Wer in die Zukunft gehen will, tut gut daran, ein profundes Wissen über die Vergangenheit im Gepäck zu haben. Dies betrifft – zumindest was die katholische Kirche in Deutschland angeht – derzeit vorrangig die Verbindung von Denken und Glauben. Deshalb ist eine wegweisende Idee von Akademieleiter Professor Herbert Haslinger, die diesjährige Paderborner Montagsakademie unter das Motto „Denkerinnen und Denker des Glaubens, die uns heute etwas zu sagen haben“, zu stellen.
Die Auswahl der in den jeweils montags im öffentlich zugänglichen digitalen Format stattfindenden 45 minütigen Vorlesungen, an deren Ende die Zuhörerinnen und Zuhörer jeweils Fragen stellen können, lässt aufhorchen. Denn zum Auftakt der Reihe geht es weniger um eine Theologin als vielmehr um eine nach eigenen Aussagen ziemlich neugierige Frau, die Pilgerin Egeria, die in der ausgehenden Antike die Stätten des Leidens, Sterbens und Auferstehens Jesu bereiste und durch die Begegnung mit den spürbaren Spuren seines Wirkens eine Vertiefung ihres Glaubenslebens erfuhr. Dieser Zugang des „Kommt und seht“ kann gerade in der derzeitigen Situation aufschließend wirken, fokussiert er doch die Menschwerdung Gottes, sein Mit-uns–Sein, die Tatsache, dass er unser Leben geteilt hat und immer noch teilt.
Die Gegenwart Gottes wahrnehmbar machen
Dieses Bewusstsein der Gegenwart Gottes in unserem Alltag wieder wahrnehmbar und zu einem berührbaren Momentum zu machen, gehört zum Wichtigsten, was Theologie heute leisten kann und soll. Makrina die Jüngere in den Blick zu nehmen, ist in diesem Zusammenhang zielführend, weil diese bemerkenswerte Frau der Spätantike sich von der als weiblich erlebten Weisheit zur wahren Philosophie führen lässt, ohne dabei auf selbstreferenzielle synodale Abwege zu geraten. Augustinus steht als Denker des Glaubens für die Verbindung von persönlicher Suchbewegung und auf der Basis eines fest verwurzelten Glaubens reflektierter Theologie. Schreitet man in der Geschichte der auf dem Boden des Evangeliums stehenden Lehre von Gott in der Geschichte der Kirche fort, kommt unweigerlich Albertus Magnus in den Blick.
Dieser wahrhaft große Kirchenlehrer ist ein leuchtendes Beispiel für die notwendige Vernetzung des Denkens, die davor bewahrt, in intellektuelle Sackgassen zu geraten. Sein Satz „Sie verhalten sich wie wilde Tiere, die das mit Blasphemien überziehen, was sie nicht kennen“ ist in seiner bemerkenswert scharfen Zuspitzung gewiss nicht nur für die Zustände im 13. Jahrhundert ein taugliches Element der Analyse. Etwas nicht zu verstehen, als persönlich nicht sinnhaft oder einsichtig zu empfinden führt derzeit zu einer beinahe als Menschenrecht apostrophierten Infragestellung der damit verbundenen Lehre. Albertus Magnus zeigt auf, dass diese sich als ewige Sackgasse erweisende Abkürzung ins Nichts führt.
Dass Unterschiede im rituellen Vollzug nicht zwangsläufig zur Spaltung führen müssen, wenn die Einheit des Glaubens gewahrt bleibt, ist eine Lehre, die man aus Nikolaus von Kues berühmter Formel „Una religio in rituum varietate“ ziehen und die für die Fragestellungen der Gegenwart nicht nur im Hinblick auf die Feier der Liturgie wegweisend sein kann. Der angemessene Anteil an in der Vortragsreihe der Montagsakademie vorgestellten Denkerinnen, darunter Juana Inés de la Cruz, die das Denken in einem bemerkenswert treffenden Bonmot mit dem Fliegen vergleicht, zeigt, dass man seine Zeit nicht zwangsläufig des Geschlechtes wegen mit nutzlosen Debatten verbringen, sondern in jeder Zeit der Kirchengeschichte lieber gleich selbst denken, reden, schreiben und handeln kann, wie es Gott gefällt. Essenziell für diese Fähigkeit ist die auf dem Glauben an die Menschwerdung basierende und durch sie mögliche Selbstbejahung, die man (nicht nur) von Hildegard von Bingen lernen kann.
Dass von kritischen, mitunter an den Rändern der Kirche angesiedelten Denkern und Suchenden wegweisende Impulse für den Glauben ausgehen können, zeigt das Wirken Ignatz von Döllingers, Dorothee Sölles, von Emmanuel Levinas oder Simone Weils. Als hilfreiches Korrektiv kommt in der Reihe der Vorträge der Montagsakademie auch das erzählerische Element in den Blick, dessen heilsame und Orientierung gebende Funktion in den letzten Jahrzehnten zum Schaden der katholischen Kirche in Deutschland unterschätzt wurde. Die Werke der derzeit durch eine neue Biografie wieder in den Blick genommenen Schriftstellerin Selma Lagerlöff oder das literarische Werk von Franz Werfel zeigen aber eindrucksvoll, dass genau diesem Segment eine starke katechetische, mithin unserer Zeit notwendige Funktion zukommt.
Gleichgewicht von Kontemplation und Reflexion
Letztlich besteht eine der Kernaufgaben unserer Zeit darin, Kontemplation, Aktion und Reflexion wieder in ein gesundes Gleichgewicht zu bringen. Die Vortragsreihe der mit hochrangigen Fachwissenschaftlern besetzte Montagsakademie der katholisch theologischen Fakultät Paderborn kann dazu beitragen, dieses Gleichgewicht wieder herzustellen.
Informationen zu den einzelnen Terminen finden sich unter www.thf-paderborn.de.
Begleitend zur Vortragsreihe erschienen im Herder Verlag bereits im letzten Jahr zwei Bücher,
die die Themen „Kirche im Wandel – Ekklesiale Identität und Reform“
sowie „Kirchliches Change Management zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ in den Blick nehmen.
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