„Deiner Seele bin ich Aufbruch“

Gertrud von le Fort – unterwegs in ihren physischen und metaphysischen Räumen bei einer Tagung in Paderborn. Von Laetitia Mayr
Gertrud von le Fort, aufgenommen 1951
Foto: IN | Gertrud von le Fort, aufgenommen 1951.

Die „Gertrud von le Fort-Gesellschaft“ unter der Leitung von Elisabeth Münzebrock möchte die bis in die 1970er Jahre als Bestsellerautorin weithin bekannte und viel übersetzte Dichterin Gertrud von le Fort (1876–1971) aufs Neue bekannt machen. Unterstützt werden diese Bemühungen durch eine gewisse editorische Renaissance le Forts: Mittlerweile sind ihre zentralen Erzählungen wieder neu erhältlich: Das Gertrud von le Fort-Lesebuch (Echter Verlag, 3. Aufl. 2018), die berühmten „Hymnen an die Kirche“ (Echter Verlag 2014) und „Der Papst aus dem Ghetto“ (Echter Verlag 2017). Mit Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz und Gudrun Trausmuth legten zwei Vorstandsmitglieder der „Gertrud von le Fort-Gesellschaft“ kürzlich le Forts Doppelroman „Das Schweißtuch der Veronika“ neu auf (Band 3 und Band 4 der „Kleinen Bibliothek des Abendlandes“, be&be Verlag Heiligenkreuz 2018).

Unter dem Titel „… durch alle Stockwerke des Seins. Zu Gertrud von le Forts Verortung des Daseins“ lud die Literaturgesellschaft kürzlich zur offenen Jahrestagung nach Paderborn.

Le Fort beklagte das Wegstreben vom Heiligen

Um geistige, geistliche und physische Räume geht es in le Forts Erzählung „Die Consolata“, der sich P. Alkuin Schachenmayr OCist, Kirchenhistoriker und Vizerektor der philosophisch-theologischen Hochschule Benedikt XVI. in Heiligenkreuz, zuwandte. Schachenmayr schloss den narrativen Raum der Stadt Padua im 13. Jahrhundert auf, wo die Tyrannis des Ansedio zur Kirchenstrafe des Interdikts geführt hatte. Der päpstliche Gesandte Filippo Fontana soll „die Wiederherstellung der ordentlichen Sakramentenspendung“, welche durch die Kirchenstrafe des Interdikts verhindert sei, vorantreiben – doch noch immer steht die Stadt unter dem Bann des Gewaltherrschers. In dieser 1943 verfassten Erzählung, die – so P. Alkuin Schachenmayr – sofort als „Voraussage der Verelendung Adolf Hitlers erkennbar“ sei, komme der Bruderschaft der Consolata entscheidende Bedeutung zu. Diese sei eine Laiengruppierung in der Nachfolge des heiligen Franz von Assisi; von ihr „lernt der Legat die Sendung des Trösters, des Friedensstifters, der jenseits politischer Lagerbildungen frei handeln muss, und zwar im Auftrag Christi, der nicht die Sieger, sondern die Sünder liebt“. Schachenmayr stellte le Forts franziskanische Erzählung in den Kontext der Franziskusrezeption durch Paul Sabatier, durch die der Poverello zum „Repräsentanten der Dissonanz, Subversion und Randpositionen“ geworden sei. Einen besonderen Fokus legte der Kirchenhistoriker auf das Psalmieren, das in le Forts Erzählung dramatisch ein späteres Wort der Dichterin bezeugt, wonach „das Gebet das größte Vermögen des Menschen“ sei.

Die Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz spannte in ihren Ausführungen über „Physische und metaphysische Räume“ bei Gertrud von le Fort den Bogen von den konkreten biographischen Räumen im Leben der Dichterin hin zu den Räumen ihrer Dichtungen, wo sich in ungeheurer Raumausspannung – wie Gerl-Falkovitz formulierte – „ein Europa“ vor uns auftue. Anhand zentraler Szenen aus le Forts Veronika-Roman zeigte Gerl-Falkovitz, wie physische Landschaften bei le Fort verlassen werden und sich „zur metaphysischen Bühne weiten“: so etwa bei der Trauermette in St. Peter im Veronika-Roman, wo der Petersdom zum „Weltort“ werde, wo das Leiden Gottes stellvertretend ausgetragen werde. Das Auftun metaphysischer Räume zeigte Gerl-Falkovitz auch in le Forts ab 1918 komponierten „Hymnen an Deutschland“ sowie in den 1924 erschienenen „Hymnen an die Kirche“. Le Fort, so Gerl-Falkovitz, sei „im Gegengewicht“ zu den Zeitgenossen, die, bei zugleich betonter menschlicher Autonomie, Sinnlosigkeit, Tod, Nihilismus und Geworfenheit der Existenz verkündeten. Le Fort beklage in ihrer Lyrik die metaphysische Verlassenheit und das willentliche Wegstreben vom Heiligen: „Zerstörtes Antlitz, vom Hauche des Abfalls unkenntlich gewordenes!“ Ebenso greife die Dichterin, so Gerl-Falkovitz, gleichsam „osmotisch“ zeitgenössische Strömungen auch in den später verfassten „Hymnen an die Kirche“ auf: Die Stimme der Kirche sei hier eine unersetzliche Stimme gegen jene des Nihilismus. In Reaktion auf Heidegger, Nietzsche oder Freud schließe le Fort einen Gegenraum zum Diesseits auf. Wenn es in le Forts „Hymnen an die Kirche“ heißt „Aber Deiner Seele bin ich Aufbruch und Heimweg“, so werde hier ganz ausdrücklich Drüben und Jenseits „gegen alle Religionskritik der Vertröstung“ als Trost gefeiert und angerufen.

Europa hat Guardini kulturell verstanden

Der Regensburger Fundamentaltheologe Alfons Knoll begann seinen Vortrag über „Die Verortung christlicher Weltanschauung bei Romano Guardini“ mit einem Überblick über die physischen Räume, die das Leben des Religionsphilosophen prägten. Den geographischen Raum Europa habe der zutiefst kulturell verwurzelte Guardini so erklärt: „Dostojewski im Osten, Pascal im Westen, Hölderlin in Deutschland, Kierkegaard im Norden, Dante im Süden.“ Für Guardini sei der Raum der Liturgie, verstanden als Darstellung einer Wirklichkeit, wesentlich gewesen, so Alfons Knoll. Guardini beschrieb sich selbst auf der Suche nach einer Mystik, in welcher „die Innigkeit des Geheimnisses mit der Größe der objektiven Gestalten verbunden sei. In Beuron und seiner Liturgie habe ich sie gefunden“. Wie Knoll darlegte, hatte diese Entdeckung weitreichende Folgen – bis hin zu Guardinis Klassiker „Vom Geist der Liturgie“ und dem Text „Von heiligen Zeichen“. Vom liturgischen Raum zum Daseinsraum und schließlich zum „Raum der Person“ weiterschreitend, führte Knoll aus, dass Guardini sich durch ein Ernstnehmen des neuzeitlichen Weltbildes und der „nachneuzeitlichen Existenz reiner Endlichkeit“ auszeichne. Der Daseinsraum drohe zu einem Gefängnis zu werden, aus dem es kein Entrinnen gebe; nur weil Guardini sich diesem Denken stelle, dringe er zu einem christlichen Denken der Person vor, das den Daseinsraum weiterhin auf Gott hin öffnen könne.

Dem kürzlich neu aufgelegten Roman „Das Schweißtuch der Veronika“ wandte sich die Wiener Germanistin Gudrun Trausmuth zu. Im Rom-Roman le Forts gebe es eine Vorgeordnetheit des hochgradig symbolisch aufgeladenen Raums gegenüber den Protagonisten, von denen jeder ein anderes Rom erleben und bestehen müsse. Der Akzent aber liege auf dem Rom der Kirche, in dem die junge Veronika das Antlitz Christi entdecke. In der Darstellung sakraler Räume als Räume der Liturgie eröffne le Fort erzählend ein präzises „Panorama des Katholischen“, so Trausmuth, die den Roman „Der römische Brunnen“ auch als literarischen Begleiter einer Romreise empfahl. Gudrun Trausmuth vertrat die These, dass „Der römische Brunnen“ subtil von lyrischen und narrativen Motiven der deutschen Romantik durchwoben sei; diese würden von le Fort im zweiten Band, „Der Kranz der Engel“, welcher im Heidelberg zwischen den beiden Weltkriegen spiele, expliziert und im Hinblick auf das Schicksal des Paares Veronika und Enzio sowie in Bezug auf das Schicksal Deutschlands weiterentwickelt.

Der während der Paderborner Tagung als Abendprogramm vorgeführte Film „Ein Schweigen vom Himmel“ (Horst Dallmayr, 1968) greift in einer aufwendigen fernsehspielartigen Inszenierung le Forts Galilei-Novelle „Am Tor des Himmels“ (1956) auf, schafft allerdings nicht die tiefgehende Reflexion auf das Verhältnis von Glaube und Wissenschaft, die sich im literarischen Text wesentlich der in die Zeit des Zweiten Weltkriegs platzierten Rahmenhandlung verdankt. „Zwei Geistesräume bebten ausein-ander“ formulierte le Fort in Bezug auf die dramatische Entwicklung, die das Verhältnis Glauben und Wissenschaft durch den Fall Galilei (aus heutiger Kenntnis müssen wir ergänzen: und seine historisch nicht korrekte Funktionalisierung) genommen hat.

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