der Welt führten, wo er der Augen- und Sammellust Nahrung zuführte. Ein schlichter Waldgang liefert Stoff für eine Naturphilosophie: „Die Unzahl der Welten, und die Unzahl der Erscheinungen in jeder, leben auf Kosten der Substanz, doch zehren sie kaum daran. Das Sein bleibt stets das Gleiche, wie viel Erscheinung sich auch davon abzweige.“ Dazu gehört auch eine frühe Erkenntnis zum Umweltschutz: „Wenn ich mich morgens rasiere und den Schaum durch den Ausguss fließen sehe, muss ich an meine Mitschuld an der Verschmutzung der Gewässer denken: so beginnt der Tag.“

Doch gegen trübe Stimmung hilft das Draußen-Sein: „War nicht in bester Stimmung seit Mittag, aber der Wald hellt auf.“ Das Mitleben in und mit der Natur, der ständige Wechsel dort ist Sinnbild der Lebens-Aufgabe: „Ich dachte an Hans im Glück, den ich als Typus dessen ansehe, der mit dem Pfunde nicht gewuchert hat. Man sollte im Gegenteil das Geschenk, das man erhalten hat, im Wechsel seiner Jahre umtauschen, läutern und verdichten bis auf das pure Gold. Das müsste man dann für den letzten Umtausch bei sich tragen – als Eingangszoll vor jener Pforte, hinter der die Quelle der Werte entspringt.“ Es berührt, wie der Schriftsteller sich immer wieder seines 1944 gefallenen Sohnes erinnert, an seinem Geburtstag einen Strauß Primeln für ihn pflückt: „Gerade an einem schönen Tag wie diesem wächst an den Gräbern das Gefühl der Schuld, in der wir bei den Toten stehen. Sie haben uns etwas voraus, haben eine Leistung vollbracht, die kein Opferdienst aufwiegt, wie lange er auch währen mag.“ Auch die Herbst-Stimmung gibt Gelegenheit zu deutenden Worten: „Ein Abschiedsfest zwischen den Zeiten, das Leben zieht sich aus der Erscheinung zurück... Wie ist es zu deuten? Zieht das Leben im Abendrot die Wimpel ein, oder kündet der Tod sich majestätisch an, und die Schöpfung trägt seine Livree?... Hölderlin sagt, der Gott sei nun ferne und zu frommen Völkern, die ihn noch ehren, hinweggegangen. Die findet man heut auf keiner Landkarte.“

Der Tod war für Jünger nur ein Übergang

Seit jungen Jahren zog es Jünger zum Mittelmeer, das er als die Wiege der Zivilisation sah. „Das Mittelmeer ist eine große Heimat, ein altes Zuhaus... Ob es im Kosmos auch Mittelmeere gibt?“ In des Südens hellem Licht reifte auch weniger Tiefgründiges, wenngleich Treffendes: „Ich klopfte dem Eselchen noch einmal den Rücken und wünschte ihm, dass es durch die Motorpumpe nicht zu bald erlöst würde. Es passt viel besser in den Garten, den es durch seine Rundgänge erhält. Und ist es letzten Endes nicht viel sparsamer? Es braucht weder Öl noch Benzin, nährt sich von Bohnenstroh und Disteln und düngt noch die Beete dazu. Und vor allem hat man noch keinen Motor erfunden, der kleine Motoren bekommt.“

Auffallend, wie oft Jünger in den Zitaten, die Jahrzehnte abdecken, um das Christliche kreist, sich ihm immer mehr annähert. Die alljährliche Frühlingsfahrt führte ihn zu südlichen Zielen, es konnte Frankreich, Italien oder Griechenland sein, wo er die Wärme, dann aber auch einen schattigen Ort im Grünen suchte:„Die Orte verschwimmen, doch nur, um sich zum Bild zu festigen. Wir suchen in ihrem Wechsel auch nicht die Gärten, sondern allein DEN Garten, den Hort der großen festlichen Zeit. Ihm können wir uns nur im Bild nähern.“ Das sinnlich Wahrnehmbare in der Natur ist Gleichnis dafür: „Die Kristalle sind Säume um einen unsichtbaren Kern. Die Harmonien und Maße, die uns daran entzücken, sind Übersetzungen in das Sichtbare.“ Der Tod wird zum Übergang. Als er wieder den Sterbetag des Sohnes begeht, fällt ihm auf: „Ich sehe beim Überlesen, dass ich mich verschrieb. Aber der Todestag mag auch Geburtstag sein. Dann sollten wir die Zeichen ändern, das Kreuz am Anfang, der Stern am Schluss.“ Ein Kater, der ihm im schwäbischen Domizil lieb geworden war, verabschiedete sich langsam vom Leben. Der Schriftsteller bereitete ihm ein veritables Grab unter dem Lieblingsbaum. Jünger war sicher: „Idris kommt eher in den Himmel als wir – kein Umweg über die Erbsünde.“

Vielleicht führte ihn die Naturliebe zum Glauben

Diese vielfachen Andeutungen bestärken Herausgeber Pschera in seiner Meinung, die Konversion Jüngers zum Katholizismus kurz vor seinem Tod sei kein Zufall gewesen oder nur eine Verbeugung vor der katholischen Kultur seiner Dorfgemeinschaft. „Jünger kam sicher nicht über den Katechismus zum Christentum. Aber es ist gut möglich, dass seine allumfassende, mehr als hundertjährige Naturliebe ihm einen Weg aufzeigte, den Ursprung all dessen zu bekräftigen, dem er sein Leben lang staunend gegenübergestanden war.“ Gerade als Einstieg in Jüngers Denken ist der sorgfältig edierte und schön illustrierte Band gut geeignet, er wird aber auch dem Jünger-Kenner Neues bieten. Überhaupt unterschätze man den mit 102 Jahren Gestorbenen nicht. Erst kürzlich tauchte in einem Belgrader Archiv eine Jünger-Äußerung von 1934 auf, die bereits zu diesem frühen Zeitpunkt die klare Distanz zum NS-Regime erkennen lässt. Sein innerer Werdegang – das ,Weben‘, wie Jünger das nannte – lässt sich in dieser Anthologie gut verfolgen.


Ernst Jünger: Geheime Feste – Naturbetrachtungen. Hrsg. von Alexander Pschera,
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart, 2020, 280 Seiten, ISBN 978-3-608-96472-1, EUR 25,–

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