Den Glauben auf Tour bringen

Eine Messe ohne Worte auf der Frühjahrstournee „Credo“ der Jungen Deutschen Philharmonie. Von Barbara Stühlmeyer
Komponist Jörg Widmann
Foto: dpa | Setzt sich musikalisch mit Heiligem auseinander: Jörg Widmann.
Komponist Jörg Widmann
Foto: dpa | Setzt sich musikalisch mit Heiligem auseinander: Jörg Widmann.

Kann man so glauben, dass dies am eigenen Tun ablesbar wird? Jörg Widmann ist davon überzeugt. Und deshalb hat der Komponist seine „Messe für großes Orchester“ ohne Text konzipiert. Der steht zwar in der Partitur, gesungen wird er jedoch nicht. Wohl aber mitgedacht, mitgespielt und vor allem miterlebt. Denn sonst würde das Konzept des Tonkünstlers nicht aufgehen.

„Jeder Musiker ,singt‘ auf seinem Instrument den jeweiligen Messetext“, sagt Widmann über seine Konzeption. Dieses singen ist in seiner Grundhaltung identisch mit dem, was Benedikt von Nursia in seiner Regel fordert, dass nämlich der Geist mit der Stimme, in diesem Fall dem Instrument, in Einklang sein möge. Damit dies gelingt, müssen die Musikerinnen und Musiker sich in einer ganz neuen Weise mit den Texten und der Musik, die ihr Klanggewand ist, auseinandersetzen. „Die Musiker selbst sind die Protagonisten: Soli, Chor und Orchester in einem“, sagt der Komponist. Was Widmann kreiert hat, ist eine neue Form der Messkomposition, bei der das Orchester alle Rollen einer traditionellen Vertonung des Ordinariums übernimmt. Dass er die Messe dabei wirklich auf neue Weise in die Welt tragen will, wird auch daran deutlich, dass er in der Partitur keinen Orgelpart vorgesehen hat. Dennoch klingt das Orchester an einigen Stellen genau so, als ob die Königin der Instrumente selbst mitspielen würde. Wie in einem Brennglas zeigt Widmanns Messe: Kirche sein realisiert sich in der Welt. Aber nicht durch weltliches Tun, sondern durch die Verinnerlichung und Verkörperung des Glaubens, die durch das sich hineinspielen in die Grundvollzüge der zentralen Feierform möglich wird.

Seine Idee ist nicht nur von musikwissenschaftlichem, sondern auch von pastoraltheologischem Interesse. Hier geht es offenkundig nicht um ein unverbindliches, unterhaltsames Event, sondern vielmehr um essenzielles Eintauchen in ein Mysterium, dessen Sinntiefen dann ohne Worte vermittelt werden können. Die klanglichen Eindrücke der „Messe für großes Orchester“, die man auf YouTube nachhören kann, zeigen deutlich, dass das Wagnis gelingt. Die Musiker bringen das Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und Agnus Dei mit großem Ernst und innerer Anteilnahme zum klingen. Dies ist kein unverbindliches Abspielen durch zu häufige Wiederholung belanglos gewordener Inhalte, sondern vielmehr das Ergebnis eines transformativen Prozesses, einer intensiven Auseinandersetzung mit den Inhalten der Kerngesänge der Eucharistiefeier. Dies zu realisieren, ist mehr ein als rein technischer Übungsprozess. Denn der Glaube muss wirklich gelebt werden, damit er in der Haltung des Körpers, der Stimme, oder der Töne der Instrumente Spuren hinterlässt.

Dass Widmann und die Junge Deutsche Philharmonie sich dieser Herausforderung stellen zeigt auch: Glauben ist „in“. Denn sonst hätten die Musiker ihre Frühjahrstournee nicht unter das Motto „Credo“ gestellt. Der Glauben, um den es in den Konzerten ging, die jetzt in mehreren Städten zu hören waren, hat viele Facetten. Im Kern aber fokussieren sich die Musiker bei dem Projekt darauf, dem Credo eine Stimme zu geben, sich den Glauben zu eigen zu machen. Dass dabei die „Messe für großes Orchester“ von Jörg Widmann im Zentrum steht macht deutlich, dass die jungen Tonkünstler besser als manch ein Kirchenvertreter verstanden haben, dass der Fokus des Glaubens nicht auf äußeren Aktivitäten, sondern auf der Feier der Eucharistie liegt. Ein außerordentliches Zeichen. Denn die Messe ist in den letzten Jahrzehnten nur selten vertont worden. Das, was für Tonsetzer früherer Zeiten die zentrale Gattung war, jene Herausforderung, bei der sie, wie man so sagt, alles gaben, ist für viele zeitgenössische Komponisten eine ferne, fremde Welt.

Nicht so für Widmann. Er setzt mit seiner Messe genau diese Welt gegenwärtig. Das Aggiornamento, das er der Form verordnet hat, setzt im Grundsätzlichen an. Denn tatsächlich motiviert Widmann die Musiker, deren Sinn so zu verinnerlichen, dass sie auf andere Weise, eben instrumental erklingen. Den musikalischen Rahmen für Widmanns „Messe für großes Orchester“ bilden zwei Werke, die beispielhaft die Wege verdeutlichen, auf denen die Ausein-andersetzung mit dem Heiligen gelingen kann. Da ist zunächst das Andante aus der Klarinettensonate von Felix Mendelssohn Bartholdy, das Widmann 2016 für die Besetzung mit Klarinette, Streichorchester, Harfe und Celesta bearbeitet hat. Der ruhige Satz ist, so Widmann, zwar keine Kirchenmusik, repräsentiert aber durch seinen musikalischen Ausdruck die Sphäre des Sakralen, die sich auch in seiner Besetzung widerspiegelt. Als Solokonzert steht dieses Werk zugleich für das singend und spielend vor Gott stehen. Den Abschluss der Konzertreihe bildete die zweite Sinfonie in C-Dur von Robert Schumann. Sie repräsentiert die Auseinandersetzung mit physischen und psychischen Belastungssituationen, wie sie Robert Schumann intensiv erlebt und im Verlauf der Komposition seiner Sinfonie bewältigt hat.

Und auch die Botschaft dieses Werkes ist klar: Wer glaubt, ist nie allein und das sich einschwingen und mitklingen im Geheimnis des Glaubens hat aufschließende, sinnstiftende und heilende Wirkung.

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