Bundestagswahl

Bräsig bestimmt der programmatische Gleichklang den Wahlkampf

Ein Bundestagswahlkampf wie eine Nullrunde: Drei blasse Kandidaten kämpfen ums Kanzleramt. Momentan liegt die SPD mit ihrem Kandidaten vorne. Und alle fragen sich: Warum bloß?
Olaf Scholz und die SPD liegen in der Gunst der Wähler vorne
Foto: dpa | Trotz seiner erkennbar großen Schwächen ist er nach Auskunft der Demoskopie inzwischen sehr populär: SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat mit seinem Erfolg für die große Wahlkampf-Überraschung gesorgt.

Es ist nicht leicht, diesmal eine Wahlentscheidung zu treffen. Die vergangenen drei Male drehte sich die Bundestagswahl um Kanzlerin Merkel, die uns wie zu Helmut Kohls Zeiten bräsige Kontinuität verhieß, während sich nachrangige Spitzenkandidaten der Mitbewerber vergebens durch den Wahlkampf mühten. Diesmal aber haben sich alle Parteien entschieden, insbesondere bei ihren Kanzlerkandidaten gleich gänzlich auf Strahlkraft und Begeisterungsfähigkeit zu verzichten und im programmatischen Gleichklang von Steuern-rauf-Steuern-runter-und-alles-fürs-Klima in Richtung Wahlabend zu marschieren.

Und so ist derzeit nur eines gewiss: dass nämlich niemand weiß, wer am 26. September das Rennen macht und ins Kanzleramt einzieht. Womöglich wissen wir es nicht einmal nach einer wahrscheinlich hitzigen Wahlnacht. Formulieren wir es wohlwollend: Gerade weil Deutschland im Geiste von Vielfalt und Parität auf die Unbegabten setzt, wird die Bundestagswahl endlich wieder spannend und überraschend.

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Baerbock hat sich selbst demontiert

Nachdem die Knuffelkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, keinen Anfängerfehler ausgelassen und sich innerhalb weniger Wochen in die Bedeutungslosigkeit geplappert hat und der Unions-Frontmann Armin Laschet in der heißen Phase des Wahlkampfs zu maximaler Konturlosigkeit auflief, gilt nun der Spitzenkandidat Olaf Scholz und seine seit Jahren verlachte SPD als Favorit in der Schlussgeraden. Erinnern wir uns: Als der Bundesfinanzminister und Vizekanzler 2019 in Zeitungsinterviews seinen Kanzlerwunsch anmeldete, schallte ihm einmütiges Gelächter des Publikums entgegen. Ende desselben Jahres sagte Norbert Walter-Borjans, noch ehe er zum Co-Chef der SPD gewählt wurde, er glaube nicht, „dass wir im Augenblick an dieser Stelle sind, einen Kanzlerkandidaten aufzustellen“.

Die Sozialdemokraten dümpelten damals verlässlich um die 15 Prozent, heute misst das Politbarometer 25 Prozent. Die CDU von Armin Laschet stolpert bei historischen 22 Prozent und die Grünen dank Annalena Baerbock bei 16 Prozent. Sogar der britische „Economist“ titelte mit lyrischem Furor: „What a time to be Olaf“ – Was für eine Zeit, Olaf zu sein. Uns Olaf. Tatsächlich sagt der Höhenflug des Olaf Scholz, von dem sich der Kandidat auf Befragung mit regloser Miene als „tief berührt“ bekennt, viel mehr über seine Zeit aus als über seine Person. In der „New York Times“ belustigt sich der frühere US-Botschafter in Berlin, John Kornblum, über Scholz und nennt ihn den „langweiligsten Typen bei der Wahl – vielleicht im ganzen Land“. Selbst „Wasser beim Kochen zuzusehen, sei interessanter“, beschreibt „Bild“ sein Fazit.

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Es ist ein Zeichen der Zeit, dass Scholz Kandidat ist

Was ist das für eine Zeit, in der ein Olaf Scholz dem Kanzleramt naherücken kann? Es ist eine Phase der Übersättigung und des Überflusses, eine Zeit, in der kaum noch etwas wichtig scheint und deshalb jede Belanglosigkeit bedeutsam aufgeschäumt wird. Deutschland ist dermaßen feist, dass es wochenlang seine Wirtschaft stilllegen kann, ohne dass die Straßen von Verelendeten gesäumt sind oder gar ernstzunehmende soziale Unruhen ausbrechen. Die SPD kann ihren Wahlkampf mit dem Nonsens-Schlagwort „Respekt“ bestreiten, in den Medien wird mündlich und schriftlich gegendert, um auch die letzten Igel in der Hecke zufriedenzustellen. In Qualitätszeitungen erscheinen Artikel über das Für und Wider von Seitenscheiteln und darüber, dass in den USA neuerdings Prominente auf die tägliche Dusche verzichten. Ach ja, und eine Studie aus zehn Ländern mit 10.000 Teilnehmern habe ergeben, dass 60 Prozent der 16- bis 25-Jährigen massive Zukunftsängste hätten. Angeblich wegen der drohenden Erderhitzung, aber vielleicht hängt es doch eher mit dem Duschen und den Seitenscheiteln zusammen?

Es ist eine Zeit, in der erwachsene Menschen verkindlichen, einander allseitig duzen, Koseworte wie „Lieblingsmensch“ kreieren und sich wie ihre eigenen Kindern in denselben Billigklamotten-Ketten einkleiden. Der 50-Jährige im Kapuzenpulli steht sinnbildlich für dieses tätowierte Hipster-Deutschland, in dem mangelnder Stil durch Pose und fehlende Bildung durch Nachrichten-Apps kompensiert werden. Dass Kostgänger der politischen Elite in Doktorarbeiten und Sachbuch-Versuchen des Plagiats überführt werden, zeigt auf, dass, wenn das Denken holpert, die Sprache ebenfalls strauchelt. Kein Wunder auch, dass in dieser Welt des materiell ambitionierten Unernstes selbst Gottesdienste mitunter wie Spielenachmittage daherkommen, weil eben doch nicht der heilige Unernst herrscht, nämlich eine Heiterkeit der Fülle des Seins, die sich erst dann wirksam entladen kann, wenn wir die Schwerkraft des Faktischen überwinden und dem Himmel des Möglichen entgegeneilen. Stattdessen ist Religion wahlweise zu einer Märchenstunde verkürzt oder zur Brutstätte von Gewalt, Unterdrückung und sexuellem Missbrauch. Die religiöse Option im Wortsinne einer Rückbindung ans Wesentliche und damit einer Befreiung über unser menschliches Engsein hinaus, scheint nurmehr als ein fernes Echo vergangener Epochen. Geltung hat heute nur das Menschenmögliche, sonst nichts.

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Wirecard, Cum-Ex, Geldwäscheversagen - Skandale, die egal scheinen

Sehen wir uns nur an, wie Scholz, der in unserer Zeit ein Olaf ist, an dem die drei Finanzskandale um Wirecard, Cum-Ex und die Anti-Geldwäschebehörde Financial Intelligence Unit (FIU) einfach abperlen, wie dieser Kandidat also gegenüber der „Katholischen Nachrichten-Agentur“ sein christliches Selbstverständnis beschreibt.

Scholz, vor ein paar Jahren aus der evangelischen Kirche ausgetreten, wäre mithin der erste konfessionslose Regierungschef in Deutschland. Sein prosaisches Bekenntnis entbehrt jeden Anflugs von Spiritualität, er bewegt sich in den Floskelzonen kirchlicher Tarifpartner mit dem Glauben als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. „Deutschland“, sagt Scholz und das ist in unserem islam-euphorischen Zeitgeist bereits ein kühnes Wort, „ist von der christlichen Kultur geprägt.“

„Da wirkt Scholzens Behauptung,
wonach die Kirche ihm ein Wertegerüst mitgegeben habe,
beinahe wie Gotteslästerung.“

 

Für Scholz sei es „wichtig, dass wir uns auch künftig auf das große Engagement vieler Christen und Christinnen stützen können, sei es in der Gemeindearbeit oder in der sozialen Arbeit in Kitas oder Krankenhäusern.“ Und so weiter: „wichtige Arbeit erhalten“, „christliche Prägung wertschätzen“, „ob Solidarität oder christliche Nächstenliebe – kein Unterschied“, „beruflich vom christlichen Arbeitsethos beeinflusst“. Dieser triste Horizont eines Sozialdemokraten, der „die traditionelle Ehe und Familie“ deshalb schätzt, weil er „seit vielen Jahren verheiratet und das sehr gerne“ ist, verfällt in eine konsequente Sprachlosigkeit, sobald vom Ende dieser Art des aufs Sichtbare fixierte Dasein die Rede ist. Befragt nach dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben antwortet Scholz: „Wir dürfen die Tür nicht zuschlagen, die das Bundesverfassungsgericht für die eigene freie Entscheidung am Lebensende geöffnet hat. Der Bundestag sollte den Weg, den das Verfassungsgericht eröffnet hat, so ausgestalten, dass er für Menschen, die selbstbestimmt sterben wollen, auch funktioniert.“ Der Staat als Souffleur gestammelter Antworten für orientierungslose Fragesteller. Da wirkt Scholzens Behauptung, wonach die Kirche ihm ein Wertegerüst mitgegeben habe, beinahe wie Gotteslästerung.

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Das waren noch Zeiten, als ein katholischer Sozialdemokrat wie Wolfgang Thierse auf einem Kirchentag jungen Menschen die Füße wusch, während sein Parteifreund und Glaubensbruder Wolfgang Clement nebenan für den Import embryonaler Stammzellen plädierte – und ein glaubensfester Franz Müntefering später sein Amt als Parteivorsitzender mit der Schönheit des Bischofsamtes in Rom verglich.

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Scholz würde ein Kanzler, den die Deutschen nicht wollen

Ein Olaf zu sein, bedeutet in heutiger Zeit ein Maximum an Verschwommenheit. Aber offensichtlich finden die Deutschen im Ungefähren ihre innere Stabilität und Mitte. Deshalb ist der Showdown zwischen Scholz und Laschet ein Duell der Beschwichtigung und des Weiter so. „Welt“-Herausgeber Stefan Aust sieht mit SPD, CDU und Grünen „drei mehr oder weniger sozialdemokratische Parteien“ in Stellung, die „sehr ähnliche Wahlprogramme verkünden“. Der Publizist Roland Tichy spricht von den drei Kandidaten als einer „Dreifaltigkeit der Inkompetenz“. Und die „Zeit“-Autorin Jana Hensel stellt fest: „Die Deutschen wählen einen Kanzler, den sie nicht wollten.“

Vielleicht muss sich dieses Land nach 16 Jahren Merkel erst einmal erholen und wir müssen diese Bundestagswahl als eine Art Nullrunde verbuchen. Vielleicht werden wirkliche Weichen erst in vier Jahren gestellt.

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