Frankfurt a.M.

Postkolonialismus als Druckmittel

Die Ethnologin Susanne Schröter im Gespräch mit der Tagespost über Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit an Universitäten.
Professor Susanne Schröter
Foto: Privat | Professor Susanne Schröter hofft auf weniger Ideologie an Unis.

Frau Professor Schröter, warum halten Sie ein Netzwerk für notwendig, mit dem Sie Kollegen unterstützen wollen, die wegen ihrer Thesen unter Druck geraten sind?

Wir erleben gerade, dass die Wissenschaftsfreiheit durch politische Akteure zunehmend unter Druck gerät. Die Wurzeln liegen in der sogenannten postkolonialen Theorie, die ursprünglich aus der Erfahrung kolonialistischer Unterdrückungsverhältnisse entstand, mittlerweile aber eine Ideologie ist. Das Zauberwort heißt strukturell. Nach dieser Vorstellung ist der Westen strukturell rassistisch, besonders alle weißen Männer. An den Universitäten geht es jetzt darum, Menschen aus vermeintlichen Tätergruppen zum Schweigen zu bringen und gegebenenfalls aus ihren Positionen zu vertreiben, aber auch darum, nur noch eine Sicht auf die Welt zuzulassen. Beleidigend gilt beispielsweise Kritik am Islamismus, an Missständen in nichtwestlichen Gesellschaften oder die Vorstellung, dass es Männer und Frauen gibt. Letzteres beleidige Transsexuelle, meinen viele. An der Universität Köln hatte die Forschungsstelle für interkulturelle Studien den Satz „Das Kopftuch ist ein Zeichen der Unterdrückung“ als nicht legitime Aussage bezeichnet. Wenn wir Verhältnisse verhindern wollen, wie sie an Universitäten in den USA, in England, Kanada oder Australien herrschen, müssen sich Wissenschaftler in Deutschland zusammenschließen, um die Freiheit der Wissenschaft zu verteidigen.

Wo haben Sie selber schon erlebt, dass Sie wegen Ihrer Äußerungen innerhalb der Universität in Bedrängnis gekommen sind?

Ich habe dies persönlich zum ersten Mal im Jahr 2016 erlebt, als ich anlässlich der sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht auf kulturell-patriarchalische Prägungen der Täter hinwies. Aus dem Kreis von Kolleginnen und Kollegen wurde daraufhin kolportiert, ich sei Rassistin. Diese Vorwürfe verstärkten sich nach einem Artikel, den ich nach dem Mord eines Mädchens aus Mainz durch einen Flüchtling schrieb. Ich hatte auf die Existenz frauenverachtender Normen in Gesellschaften hingewiesen, aus denen viele Flüchtlinge kommen und auch darauf, dass Aktivistinnen in diesen Ländern seit langem gegen diese Normen kämpfen. Wirklich in Bedrängnis geraten bin ich allerdings erst, als ich im Jahr 2018 Rainer Wendt, den Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, in meine Vortragsreihe einlud. Damals gab es eine Unterschriftenliste gegen mich, die von Wissenschaftlern und Studenten verfasst wurde.

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Sie haben vor gut anderthalb Jahren eine Konferenz unter dem Titel „Das islamische Kopftuch – Symbol der Würde oder der Unterdrückung?“ organisiert, bei der Befürworter und Gegner des Kopftuchs zu Wort kamen. Eine anonyme Gruppe von Studenten forderte in den sozialen Netzwerken anschließend Ihre Entlassung. Damals haben sich sowohl die Uni-Leitung als auch der AStA mit Ihnen solidarisiert. Also kann doch von Existenzbedrohung in Ihrem Fall keine Rede sein?

„Wer den postkolonialen Mainstream nicht bestätigt, wird nicht zu Bewerbungsgesprächen eingeladen oder bekommt keine Vertragsverlängerung.“

Ich bin Beamtin und leide daher nicht unter einer existenziellen Bedrohung. Das ist bei jungen Wissenschaftlern und denjenigen, die keine feste Stelle haben, anders. Bis zur festen Professur hat man gewöhnlich nur befristete Verträge, die zwischen einem und vier Jahren laufen. Wer den postkolonialen Mainstream nicht bestätigt, wird nicht zu Bewerbungsgesprächen eingeladen oder bekommt keine Vertragsverlängerung. Wer sich nicht anpasst, läuft zudem Gefahr, dass die Doktorarbeit abgelehnt wird, dass Aufsätze nicht publiziert und Forschungsanträge abgelehnt werden.

Sie forschen zum Thema Islam – das ist ein gesellschaftlich aufgeladenes Thema. Ist das ein Bereich, wo man in der Forschung schnell an die Grenzen des öffentlich Sagbaren gerät?

Man wird sehr schnell der „Islamophobie“ oder des „antimuslimischen Rassismus“ bezichtigt. Weltweit werden diese Begriffe auch von Vertretern des Iran, der Islamischen Weltliga oder von Herrn Erdogan verwendet. Kritik am Islamismus oder an der Politik islamistischer Regierungen soll als rassistisch oder als krankhaft denunziert werden. Es gibt einen „European Islamophobia Report“, dessen Herausgeber Erdogan nahestehen. In diesem Report, der übrigens sogar mit EU-Geldern gefördert wird, werden liberale Muslime wie Mouhanad Khorchide oder Erdogan-Kritiker mit Rechtsradikalen in einen Topf geworfen und als islamophob verurteilt.

Wer sich kritisch zum Islam äußert, wird also schnell mit Etiketten wie „islamophob“ bedacht oder in die rechte Ecke gestellt. Woran liegt das aus Ihrer Sicht – schließlich stehen uns doch die Exzesse des radikalen Islam, angefangen von 9/11 über Terroranschläge wie in Paris bis zum Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt vor Augen?

Es fällt auf, dass man rechtsextremen und islamistischen Terror mit zweierlei Maß misst. Bei rechtem Terror benennt man die Ideologie, bei islamistischem Terror behauptet man, dass habe nichts mit dem Islam zu tun. Da können die Täter noch so oft „Allahu akbar“ rufen und ihre Taten in einen islamischen Kontext stellen, man sucht die Schuld bei der Gesellschaft. Die Ursache ist schlicht die eingangs erwähnte linke Theorie, die Muslime als Opfer des Westens sieht. Wer Opfer ist, muss auch dann entschuldigt werden, wenn er Massaker begeht.

Welche gesellschaftlichen Kräfte stehen hinter dieser Diskursverengung? Sind es Muslime, die eine Debatte über ihre Religion verhindern wollen, oder linke Kräfte, die die Schattenseiten einer multi-religösen Gesellschaft nicht erkennen wollen?

Es sind sowohl die Muslime als auch die Linken. Sowohl in Frankreich als auch bei uns können wir Allianzen zwischen islamistischen Kräften und Linken beobachten. Obwohl die beiden Gruppen eigentlich unterschiedliche Werte vertreten, haben sie ein Bündnis geschlossen, weil sie der Ansicht sind, im „Westen“ einen gemeinsamen Feind zu besitzen.

Sie haben kürzlich die Kirchen in Deutschland kritisiert, weil sie Ihrer Meinung nach zu unkritisch das Gespräch mit konservativen Islamverbänden suchen und zu wenig auf liberale Muslime zugehen würden. Haben die Bischöfe ebenfalls die Sorge, in ein falsches Licht gerückt zu werden?

„Christen sind weltweit die am meisten unterdrückte Minderheit.“

Ich weiß nicht, was die Bischöfe bewegt, aber wenn sie sich einmal anschauen würden, wie Christen und Mitglieder anderer Religionen zurzeit in muslimisch geprägten Ländern behandelt werden, müssten sie meiner Meinung nach ins Grübeln kommen. Christen sind weltweit die am meisten unterdrückte Minderheit, und in vielen Weltregionen wurden sie mittlerweile fast vollständig eliminiert. Dafür sind Islamisten verantwortlich. Mit ihren Stellvertretern in Deutschland müsste sich eine Zusammenarbeit eigentlich verbieten.

Häufig wird als Gegenargument geäußert, man würde mit Islamkritik „den Rechten“, insbesondere der AfD, in die Hände spielen. Ist das stichhaltig?

Das ist Unsinn. Erstens ist Religionskritik als Erbe der Aufklärung in unserer Kultur fest verankert und kommt ursprünglich aus der politischen Linken. Zweitens haben diejenigen, die Islamkritik als „rechts“ diskreditieren, in der Regel nichts dagegen, die katholische Kirche zu kritisieren. Das ist nichts anderes als politisch motivierte Doppelmoral. Drittens geht es häufig gar nicht um Islamkritik, sondern um die Kritik am politischen Islam. Dabei handelt es sich um eine totalitäre und antidemokratische Spielart des Islam und daher letztendlich um eine rechtsradikale Bewegung.

Was raten Sie Forschern, Politikern, Journalisten, die sich zum Thema Islam äußern – sollte man sich in dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Klima eher zurückhalten oder sich trotz aller Angriffe nicht einschüchtern lassen?

Nach den letzten Anschlägen in Dresden, Paris, Nizza und Wien ist einiges in Bewegung geraten. Selbst aus den Reihen von SPD und Grünen gab es vereinzelt kritische Stimmen. Macron und Kurz wollen das Thema auf EU-Ebene besprechen, und beide trennen den Terror nicht von der islamistischen Ideologie und den gewaltbegünstigenden Milieus. Ich hoffe, dass es sich nicht um Sonntagsreden handelt. Dabei geht es nicht um Muslime oder den Islam, sondern um Islamismus und die Schattenseiten der Migration. Viele Muslime sehen das genauso und wünschen sich, dass die Tabuisierung des Themas endlich aufhört. Von islamistischer Gewalt sind sie nämlich noch stärker betroffen als Nichtmuslime.

Susanne Schröter ist Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, Direktorin im Cornelia Goethe Centrum für Geschlechterforschung an der Universität Frankfurt sowie Vorstandsmitglied des Deutschen Orient Instituts

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