Eines der schönsten Bücher über Gärten stammt von Rudolf Borchardt. „Der leidenschaftliche Gärtner“ beginnt mit einem Capriccio über die Vertreibung aus dem Paradies. In einer merkwürdigen Mischung aus Spiel und Ernst zeichnet Borchardt das Bild des menschlichen Schicksals. Wie es seinen Anfang in den Mauern eines Gartens nimmt, um schließlich seine Vollendung unter den Türmen des himmlischen Jerusalem zu erlangen. Fast könnte man meinen, es sei Spott, was auf diesen ersten Seiten des Buches durchklingt. Doch wahrscheinlich ist es Scheu. Auch wir scheuen uns, den Garten des Paradieses zu beschreiben, und so beginnen wir mit einem irdischen Beispiel. Einem Beispiel aus Italien.
Wenn man von Norden her kommt, weichen hinter Gargnano am Westufer des Gardasees die Alpenausläufer etwas zurück und machen Platz für Dörfer und Olivenhaine, die sich bis unter die Kuppe des Monte Pizzocolo erstrecken. Zwischen Fornico und Cecina führt dort die Via Mornaga zwischen hohen, engstehenden Mauern durch eine ehemalige Einsiedelei. Der Brunnen an der Mauerecke, wo früher Esel und Maultiere getränkt wurden, ist heute trocken. Doch gegenüber in der Nische in der dicken grauen Wand stehen frische Blumen vor dem Heiligenbild. Neben der Muttergottes ist der heilige Sebastian zu sehen, der als Schutzpatron der Brunnen gilt. Weitere Figuren sind nur noch schlecht zu erkennen. Jemand hat mit neuer Farbe die Jahreszahl 1498 über das Bild geschrieben. Wer das war und ob das Fresko wirklich so alt ist, kann keiner der Nachbarn sagen. Doch wer den Garten angelegt hat, der gegenüber dem Heiligenbild hinter der Mauer liegt, das weiß jeder in der Umgebung. Das war eine Frau. Vielleicht treffen wir sie, wenn wir ihn durchwandert haben.
Das Tor steht offen. Lorbeerbäume bilden mit ihren Ästen ein geschlossenes Dach über der steilen, mit Seekieseln gepflasterten Auffahrt. Ihnen zur Seite stehen vier Zypressen. Sie halten Wache vor dem Haus und die beiden höchsten überragen noch den Dachfirst, obwohl sie weit unterhalb des Fundaments stehen. Vor dem Kellereingang muss man den Kopf in den Nacken legen, um das Gebäude sehen zu können. Eng schmiegt es sich an den Berg. Noch vor vierzig Jahren war es halb verfallen und hatte auch ein Stockwerk weniger. Heute ist es mit seinen Balkonen und Vordächern ein poetisches und verwinkeltes kleines Gebilde, wie das Rankenwerk einer Groteske. Es scheint fast unmöglich, all die Fluchten und Bilder zu zählen, die sich ergeben, wenn man irgendwo auf einer Treppe oder vor einer kleinen Tür stehenbleibt. Besonders schön ist der Ausblick von der Bibliothek unter dem Dach. Dort geht der Blick auf einen Hügelkamm, der mit einer unregelmäßigen Reihe kerzengerader Zypressen bestanden ist. Im Mai verschwinden sie hinter Schleiern von Regen und die Gewitterböe zerrt die Wipfel aus der Flucht. Und unten sieht man den Garten. Man ahnt ihn eher unter dem Laubdach. Die hellgrünen Blätter der Orangen und die silbrigen der Oliven verdecken die Mauern, auf deren Brüstungen die Agaven ihre Blätter aus den Töpfen strecken. Steht das Fenster offen, hört man das Wasser im Brunnen plätschern und den Wind mit den frischen Blättern der Glyzinie rascheln, die ihre neuen Triebe über eine Pergola aus hölzernen Balken streckt. Sie wächst schnell und verdunkelt schon den Vorbau mit seinem Glasdach, der ein Stockwerk tiefer liegt. Er trägt die Pergola wie eine Loggia; auf zierlichen Säulen mit schlichten Kapitellen. Seine Bemalung zitiert ein Vorbild von Dosso Dossi.
Um 1530 malte Dosso Dossi im Auftrag des Herzogs von Urbino, Francesco Maria della Rovere, in der Villa Imperiale in Pesaro ein Zimmer mit Motiven aus Ovids Metamorphosen aus. Der Raum wird Camera delle Cariatidi genannt, weil die Figuren die Zimmerdecke säulengleich auf ihren Köpfen zu tragen scheinen. Das Fresko zeigt die Verwandlung der Heliaden, der Schwestern des Phaeton. Inmitten ihrer Klage um den Bruder, dessen wilde Fahrt mit dem Sonnenwagen in der Katastrophe endete, werden die jungen Frauen in Bäume verwandelt. Sie werden zu Pappeln, an denen ihre Tränen als Bernstein heruntertropfen (Ovid. Met. II, 320 ff.). Ihre Glieder sind schon ganz Wurzel- und Astwerk. Nur Oberkörper und Gesichter sind noch sichtbar. Gleich werden auch sie hinter Rinde und grünen Blättern verschwunden sein. An der Decke verbinden sich die Baumkronen, die aus Haaren, Fingern und Armen der Mädchen emporsprießen, zu einer Kuppel. Das Fresko hier im Vorbau ist heller als das Original. Es erzeugt den Eindruck einer lichtumflossenen Laube. Obwohl die Maler den Kontrast nicht scheuten und voller Einfallsreichtum eine Unzahl von Details in ihre Darstellung integrierten, wirkt es beruhigend, vom Garten in diesen Raum zu treten.
Der Garten draußen überfordert den Betrachter zunächst. Vor dem ausgemalten Vorbau erstreckt sich der Garten über drei hohe Terrassen. Sie stammen aus der Zeit, als hier noch Zitronen angebaut und in die ganze Welt verschickt wurden – bis nach Sankt Petersburg. Die mittlere ist durch Taxushecken in kleine Vierecke unterteilt, in deren Mitte Klebsamen wachsen. Weiter hinten strömt das Wasser aus den Bergen im Schatten einer Feige in ein kleines steinernes Becken. Von dort leiten schmale Kanäle es nach unten in den Brunnen. Oben strecken Liguster und Oleander ihre Zweige über die Brüstung. Dort auf der oberen Terrasse wachsen Limetten und Mandarinen und eine große Marschall Niel-Rose, die sich an einen kleinen Pavillon lehnt. An der Mauer ranken Kapern mit ihren violetten Blüten. Die hohen Wände bieten den Zitronen Schutz und in den Bögen wachsen Hortensien und der dunkelgrüne Akanthus. Ein Stockwerk tiefer stehen statt der Zitronen und Orangen Rotbuchen und Nespolo, auch Goldregen und Jasmin. Unter einer Linde, die die mittlere Terrasse nach hinten abschließt, sieht man von oben einige Palmen, die mit ihren schmalen Blättern ein hartes, fast klirrendes Rascheln hören lassen. Sie stehen inmitten blühender Rosen. Von der Linde aus führt ein enger Laubengang unter Trompetenbäumen und Geißblatt nach unten in den Olivenhain. Dort liegt in der Mitte im Mauergeviert der Gemüsegarten. Hoch und runter geht es, über Treppen und Wurzeln, unter kleinen Bögen hindurch und gebückt unter den niedrigen Kronen der Orangenbäume. Wo man auch stehenbleibt kann der Blick sich verlieren, in jedem Schatten betäubt eine Fülle von Düften die Sinne. Und doch zerren die Eindrücke nicht am Gemüt wie vorüberwehende Geräuschfetzen. Eher umkleiden sie die Seele, gleich einer vertrauten Melodie. Sie taucht mit jedem Augenblick ein in jenen Reichtum, nach dem sie ständig auf der Suche ist.
Im Garten scheinen Pflanzen, Tiere und Menschen ein ganz anderes Verhältnis zur Zeit zu haben als in der freien Landschaft. Das Meer, das an eine steile Küste brandet, wogt im Rhythmus von Jahrtausenden. Die Sandkörner am Ufer geben Zeugnis davon, wie das Wasser die Felsen in gewaltigen Zeiträumen kleinmahlt und Inseln und Küsten ihre Form gibt. Auch der Wind, der auf einer Hochebene das lange Gras in Wellenbewegungen versetzt, hat etwas Titanisches. Seine Kraft schleift die Spitzen der Berge ab, und fast meint man noch zu spüren, wie diese selbst sich einst aufgetürmt haben, als Kontinentalplatten aufeinanderprallten. Die Fülle eines wilde Tals oder eines schroffen Küstenstrichs wirkt entgrenzend wie große Mengen Wein. Was dort an die Sinne dringt, ist vorüberrauschende Musik und das Verklingen eines planetarischen Getöses. Das spürt man nicht nur auf stürmischen Dünen. Die riesenhaften Umwälzungen in der Natur werden wahrgenommen an versandenden Seeufern, in zerzausten Wäldern und vor überwucherten Straßenstücken. In der freien und wilden Landschaft befindet sich das Leben extra muros. Auf schwankendem Grund, unter dem Licht einer verglühenden Sonne. Aus der göttlichen Umarmung herausgelöst, muss es im Takt ungezählter Jahre im Abgrund der Vergangenheit verschwinden.
Wer jedoch in einen Garten eintritt, der mag dort manchmal das Gefühl haben, die Zeit stünde still. Als könnten die Gartenmauern der Macht der Zeit standhalten. Es ist wichtig, dass der Garten geschlossen ist. Das indogermanische ghordo, von dem unser Wort Garten abstammt, bedeutet ebenso wie das griechische chortos und das lateinische hortus Flechtwerk oder Zaun, oder eben auch Mauerhürde. Dieselbe Bedeutung trägt das altpersische Wort pairi-dae?-za, von dem unser Paradies herkommt. Die Wörter Garten und Paradies sind also Synonyme. Und wie sollte man das nicht einleuchtend finden, wenn man durch die Pforte eines wahrhaft schönen Gartens tritt? Zwischen den Mauern eines Gartens wird die unendliche Fülle der Schöpfung zur schützenden Heimstatt eines menschlichen Körpers. Sie umschmeichelt ihn mit ihrem Reichtum wie die Meereswellen eine Muschel. Sie trägt und umarmt ihn. Die Geschlossenheit des Gartens schenkt die Illusion einer Aufgehobenheit all der unzählbaren und unausschöpflichen Augenblicke, die wir in ihm verbringen. Als könnte ein Garten das Leben aufbewahren und vor seinem Verschwinden in die Zeit beschützen. Es zurückverwandeln in das allererste Leben, das noch kein Außerhalb des Gartens kannte, und nichts als die Gegenwart.
Wie keine andere Pflanze kann die Zypresse den Eindruck ewiger Gegenwart erzeugen. Auch heute stehen die Zypressen zu dieser stillen Stunde hoch aufgerichtet und unbeweglich da. In gerader Linie zeigen sie die Grenze des Gartens an. Doch unten am Teich regt sich etwas. Da kommt jemand, halb verdeckt hinter Callas und Taglilien; durch das Singen der Vögel klingt eine Stimme. Es ist die Gärtnerin, sie ruft zum Tee.
(Der beschriebene Garten in Mornaga wurde angelegt von der deutschen Auswanderin Jane Ross. Er ist nicht öffentlich zugänglich, doch wer freundlich fragt, den führt die Hausherrin gerne hinein.)
„Hierauf ließen sie sich einen von Mauern umgebenen Garten öffnen, der sich
an den Palast anschloss und traten ein; und sie fanden ihn gleich beim
Eintritte in seiner Gesamtheit von so wunderbarer Schönheit, dass sie mit
größter Aufmerksamkeit an die Betrachtung der Einzelheiten gingen.“
(Boccaccio, Decamerone. Übers. Albert Wesselski, Leipzig 1909, Neuausgabe
1980, S. 286)