Es ist nicht mehr und nicht weniger als eine kleine aber wirkmächtige Revolution, dass die Regensburger Domspatzen ihr Gymnasium im Schuljahr 2022/2023 auch für Mädchen öffnen werden. Grund für den Wandel vom reinen Jungen- zum gemischten Gymnasium sind zahlreiche Anfragen, die die Verantwortlichen bereits seit mehreren Jahren erreichen. Schon unter dem Vorgänger des derzeitigen Domkapellmeisters Christian Heiß, Roland Büchner, wurde deshalb über die Öffnung des Gymnasiums für Mädchen nachgedacht. Anfragen kamen damals oft von musikalisch begabten Mädchen, deren Brüder Domspatzen wurden und die Enttäuschung der Mädchen über ihre Ablehnung war oft groß. Dass sie nun in gleichem Maße wie die Jungen Zugang zur qualifizierten Regensburger Ausbildung erhalten, die neben dem üblichen gymnasialen Lehrstoff auch Stimmbildung, Instrumentalunterricht und die täglichen Chorproben umfasst, ist nur gerecht. Denn schließlich gibt es genauso viele talentierte Mädchen wie Jungen.
Erweiterung des Portfolios
Das Interesse ist in der Tat so groß, dass die Verantwortlichen bereits die Gründung eines eigenen Internats in Betracht ziehen. Zunächst aber soll die Schule für Mädchen aus der Region geöffnet werden. Ihr stimmliches Können werden sie wie die Jungen in einem eigenen Chor entfalten. Dessen Name steht noch nicht fest. Es ist aber klar, dass sie weder Domnachtigallen noch Domspätzinnen heißen werden, auch wenn der Markenname „Regensburger Domspatzen“ in der Bezeichnung des neuen Chores natürlich nicht fehlen darf. Mit dieser Entscheidung wird der Hauptsorge rund um diese wegweisende Entscheidung zugleich die Spitze genommen.
Denn die Öffnung der Domspatzen für Mädchen bedeutet nicht das Aus für den einzigartigen Klang des Knabenchores. Christian Heiß beschreibt die Zulassung der Mädchen vielmehr als Erweiterung des Portfolios, die an anderen Kathedralkirchen, wie beispielsweise dem Bamberger oder Kölner Dom, bereits Tradition hat. Der Domkapellmeister erhofft sich von dieser zusätzlichen Säule eine Stärkung der Domspatzen und versteht seine Aufbauarbeit als Auftrag, „Tradition zu wahren und Zukunft zu gestalten“.
Einstimmige Entscheidung
Die Entscheidung für die Erweiterung im Hinblick auf die erhoffte harmonische Komplementarität fiel im Stiftungsrat der Regensburger Domspatzen einstimmig. Mit Christian Heiß, der als Eichstätter Domkapellmeister bereits viele Jahre Erfahrung in der Chorarbeit mit Mädchen hat, verfügen die Domspatzen zudem über einen qualifizierten Leiter. Die Mädchen, die das einzigartige musikalische Ausbildungsangebot wahrnehmen möchten, können ab 2022 den neuen Campus mit Chor, Gymnasium und offener Ganztagsbetreuung in Anspruch nehmen. Und während einige musikalische Angebote wie das Orchester, die Bigband oder das Kammermusikensemble für Jungen und Mädchen gleichermaßen offen sein werden, soll die Chorarbeit auf jeden Fall getrennt vonstattengehen. Gründe dafür gibt es mehrere.
Zum einen haben Jungen und Mädchen unterschiedliche Stimmfarben. Eine Mischung von Jungen und Mädchen würde den Domspatzen also eher etwas wegnehmen als etwas hinzufügen. Aber auch das Repertoire der Mädchenchöre ist traditionell ein anderes. Während durch Männerstimmen ergänzte Knabenchöre in der Regel vierstimmige Chormusik präsentieren, die gleichermaßen auch von gemischten Erwachsenenchören aufgeführt wird, sind Mädchenensemble in der Regel auf Oberstimmenmusik fokussiert, die einen ebenso faszinierenden, ätherischen Klang entfaltet wie die Knabenstimmen aber eben auf ihre ganz eigene Weise.
Aussagekräftiges Mädchenensemble
Zwar ist eine spätere Kooperation keineswegs ausgeschlossen, aber zunächst möchte Christian Heiß die neu hinzukommenden Mädchen zu einem aussagekräftigen eigenen Ensemble formen. Das bedeutet, dass auch die Konzertreisen, bei denen die Mädchen ebenso wie die Knaben eine passende Chorkleidung tragen sollen, getrennt vollzogen werden. Heiß ist überzeugt: „Nach einer gewissen Aufbauphase wird der neue Mädchenchor höchsten musikalischen Ansprüchen genügen.“ Zugleich betont Heiß: „Die Regensburger Domspatzen bleiben als Knabenchor der Domchor der Kathedrale.“ Die Mädchen werden als Mädchen- und Frauenchor eine neue, zusätzliche Säule der Regensburger Dommusik sein. Auf Nachfrage antwortet Heiß, dass die Entscheidung zur Öffnung der Domspatzen für Mädchen nichts damit zu tun hat, dass man Lückenbüßer für fehlende männliche Bewerber benötige.
Schwierige Pandemiephase
Vor der Coronapandemie, die für die Domspatzen genauso eine schwierige Phase ist, wie für alle Chöre, gab es deutliche Zuwächse. Es sei aber insgesamt so, dass man die Kapazität habe, zusätzlich etwas zu tun, und dies ausdrücklich begrüße, so Heiß. Bischof Voderholzer und das Domkapitel stehen, wie Dompropst und Stiftungsratsvorsitzender Franz Frühmorgen betont, ebenso einhellig hinter der Entscheidung wie die Konzertmanagerin und die Schulleiterin des Domspatzengymnasiums, Christine Lohse. Sie ist sich sicher, dass das weibliche Element dem Gymnasium gut tut und die Mädchen das Erscheinungsbild bunter machen werden. Zwar sei sie bei ihrer Einstellung nicht mit dem Plan angetreten, die Mädchen in die Schule zu lassen, so Lohse, aber sie erlebe im Echo auf die Arbeit der Konzertmanagerin und ihr eigenes Tun, dass das Miteinander durch Mädchen und Frauen bereichert werde. Die Neuanmeldung bei der Topadresse für musikalische Talente ist für Mädchen jeder Jahrgangsstufe möglich. Die Zulassung zum Gymnasium ist zugleich die Eintrittskarte in den neuen, gewiss bald schon renommierten Chor.
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